Der Kinematograph (January 1909)

Record Details:

Something wrong or inaccurate about this page? Let us Know!

Thanks for helping us continually improve the quality of the Lantern search engine for all of our users! We have millions of scanned pages, so user reports are incredibly helpful for us to identify places where we can improve and update the metadata.

Please describe the issue below, and click "Submit" to send your comments to our team! If you'd prefer, you can also send us an email to mhdl@commarts.wisc.edu with your comments.




We use Optical Character Recognition (OCR) during our scanning and processing workflow to make the content of each page searchable. You can view the automatically generated text below as well as copy and paste individual pieces of text to quote in your own work.

Text recognition is never 100% accurate. Many parts of the scanned page may not be reflected in the OCR text output, including: images, page layout, certain fonts or handwriting.

No. 10«. Der Kinematograpb — Düsseidort. Aus dem Reiche der Töne neue PlaRen - Aufnahmen. Anker- Phonogranmie. Besprochen von Mas Olitzki. Fast alle Künstler halten dieselbe Sorge, nämlich die des Repertoires. Die Geschmacksrichtung des Publikums iin Kunstgenuss ist eine so verschiedene, dass es wahrlich schwer fällt, dieser auch nur einigermassen gerecht zu werden. Der eine will nur Klassiker, der andere liebt das leichte Genre Man wünscht Opernarien, man verlangt Balladen; man hört am liebsten neckische Liedchen und zuguterletzt nur Couplets. Diese ganze Wählerei hat nichts mit dem künstlerischen Empfinden des Zuhörers zu tun. sie ist viel¬ mehr der Ausdruck des nervösen Zeitlaufes. Wahre, seriöse Kunst will man nur noch ganz vereinzelt; die Menschen halten keine Lust nachzudenken, sie halten nur den Wunsch, sich über ihre Alltagssorgen hinwegtäuschcn zu lassen, sie wollen eben nur unterhalten sein. Mit diesem ewigen Hin- und Herpendeln der menschlichen Launen müssen nun auch sämtliche Gesellschaften rechnen, die sich mit der Her¬ stellung von Schallplatten Itefassen Bei meinem jüngsten Besuche in der Anker - Phonogramm - Gesell¬ schaft Iteriihrtc es mich angenehm, die Tatsache fest- gestellt zu haben, mit welcher .Sorgfalt Herr Direktor Walleiter dem grossen Publikum Itezüglich der Stücken- wahl entgegenkommt. Wirft man einen Blick n die Ver- zcichni-tliate der seriösen Künstler, so findet man zunächst unbekannte Namen; Namen, die hier noch nicht ausge¬ sprochen sind, aber im Ausland sich grossen Renommees erfreuen. Man muss der Direktion die Anerkennung machen, dass sie einen Sänger wie Mr. Laurent Swolfs aus Brüssel an sich zu fesseln verstand Mr. Swolfs ist ein mit einer selten grossen baritonal gefärbten Tenorstimme be¬ gabter Sänger, der durch sattes Timbre und seine hervor¬ ragende französische Schulung, die ein vornehmes Phra- sieren gestattet, besticht. Wenn mir auch No. 1645 („Le s Taut“ von Goublier) als Komposition nicht sonderlich gefiel weil „die Augen“ mir zu schmachtende Blicke werfen, so muss die rein technische Aufnahme gelobt werden, die einen ungetrübten Genuss in Tonreinheit und diskreter Orchesterbegleitung bildet. Weit geistreicher und feiner ist desselben Tonsetzers „Chanson de Mai“ (die zweite Seite der Platte). Hier hat es Goublier zuwege ge¬ bracht, uns den Wonnemonat in seiner ganzen Lieblich¬ keit, in seiner Sonnenklarheit kristallhell zu zeichnen. Nur schien mir für diese tändelnde Musik das gewaltige Organ Swolfs zu schwer Der Sänger gibt in den Fermaten zuviel Stimme her; die Wirkung wäre eine grössere, wenn er die lang anhaltenden Noten in ein raezzo voce hätte auslaufen lassen. In No. 1684 („La Chanson des Gas d ’ I r 1 a n d e“ von Holmäs) gibt er sich natürlicher in der Vortragsart. Hier verrät er auch dramatisches Talent, be¬ sonders am Schluss. Im serenadenhaft gehaltenen Anfang dieser sinngefälligen Komposition weise Herr Swolfs an die Herzen zu appellieren. Er gibt ihn mit warm quellender Stimme wieder, die packend wirkt. Auch sein „E 11 e ne croyait pas“ aus Thomas’ Mignon (III. Akt), No. 1647 d. Kat. gefällt mir wegen schlichter Interpretie¬ rung, ganz dem Sinne des Meisters entsprechend. Bei diesen eben besprochenen Phonogrammen fällt die grosse Gewissenhaftigkeit auf, mit der die Aufnahmen vorge¬ nommen wurden. Das ist es eben, worauf die Techniker immer wieder aufmerksam gemacht werden müssen, weil das Gelingen einer Platte einzig und allein von ihnen ab¬ hängt. Der vor dem Apparat stehende Künstler kann nicht wissen, wie er hineinzusingen hat, in welcher Distanz er vor der Oeffnung s>ch aufzustellen hat, ob er bei einem Forte den Kopf zurückziehen, bei einem Piano ihn näb«r herantreten lassen muss. Der Griind des Mit¬ vibrierens der Membrane ist häufig darin /u finden, dass der Techniker es unterlassen hat, den Künstler auf obige Niianeen hinzuweisen. Bei Orchesteraufnahmen findet man oftmals, dass das eine oder andere Instrument zu stark horvortritt. Auch hierbei war dann die Distanz nicht genau berechnet. So fiel mir z. B. im „V a 1 s e Basque“ von Wittmann, No. 883d. Kat.,auf. dass in der Introduktion die hohen Stimmen zu scharf klungen, die Kastagnetten viel zu laut geschlagen wurden, während das Blech die Milde vermissen liess. Dieser spanische Walzer ist zu bekannt, als dass ich auf seine Eigenart hierorts einzugehe.t benötige. Einen für Deutschland neuen Walzer „Z u i d e r s e e“ von Böhme, No. 888 d. Kat., lernte ich kennen, der mit Be riieksichtigung des Glockenspiels geschrieben ist. Die Böhmesche Arbeit zeugt gerade nicht von vieler Erfindungs- galw. Sie ist in ihrer Melodie wohl zu leieien. aber diese Melodie begrtisst man als viel gehörte Dame; man glaubt sie ewig zu kennen und wundert sich nur, dass sic sich immer noch nicht verändert hat. Das Glockenspiel hat darin ein gewichtiges Wort zu roden; es würde beim Hörer angenehmer wirken, wenn cs sich nicht itr allgemeinen so aufdringlich benähme, während es an einigen Stellen wohl¬ tuend klingt. — l>ie mir weiter vorgt führten Platten werden voraus¬ sichtlich dem Januar- Katalog beigefügt, jedoch ist von einigen mit Bestimmtheit anzunehmen, dass sie als wohl- gelungene auf den Markt geschickt werden. Es ist nicht recht verständlich, warum die Anker-Phonogramm-Gesellschaft hauptsächlich mit dem Ausland verkehrt; wie mir gesagt wurde speziell mit Frankreich und Belgien. Es ist dies doch kein Grund, weil sie die Gesangskünstler dieser Lander be¬ vorzugt. Musik, besonders Gesang, ist bekanntlich intor national. Man liebt in Frankreich unseren Wagner, Richard Strauss oder Lincke, wie man l>ei uns einem (Jesar Franck, Debussy oder Chaminade viel Beachtung schenkt. Man hat dort unseren grossen Sängern grösste Verehrung entgegen¬ gebracht wie hier im selben Masse den französischen. Hs ist aus diesem Grunde rätselhaft, warum die Anker-Phono¬ gramm-Gesellschaft uns Sänger, wie den jungen Belgier Mons. C u 1 o t, vorenthalten will, oder gar dun famosen Bariton B o y e r dem deutschen Händler ganz verschweigt. Wir meinen, wenn die Anker-Phonogramm-Gesellschaft es sich würde angelegen sein lassen, ihre Fabrikate dem deutschen Markte mehr Publikatioosrechte einzuräumen, sie würde sicherlich einen doppelten Absatz finden. Wozu auch in die Feme schweifen, wo das Gute so nahe liegt! Schliesslich würde sich das in Frankreich beliebte Massenot- sehe Weihnachtslied „N o e 1“ ebenso in Deutsch¬ land einbürgem, wie unsere „Stille Nacht“, zumal es von dem bereits erwähnten C u 1 o t in schlichter, zu Herzen gehender Weise mit hellgefärbtem Bariton zum Vortrag gebracht ist. Die hierin von Masse net angewandten Akkorde verbreiten eine andachtsvolle Kirchenstimmung, da man in ihrem Klang Glockentöne zu vernehmen meint. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass das Orchester die choralartige Begleitung zu wuchtig genommen hat. Im allgemeinen ist Massenets Melodie von eindringlicher Schönheit und einer Einfachheit, die sich jedem Hörer ins Ohr schmeichelt und haften bleibt. Auch der „Postillon