Der Kinematograph (January 1909)

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No. los. Der Kinematograph — Düsseldorf. farbige Wiederholung nur verschlechtert werden. Ein für den Kinematographen geschriebenes Schauspiel wird daher weder der Farbe noch des gesprochenen Wortes entbehren. Es gibt jetzt schon einige Kinodramen, < ereil Handlung eine so anschauliche ist. deren Aufnahnu so vorzüglich gelang uiul deren Bilder von einer so gn ssartigen male¬ rischen Wirkung sind, dass die' Hinzufügung der Farl»e oder der Hede ein ästhetisches Verbrechen darstellen würde. Natürlich gibt es auch Kinowerke, die nur koloriert und andere die nur in Begleitung des Tons gegeben werden dürfen und müssen. Wir haben schon gesehen, dass die heutige Schauspiel¬ kunst, will sie nicht nur Originelles, sondern Originales leisten, will sie überhaupt Werke hervorbringen und wirk¬ liche, d. h. künstlerisch einwandsfreie Figuret für die Dauer schaffen, sich des Kinematographen bedienen muss. Wenn wir von den unendlich vielen anderen Vorzügen, welche dem Schauspiel auf der Basis der bildenden Kunst ge¬ boten werden, ganz absehen, so ist die Tatsache, dass hier Schauspieler eine ihnen vollkommen liegende Rolle durch Gesten, Bewegungen und Handlungen endgiilt.g verkörpern können, künstlerisch bedeutsam genug, uni beweisen zu können, dass die lebende Projektionskunst das eigentliche Material des Schauspiels ist und für der Schauspieler sowohl wie für den Autor und vor allem für die geeinte Kunst beider das bedeuten, was dem Maler die Farl>e, dem Musiker der Ton, dem Bildhauer der Marmor und dem Dichter die Sprache. Man wird versucht sein, diese Auffassung vermessen zu nennen. Die Tatsache, dass das Schauspie', aber bisher als ein in allen Teilen fest bestimmtes, original niianziertes Werk nicht existierte bezweifelt niemand. Der Autor schuf Skelette, die andere ihm oft unbekannte und geistig fern¬ stehende Künstler mit Fleisch und Bin* bekleideten. Mit einem Male sieht der Autor die Möglichkeit das Ganze schaffen zu können, d. h. den unsterblichen dramatischen Gedanken von unsterblichen, ewig jungen oder ewig alten, ewig ori- gineben oder ew ig schönen Darstellern unter seiner Leitung nach seiner Wahl in ein Drama verwandeln lassen zu können. Und der Autor, der zugleich Dichter, der Dichter, der zu¬ gleich Autor ist, sieht die Möglichkeit, irgend eine Szene vollkommen aus einem Guss zu schaffen, wie der Maler der sein Bild selbst komponiert dieses auch malt. Mit einem Male wird die Entfernung die so oft zwischen dem drama¬ tischen Gedanken, z*visoh< > d^r Konzeption, dun Drama als Buch und dem eigentlichen Drama, d. h. der Aufführung liegt, fast gänzlich zunicht gemacht, da die Möglichkeit, eine Rolle selbst endgültig zu verkörpern oder sie durch den liesten in Betracht kommenden Darsteller verkörpern zu lassen oder drittens sie von vornherein aus den höchsten und eigenartigsten Fähigkeiten eines Schauspielers heraus zu schaffen, gegelien ist. Jene absolute Freiheit, die der Maler besitzt, der seine Figuren ohne irgend welche Abhängigkeit von anderen Menschen und von seiner eigenen Figur zu zeichnen vermag und deren Wert die klassischen Gestalten eines Raphael, eines Tizian so klar beweisen, ist damit allerdings noch nicht erreicht. Die Tatsache aller, dass der Kinematograph die Schaffung geeigneter. d. h. absolut einheitlicher, individueller und originaler Schauspiele, wenn auch in primitiver Form zulässt, muss ohne weiteres für einen Be¬ weis dafür angesehen werden, dass wir das der Schauspiel¬ kunst entsprechende Material im Projektionsbilde zu suchen haben, denn Freiheit, Einheitlichkeit, Individualität und Originalität sind die Fundamente, auf denen das Gebäude einer jeden Kunst ruht, und die am allerwenigsten die höchste Kunst entbehren kann. Wo anders als in der bildenden Kunst finden wir „ideale“ Gestalten, d. h. Figuren, die nichts als die Ver¬ körperung eines Gedankens sind. Eine Pallas Athene, eine Madonna Sixtina. die Sibyllen Michelangelos, diese und viele andere Figuren sind nur im Bilde, in leblosem, dem Schaffen¬ den sich willig fügenden Material möglich. Und was von diesen idealen Gestalten gilt, trifft in noch viel höherem Masse scharf charakterisierte Figuren. Der Maler darf nach dem Modell arbeiten, weil er nach dem sterblichen Vorbilde ein materiell existierendes dauerhaftes Bild malt. Dürers tanzende Bauern sind auf der Bühne unmöglich, denn die Kunst hält das Wesentliche in sinnlichen Anhaltspunkten fest, eine Figur durch Licht, Schatten und Kontur. Daher die ausserordentliche Freiheit der Malerei, die von der Wirklichkeit vollkommen zu abstrahieren vermag, ohne unsinnig zu werden. Jede Kunst kommt ihrem höchsten Ziele um so näher je mehr sie sich der Musik nähert. Die höchste Freiheit besitzt die Musik, die in Luft oder Aetherschwingungen schafft, und der Macht, welche die menschliche Stimme über die Herzen zu gewinnen vermag, ist nichts zu ver¬ gleichen. Dieser höchsten Kunst können wir um so näher kommen, je geringer unsere Kunstmittel sind. Die Bühne stellt keine Bilder aus einfachen Mitteln her. Hier dient der an seine Schwächen gebundene Mensch als Material. Die Zeichnung vermag sich über die Wirklichkeit freier zu erheben, weil sie mit sehr geringen Mitteln, mit Strichen schafft und die lebende Zeichnung, die der Kinematograph ermöglicht, stellt das eigentliche Material einer technisch ausserordentlich schwierigen aber auch durchaus frei bilden¬ den Schauspielkunst dar. Wenn die Kunst ein Mittel ist, Totes zu I»eieben, aus wenigem viel, aus wertlosem wertvolles zu machen, be¬ deutet die Kunst ein Triumph über die Materie oder über die Technik, so muss es die höchste Aufgalv* der Schau¬ spielkunst sein, nur in Schwingungen des Aethers. durch Licht, Farbe. Bewegung und Töne ihre Werke zu schaffen Und w»nn ihr Ideal, das in allen Teiler künstlerisch ent¬ standene, l>ewegte und von aller vergänglichen Wirklichkeit befreite Bild auch vorläufig noch unüberwindliche Schwierig keiten bietet, obwohl die Möglichkeit im kleinen vorhanden ist und benutzt werden kann, so nähert sich doch das auf photographischem Wege entstandene Projektionsbild am meisten jenem absolut künstlerischen und einwandsfreien Material, das die Schaffung originaler Kunst gestattet Der Dramatiker schafft in seinem Geiste eine dramatische Figur, die nur ein Künstler künstlerisch zu gestalten vermag. In Holbeins Totentanz haben wir ein solches künstlerisches Schauspiel. Denken wir uns die Zahl der Bilder vermehrt - d. h . durch Zwischenbildcr. die den Uebergang von einer Szene zur anderen darstellen vermehrt. — denken wir uns ferner sämtliche Bilder nacheinander vor uns hingestellt, sodass die Bewegung natürlich erscheint, so haben wir eine vollkommen originale, frei geschaffene dramatische Kunst. Der Gedanke, ein Bild aus dem anderen folgen zu lassen und so ein zeitlich ausgedehntes künstlerisches Ganze zu schaffen, liegt der bildenden Kunst durchaus nicht fern, obgleich sie mit diesem Schritte das Gebiet des Schauspiels betritt. Die Schauspielkunst hat die Notwendigkeit einer künstlerischen Gestaltung des Bühnenbildes ebenfr-lls er¬ kannt. Die Mischung von gemalter Kulisse, lebendiger Darstellung, von Illusion und Wirklichkeit. von Kunst und Natur, von Bestimmtem und Unbestimmtem wurde zuletzt als unecht empfunden und man machte Versuche das ganze mit grösserer Ehrlichkeit darzustellen, indem man die Kulissen als Dekorationen, nach künstlerischen Grund¬ sätzen behandelte. Je weniger aber die Kulissen eine Wirk¬ lichkeit vorzutäuschen versuchen, desto mehr fällt die reale und absolut wirkliche Gestalt des Darstellers aus diesem künstlerischen Rahmen. Die lebende Zeichnung fügt in die dekorativ gehaltene Umgebung eine vollkommen homogene Gestalt, und wenn wir ein Beispiel, solcher Kunst auch noch nicht besitzen, so vermag doch der Kinemato¬ graph auch auf andere Weise die Einheitlichkeit in voll¬ kommener Weise herzustellen, da er der Kulisse überhaupt nicht bedarf.