Der Kinematograph (May 1909)

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"^Aus dem Reiche derTömT^ Fuchzeltuns für Kfnematosraptile, Phonosraphle und MuslK-Automaten. Bezugspreis: viertel jährlich Inland Mk. 2,10 | Anzeigenpreis: Honpareille - Zeile 20 Pfg. 2,75 | Stellen-Anzeigen die Zeile Schluss der Redaktion und Anzeigen-Annahme: Montag Abend. Zuschriften sind an den „Verlaa des Klnemetogreph", Düsseldorf, Postlech 71, zu richlen ^ I ■ Alleinige Inseraten-Annahme für Frankreich, England und Belgien durch die Compagnie gdndraie de Publicity, John F. Jones & Cie. in Paris, 31 bis, rue du Faubourg-Montmartre. Düsseldorf, 12. Mai 1909. Erscheint jeden Mittwoch. Nachdruck des Inhalts, auch auszugsweise, verboten. Kinematograph und Schuljugend. Man hat sich ziemlich allgemein beruhigt über die Frage des Besuchs der Kinematographeu durch Schulkinder. Vor einiger Zeit, als die Theater leitender Photographien wie die Pilze aus der Erde schossen, ereiferte man sich allgemein über die Frage: Soll es Kindern gestattet sein, solche Veranstaltungen zu besuchen 7 Die Allgemeinheit nahm ein lebhaftes Interesse daran, weil Bildi r gezeigt wurden, von denen man sagte, dass sie der Sittlichkeit der Kinder Gefahr brächten. Solche Bilder verschwanden. Wie weit die Polizei, wie weit die Itessere Einsicht der Besitzer dabei im Spiele war. ist gleichgültig. Damit war die Frage für die meisten erledigt. Nicht alier für den Pädagogen. Der fand, dass diese Vorführungen an sich Gefahren für die Erziehung mit sich brächten, und die Lehrervereine beschäftigten sich lebhaft nr.it der Sache. Soweit ich feststellen konnte, fand niemand eine befriedigende Lösung. Einige wollten gründliehst vorgelien und verlangen, dass den Kindern überhaupt der Besuch der Kinematographen verboten werden sollte. Die weitaus grössere Zahl der interessierten Pädagogen aber stellte sich auf den (sicher richtigeren) Standpunkt: Alle Er¬ rungenschaften unserer Zeit müssen wir dem Unterricht und der Erziehung nutzbar zu machen suchen. Wo aber liegen denn die Gefahren, die unserer .lugend aus dem Besuch solcher Theater entstehen? Es ist vor allem die eine grosse Gefahr, welche die Entwickelung des ganzen Grösstadtlebens mit sich bringt: die Zerstreuung. Verwirrung und Verflachung in der kind¬ lichen Seele. Ein Beispiel möge das zeigen. Vor 150 Jahren verlebte in der für damalige Verhält¬ nisse immerhin bedeutenden Stadt Frankfurt a. M. ein Knalie seine Jugendjahre, über die er später als ein Mann, der seine Entwickelung genau übersah, geschrieben hat: es war Wolfgang Goethe. Der erzählt, dass für seine ganze Entwickelung zwei Ereignisse in seinen Kindheitsjahren liest im mend gewesen sind: Die Bewegung und Aufregung, die der siebenjährige Krieg für Frankfurt brachte und — das Erdbeben in Lissalion. Goethe schildert. welche be¬ stimmende Richtung dieses eine Naturereignis aul ihn aus¬ übte. Seine religiösen Anschaui: ngfen bekamen eine so be¬ deutende Anregung, dass man schon bei dem Knallen von einer neuen Epoche seines religiösen Denkens und Empfindens reden kann. Diesem Beispiel stelle man nun einmal ein ähnliches Ereignis aus unserer Zeit entgegen, vielleicht den Ausbruch des Mont Pelee (der für unsere Zeit nicht weiter von Deutsch¬ land entfernt ist als im Jahre 175« Lissabon von Frankfurt). Mail frage doch einmal liei den Kindern herum, wieviele von ihnen überhaupt noch etwas von diesem gewaltigen Ereignis wissen. Und man suche nur ein Kind, für dessen Lclien dieser eine Xaturvorgang eine unauslöschliche Bedeutung gewonnen hätte. Wie kommt es, dass wir wohl alle das Suchen für vergeblich halten werden 7 Weil in unserer Zeit alle grossen Schicksalschläge der ganzen Erde sofort ausführlich bei uns bekannt sind: weil eine er¬ schütternde Begebenheit die andere verdrängt, ehe diese von unserer Seele ..aufgearbeitet“ werden konnte. Die tragischsten Vorgänge berühren nur noch die Oberfläche der Seele. Eine solche Verflachung des Vorstellungs- wie des Gefühlslebens hat aber zur Folge, dass sich keine Per¬ sönlichkeiten bilden: und das ist die Gefahr, die unserm ganzen heranwaohsenden Geschlechte droht : sie werden kein Schwergewicht, keinen Massta.li für alle Er¬ scheinungen in sich selbst haben und werden durch jedes neue Erlebnis von einer Ansicht zur andern gerissen. Wieviel weniger die Menschen, die in ruhiger Umgehung leben, dieser Gefahr nusgesetzt sind, können wir stets beobachten, wenn ein schlichter Mann vom Lande in die Grosstadt kommt. Wir schauen wohl gern mit überlegenem Lächeln sein Staunen an über all die unerklärlichen und gross- artigen Wunder, die sich ihm darbieten. Aber neidisch sollten wir auch beobachten, wie all dies Neue ihn nicht aus seinem Gleichgewicht, aus seinem Ideenkreis heraus¬ bringt. während wir sofort bereit sind, unsere ganzen Anschauungen und Einschätzung der verschiedenen Werte aufzugeben, wenn eine verblüffende Erfindung oder eine überraschende neue Theorie sich aufdrängt Eine gefestigte Persönlichkeit zu erziehen ist aber zu aller Zeit die vornehmste Aufgabe der Pädagogen ge¬ wesen und wird sie auch wohl bleiben. Während nun die Grosstadt diese Erziehung sehr erschwert durch die erdrückende Fülle \on Eindrücken.