Hellmut Diwald: Sein Vermächtnis für Deutschland (1994)

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Kurt Kluxen Dauer durch die vorstellende Intelligenz und geht durch das »Aufheben« und »Wiederherstellen« in die Einheit des Bewußtseins ein. Es gibt eine Hermeneutik des Daseins auf die philosophische Frage: Was ist der Mensch? Oder eine Hermeneutik des geschichtlichen Daseins auf die Frage: Wer ist dieser Mensch? Die Wirklichkeit ist nicht homogen, sondern heterogen, nicht harmonisch, sondern dramatisch, nicht einheitlich, sondern vielfältig. Funktionen sind genau so wichtig wie Fiktionen; indessen ist die Wahrung des Ganzen und die Kommunikation innerhalb dieses Ganzen entscheidend für die Geisteswis¬ senschaften, während die fortschreitende Spezialisierung der Naturwissen¬ schaften bewirkt, daß man immer mehr von immer weniger weiß. 10. Hellmut Diwald war ein Geisteswissenschaftler, indessen brachte sein Begriff von Geistesgeschichte mit sich, daß er auch ein politischer Denker war, der danach fragte, was Staat und Politik heute noch sein können und was von beiden zu erwarten oder gar zu verlangen ist. Sein Aufruf Mut zur Geschichte wandte sich gegen eine weinerliche Bußgesinnung, die nicht zwischen Schuld und Haftung, moralischer und geschichtlicher Schuld oder auch Schuld als Schicksal zu unterscheiden wußte. Nach dem Zusammensturz der totalitären Ideologien muß ein neuer Anfang gefunden werden, der die Möglichkeiten und Chancen eines Lebens in Freiheit, Recht und Gerechtigkeit erwägt. Das klingt so altertümlich und vielleicht auch albern, aber es auszusprechen ist schon tröstlich, wenn es aus dem Munde von Betroffenen kommt, die alles verloren hatten und doch nicht verzweifelten. Darin bleibt uns Diwald ein Vorbild und alles zusammengenommen auch ein großes Vorbild. Seine unausgesprochene und maßgebende philosophia practica universalis als Handorakel der Weltklugheit steht hier als Pate hinter uns. Am Anfang des neuen politischen Denkens stehen nicht Deklarationen und Proklamationen, sondern das jeweilige Gemeinwesen (commonwealth) als konkrete und gewachsene Individualität, dessen Bewahrung erste Aufgabe eines Staatswesen zu sein hätte. Sprache, Religion, geistiges Leben in Recht, Bildung, Kunst und Wissenschaft bis hinein in Wirtschaft, Produktion und Handel sind und bleiben ihm vorgegeben. Durch das Besondere des Gemein¬ wesens ist der Staat (nach Hegel) in erster Linie eine Individualität, nämlich »die erste und höchste durchdringende Bestimmung in der Organisation des Staates« (s. WW10/338), der erst durch die Regierungsgewalt »Einer« ist. Ihm geht also das Gemeinwesen als »societas sine imperio« voraus, dem gegen¬ über der Staat nur eine negative (bewahrende) Kompetenz hat. So sieht es auch das Grundgesetz, wonach das Recht der Politik vorausgeht und kein Gesetz eine Rechtswidrigkeit festschreiben oder befehlen darf. Der Staat ist verantwortlicher Treuhänder für den moralischen und materiellen Reichtum des Gemeinwesens - zugleich freilich auch ein Nothelfer gegen die Not des Irdischen. Diese schlichte Feststellung ist von äußerster Wichtigkeit und ergibt, daß der Staat nur ein Mittel für das Gemeinwesen ist, das über die 65