Hellmut Diwald: Sein Vermächtnis für Deutschland (1994)

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Ein Gedenkblatt für Hellmut Diwald als »unzeitgemässe Betrachtung« logisches Verfahren angewandt, um inhaltlich besetzte Begriffe und Klischees zu unterlaufen, aber auch um dem Trugschluß entgegenzuwirken, aus dem zeitlichen Nacheinander der Ereignisse auf eine Kausalbeziehung zu schlie¬ ßen, also aus dem post-hoc ein propter-hoc zu machen. Das hat ihm viel Ärger eingebracht. Aber dafür läßt sich angeben, daß die Naturwissenschaften vom Ursprung, also vom Kausalzusammenhang, ausgehen, während die Geistes¬ wissenschaften vom Vermittlungs- und Sinnzusammenhang her sich bestim¬ men lassen. Darüber läßt sich trefflich streiten, zumal der Vorrang der »Erzählung« in der Historie zwar nie ganz zu umgehen ist, aber über den Kausalzusammen¬ hang hinaus auch ein Sinnganzes ist, selbst in einem »Lebenslauf«, der ein Naturvorgang ist, dessen »Gelingen« jedoch vom Menschen mitgestaltet wird, was gerade seinen Reiz als Beispiel sinnvoller Lebensgestaltung aus¬ macht. Historisches Denken ist immer konkret bezogenes Denken und, vom europäischen Kulturzusammenhang gesehen, immer auch konsequentes kritisches Denken, zu dessen Streben die Scheidung von Dichtung und Wahrheit gehört. 9. Für den Historiker ist die Aneignung von Texten immer eine neue Schöpfung, da er alle Quellen und Relikte als Zeugnisse ihrer Zeit betrachtet und sie aus der Einheit des Ganzen dahinter versteht. Es gibt ein Ganzes von Sinn in der Allseitigkeit seiner Bezüge. Dazu gehört auch eine Unendlichkeit des Nichtgesagten und Ungesagten, auf das hin der Text eine Antwort gibt. Der Interpret selbst steht in einem Überlieferungsgeschehen, in welchem der Text erneut zur Sprache kommt, wobei die Worte im Verhältnis zum Ganzen an Bedeutung gewinnen. Die Einheit des Ganzen ist der wahre hermeneutische Hintergrund und auch der eigentliche hermeneutische Gegenstand. Das meiste steht gar nicht in den Quellen und wird ungewollt verraten. Außerdem hat das wahre Denken durch den ihm innewohnenden Bezug auf die Wahrheit einen aufhebenden Charakter, was seine unverfälschte Vergegenwärtigung ermög¬ licht. Der Historiker beschreibt sogar, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und doch zur Wirklichkeit gehört, wie etwa die statistischen Größen Verhältnisse und tabellarischen Ereignisse, die er aus seiner Forschung aufdeckt, die aber den Zeitgenossen unbekannt waren. Vor allem kennt der Historiker den weiteren Verlauf eines Ereignisses und seine Folgen. Jedoch bleibt, daß die Zeitgenossen von damals sich wiederer¬ kennen würden, wenn sie dem Historiker über die Schulter schauen. Der Historiker muß den subjektiv gewählten und objektiv gefundenen Orientie¬ rungsbezügen gleichzeitig gerecht werden. Kein Mensch ist nur Objekt (an sich), und jeder Mensch ist immer auch Subjekt (für sich). Sein Wissen aber schafft eigene Tatbestände. Nur durch sein Wissen unterscheidet er sich vom Tier, und nur durch sein Erinnern, Erkennen und Denken wird er mitverant¬ wortlich und erkennt Schuldzusammenhänge. Alles, was geschieht, erhält 64