Film-Magazin Vereinigt Mit Filmwelt (1929)

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h\ „Komm, Lore," sagte sie dann, ihren ganzen Mut zusammennehmend. ,,Ich muß eilen — es ist bereits halb acht vorbei!" Draußen in der großen Halle mit den florentinischen Säulen wartete der Gatte schon. Er war ruhig und ernst wie immer. Kein Zug in seinem undurchdringlichen Gesicht verriet etwas von einer tieferen seelischen Erregung. Er begrüßte die Damen mit seiner stets gleichen, ein wenig farblosen Höflichkeit und sprach zu Lore ein paar bedauernde Worte, daß er versäumt habe, auch für sie eine Karte zum Theater besorgen zu lassen. Dann bot er Evelyn den Arm und geleitete sie über die breite Freitreppe mit den am Geländer herabschreitenden Löwen zum Auto. Als Kurt und Walter v. Prayer vor der Säulcnfront des Westendtheaters vorfuhren, war der Beginn der Vorstellung schon nahe herangerückt, aber noch immer strömten diclite Menschenscharer an der endlosen Auffahrt der Automobile dem grellerleuchteten Marmorportal der Eingangshalle zu. Ein Summen wie von einem Bienenschwarm ging durch das ganze große Haus, das sich mit seinem ragenden Turmaufbau wie eine dunkle drohende Masse in das warme Grünblau des sinkenden Maiabends emporreckte. Im Parkett des riesigen Zuschauerraumes ein ewiges Aufstehen und Sichsetzen, ein ununterbrochenes Grüßen und Winken, ein Gewühl und Gewoge von Köpfen und Lichtern. Jetzt das erste Gongzeichen. Erwartungsvoll lehnte sich alles in den Stühlen zurück; die Theaterzettel, die nur ganz unpersönlich drei handelnde Personen als „den Mann", „die Frau" und ,,den Dichter" verzeichneten, wurden zurechtgelegt. Noch einmal und ein letztes Mal die dumpfen, hallenden Töne des mahnenden Gongs. Der strahlende Lichlerglanz in der Deckenkrone erlosch, und der schwere Brokatvorhang teilte sich lautlos auseinander. Kurt hatte sich bereits in der Vorhalle des Theaters von Walter verabschiedet und sich von dem Rundgang des Parketts aus durch eine Geheimtür sogleich hinter die Bühne begeben. Auf einmal war er wieder völlig gleichgültig gegen das Schicksal seines Werkes, auf das er bisher die ganze Hoffnung seines Lebens gesetzt hatte. Auch die entrüsteten Vorwürfe, mit denen er im Direkforzimmer empfangen wurde, ließen ihn gänzlich unberührt; einzig dem Oberregisseur, dessen künstlerischen Ernst und hingebenden Eifer er in der Kleinarbeit der Proben besonders schätzen gelernt halte, sagte er ein paar entschuldigende Worte. Dann stand er neben dem Feuerwehrmann in einer Scitenkulisse und schaute klopfenden Herzens in den Ring des Zuschauerraumes, Er konnte von seinem Versteck aus gerade die ersten Reihen der Parkettbesucher überblicken, deren Gesichter und Hände sich wie zahllose weiße Flecken aus dem feierlichen Dämmer des Theaters undeutlich abhoben. Ob sich auch Evelyn unter jenen Menschen befand, deren Atem in einem einzigen verschwebenden Laut zur Bühne heraufwehte? Mit bohrenden Blicken suchte er die Mauern der stummen Gestalten zu durchdringen, und wie eine glühende Kette riß wieder die Sehnsucht an seinem Herzen, Evelyn noch ein letztes Mal zu sehen und zu sprechen, ehe sich mit dem Ablauf dieser furchtbaren Nacht auch sein Schicksal vollendete. Auf der Bühne hatte unterdes der erste Akt seinen Anfang genommen. Man sah in die mattcricuchtetc Diele einer vornehmen Parkvilla. Das Ehepaar war mit dem Dichter in später Nachtstunde soeben von einem Sommerfest heimgekommen, die junge Frau noch in einem bunten Phantasiekostüm, die Herren im Frack und Domino. Die joviale Stimme des Ehemannes erfüllte das ganze Theater mit lärmender Lustigkeit. Er nötigte seinen späten Gast in einen Klubsessel am Kamin. holte Kognak und Liköre, bot Zigarren vmd Zigaretten an und schaltete ein elektrisches Grammophon ein, ein gutmütiger Bär, saftig und lebensvoll, eine ganz der Wirklichkeit abgelauschte Figur. In heiterem Wortgeplänkel flog der Dialog hin und her und gab in zwangloser Form die einfache, sogleich zutage liegende Vorgeschichte. Der Gatte, ein reicher Fabrikant aus der Webindustrie, der sich in schon stark vorgerückten Jahren die schöne Tochter einer mittellosen Beamtenfamilie in sein üppiges Haus geholt hatte. Die junge Frau, ein feines, stilles, aus lauter Zartheiten zusammengesetztes Wesen, gespielt von einer genialen Schauspielerin, die erst im letzten Winter als Stern erster Größe am Berliner Kunsthimmel aufgegangen war und in einer einzigen Saison die ganze Reichshauptstadt in ihren Bann gezogenhatte. Drei Jahre lang war die Ehe dieser beiden so ungleichen Menschen im eintönigen Trott des Alltags ereignislos dahingegangen. Bis die weltfremde junge Frau eines Tages wie aus einem Traum zur Wirklichkeit erwacht war, an jenem Schicksalsabend, da sie den Dichter auf einer Gesellschaft getroffen hatte und mit dieser Begegnung ihr ganzes Leben auf einmal auf einen völlig neuen Grund gestellt worden war. Mit allerzartesten Händen, mit feinstem Mitempfinden und heiliger Begeisterung war das Geheimnis dieser Liebe dem eigenen Erleben nachgeschaffen worden. Wundervoll, wie sich in Rede und Gegenrede, im Spiel der Augen, in einem schüchternen Lächeln das tiefe Gefühl dieser einander unrettbar verfallenen Menschen offenbarte, indes der Gatte, ganz selbstherrliche Besitzerfreude mit der Ahnungslosig keit des am nächsten Beteiligten, trinkend und rauchend in' breiter Behäbigkeit, zwischen ihnen saß. Die Rolle des Dichters war einem gefeierten jungen Schau Spieler anvertraut worden, dem Liebling des westlichen Berlins, der sich mit seiner sieghaften Blondheit und dem weichen Tonfall seiner betörenden Stimme schon zahllose Frauenherzen erobert hatte, ein unbekümmerter Bejaher des Lebens, dessen leichter, federnder Schritt selbst unter der Last eines tragischen Schicksals nicht schwerer und wuchtiger wurde. Mit liebenswürdiger Ueberlegenheit behandelte er den um zwanzig Jahre älteren Gatten, der seine Frau jetzt mit täppischer Zärtlichkeit auf seinen Schoß gezogen hatte und nur durch ironische Abwehr und geschicktes Ausweichen immer wieder davon abgehalten werden konnte, allerlei kleine Intimitäten aus seinem Eheleben zum besten zu geben. Als er dann mit dem Eigensinn der leise einsetzenden Trunkenheit darauf bestand, daß man zur Feier des Tages unbedingt noch einer Flasche Sekt den Hals brechen müsse, und schwanIvcnden Schritts die Szene verließ, um persönlich in den Keller hinabzusteigen, brach die mühsam gewahrte Fassung der jungen Frau plötzlich zusammen. In einem kurzen, leidenschaftlichen Bekenntnis riß sie die letzte Hülle von ihrer Seele, wie sie aus der Knechtschaft dieser Geldehe in ein reineres, freies Menschentum hinausverlange, gab sie das Drama ihres Lebens bis zum bitteren Ende rückhaltlos preis. Sie war bei diesen Worten von ihrem Sessel aufgesprungen und lehnte sich schweratmend gegen den Kamin. Auch der Dichter hatte sich erhoben und war ganz nahe zuz ihr herangetreten. Wie in einem unentrinnbaren Zwange neigten sich die beiden heißen Gesichter einander langsam entgegen. Für die Dauer eines Augenblicks schienen sich die sehnfüchlig geöffneten Lippen zu berühren. Da knarrte eine Tür. Die Liebenden schreckten auseinander Im Hintergrund der Bühne stand der Gatte breitmassig, drohend, unter jedem Arm eine goldgekapsellc Flasche. Hatte er etwas bemerkt? Die Spannung auf der Szene war mit gleicher Gewalt auf dicj Zuschauer übergesprungen, die mit verhaltenem Atem den Ein i tritt des Ehemannes beobachtet hatten. Der kam jetzt langsam, mit der Sicherheit plötzlicher Erl nüchterung, ganz nach vorn an die Rampe. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein. Mit einer seltsam heiseren und doch bis in die letzte Par^i^ kellreihe klar verständlichen Stimme sagte er mühsam zwischci den Zähnen: ,,Ich glaube, Herr Doktor, es ist besser, Sie verlassen mei Haus." Walter v. Prayer hatte auf der Fahrt zum Theater noc einmal versucht, vorsichtig tastend in Kurts Vertrauen einzi I 1