Hellmut Diwald: Sein Vermächtnis für Deutschland (1994)

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Kurt Kluxen einst so selbstbewußten Geistesgrößen aus dem marxistischen Lager: Sie liegen wie abgetakelte Fregatten in ihren Heimathäfen und schütteln ihre Köpfe. Wer den Hut vor ihnen zieht, vergibt sich nichts. »Wo liegt denn nun endlich das Land Orplid, das ferne leuchtet?« Es liegt in der Seele dessen, der eine hat. Nicht die »Weltseele« von Jena 1806, die Hegel vorbeireiten sah, sondern der je eigene Seelengrund ist die wahre Wirklichkeit. Er ist die große Quelle, welcher die Menschheit ihr Menschentum verdankt. Die begriffene Welt ist nur die eine Seite der Medaille; denn es ist weit leichter zu sagen, was die Welt ist, als das, was sie nicht ist. Die ganze Welt des Individuums liegt in seiner Seele (Hegel 11/547), die erinnernder, denkender, wissender, erkennender, wollender, bewußter, bejahender und zudem emp¬ findender und anschauender Geist ist; er schafft die geschichtliche Welt und findet sich selbst, indem er sie hervorbringt. Nur für den denkenden Geist gibt es Wahrheit, und Denken ist Wissen vom Wahren, das im Nachdenken erfahren wird. 13. Damit greifen wir darauf zurück, daß Hellmut Diwald in erster Linie ein Geisteswissenschaftler aus Überzeugung war. Diese »Überzeugung« war jedoch keine Voreingenommenheit, sondern das Ergebnis bitterer Lebenser¬ fahrungen und schwerer Schicksalsschläge. Der Verlust von Heimat und Herkunftswelt wurde für ihn ein Weg durch trostlose Verlassenheit und Verlorenheit, aus welcher er sich in seiner inneren Auseinandersetzung mit und gegen die dämonischen Gewalten der Vernichtung und Besessenheit zu befreien wußte. Am Ende hielt er am Vorrang des Geistes und der menschli¬ chen Verantwortung fest, also daran, daß es nicht nur Schicksal, sondern immer auch menschliche Schuld gibt, wenn von Geschichte gesprochen wird. Gerade hieraus öffnete sich für ihn der Blick in die Abgründe menschlicher Bosheit und Hybris, die bei geschichtlichen Entscheidungen immer mit im Spiel sind. Dabei war für ihn als Geschichtswissenschaftler die Beschäftigung mit dem »Geist« in der Geschichte mehr ein persönliches Purgatorium als eine Abrechnung aus der Gegenwartsperspektive. Ihm ging auf, daß es zum menschlichen In-der-Welt-Sein gehört, daß der Geist auch irren kann und oft Anlaß äußerer und innerer Entzweiung gewor¬ den ist. Von einer »Herrschaft der Vernunft« konnte man nicht einmal im Zeitalter der Aufklärung sprechen, und von einer »Erziehung des Menschen¬ geschlechts«, wie sie Gotthold Ephraim Lessing (1780) so gepriesen hatte, ließ sich nur in einigen Phasen der Menschheitsgeschichte, besonders in bezug auf das Werden des Abendlandes, sprechen. Selbst eine sprachlich hochentwik- kelte Lebensgemeinschaft schloß Täuschung und Lüge nicht aus. Manche Historiker sehen in der Geschichte nur eine Kette von Gewalt und Unrecht, von Bosheit und Unglück, wo nur selten Inseln des Friedens und des Rechts auftauchen. Dagegen ließe sich eine Gegenrechnung aufstellen, die weniger spektakulär ist, aber durchaus die Waage zu halten vermag. Es gibt kostbare Errungenschaften und Fortschritte, denen wir heute unseren Lebens- 73