Film Revue (1948 Issue 3)

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W: echte Liebe ist, wissen Sie. Wis sen Sie auch, was sex appeal ist? Ja? Ganz genau? Dann ist es gut. Ich bin ‘so ehrlich einzugestehen, daß ich es zunächst nicht ganz genau wußte. Ein Um stand, der mich in keine geringe Verlegenheit brachte, die nur durch die alsbaldige Feststellung gemildert wurde, daß ich mich in einer illustren Gesellschaft von Ignoranten befand: die un:terblichen Herren der Academie Francaise und die anerkannt begabten Autoren der Enzyklopaedia Briiannica wissen es nämlich auch nicht. Der „Larousse du XXe siecle“, den ich daraufhin insgeheim konsultierte — man fällt doch nicht gerne wegen einer Bildungslücke auf —, umschreibt den fraglichen Ausdruck mit dem ebenso nichtssagender wie galanten Wort „charme‘“. Und der Große Herder, zu dem ich zu guterlett meine Zuflucht nahm, meint ein wenig boshaft, aber deswegen kaum aufschlußreicher: „Schlagwort der Nachkriegszeit aus Hollywood für eine unbestimmbare erotische Anziehungskraft.“ Das ist alles. „sex appeal“ als Schlagwort kommt. also aus Amerika. Amerika ist seit dem 12. Oktober 1492, morgens zwei Uhr, bekannt, Da .erblickte nämlich der Matrose Rodrigo auf Ihrer Majestät Schiff „Santa Maria“ jenes bißchen Insel, das sein Chef dann, nachdem er ihn gehörig um den Finderlohn geprellt hatte, auf den heilsamen Namen „san Salvador“ taufte. — Bis dahin ist es exakte Wissenschaft. Jet müssen wir uns mit der sogenannten allgemeinen Bildung weiterhelfen. | „Sex appeal‘“ als Theaterstück ist seit Ende Juli 1932 bekannt. Da erblickte es nämlich am Broadway von New York das Licht einer Welt, die auf es geradezu gelauert zu haben schien. Die Sache war dann auch ein „big shot”, auf deutsch: ein gewaltiger Knaller. Hätte Emerson noch gelebt, er würde, wie weiland von dem Geschieße von Lexington, gesagt haben: „The shot. was heard round the world .. .“ Er wurde gehört. In der ganzen Welt! — Bis dahin ist es landläufiges Wissen. Jebt müssen wir uns mit Phentasie weiterhelfen. ‚„eex appeal“ als Ding an sich ist seit einem wunderhübschen Vorfrühlingstag des. Jahres 157 628 349 v.Chr. bekannt. Da erblickte nämlich Herr Willibald Brontosaurus unweit des dritten Nilkatarakts von Assuan Fräulein : Rosamunde Dinisaura und war, obwohl sie eine geschlagene Stunde zu spät zu dem verabredeten Ren dezvous erschien, einfach baff. Diese Ver blüffung zog er sich wegen ihres ansprechenden make-up zu. Sie war stärkstens dekolletiert, hatte die Haare kadmiumgelb, die Augenbrauen kobaltblau und die Zehnägel kupferoxydgrün gefärbt, des weiteren die Wimpern durch meterlange Palm wedel verlängert und statt der für Vege: tarier vorgesehenen Kieferknorpel ein blen dend weißes Gebiß aus Elfenbein. Der’ junge Herr Willibald stand, stierte und staunte. Dann fühlte er sich unbestimmbar (siehe Großer Herder!) hinangezogen... . Das war der erste sex appeal. Die Sache wiederholte sich dann im Verlauf der nächsten. Jahrhunderttausende ein paarmal, bis die Saurier ausstarben. Mutmaßlich haben sie sich zu Tod gesexappeali. Es kamen Schnecken und Muscheln und damit anspruchslosere Zeiten. Das Schalen . getier verschwand sangund klanglos — vor Langeweile wie wir heute wissen —, und der Neandertaler tauchte auf. Er würde vielleicht zur Stunde noch leben, hätte er nicht, als er bereits im fortgeschrittenen Alter an einem Feuersteinzigarettenanzünder bastelte, zufällig aufund seine wesentlich jüngere Frau angesehen. Bei dieser Dummheit erlitt er einen Herzschlag. Die altsteinzeitlichen Ärzte stellten übereinstimmend als todbringende Ursache Sexappealitis fest. Es war also wieder so weit. Schwamm drüber. Die Zeit raste weiter. Es kamen: widerstandsfähigere Herren, der polygame Salomo, der glatköpfige Cäsar, das Früchtchen Casanova. Infolge besserer Schulung erirugen sie den Anblick ihrer diversen Sulamiths, Cleopatras und Beatrices, ohne gesundheitliche Schädigungen davon zu tragen. Bei Casanova ist das allerdings nicht verbürgt. . Es kam noch vieles und ielerlet. Der aufgeklärte, der romantische, der existenzialistische Mensch erschien. Sein. mittelalterlicher, Klassischer, materialistischer Vorgänger verschwand und nahm einiges mit ins Grab. Was aber nicht mehr verschwand, was unabhäneig vom jeweiligen Typus blieb und sich im Wandel der Zeiten und Anschauungen bekarrlich hielt, war der sex appeal. Längst nicht mehr auf Niltal, auf libanesische Zedernhaine und florentinische Boudouirs beschränkt, hat. er überall da seine beherrschende Domäne, wo ein Paar hübsche Mädchenbeine trippeln, wo unter seamienen Wimpern ein paar feurige Augen bligen, wo von rotgeschwungenen Lippen ein kokettes „Ja“ oder „Oui‘“ oder „Yes“ hüpft. Längst hat er auch die barbarischen Unarten der Jurazeit abgelegt und sich kul tiviert, sich mit Assistenz seines Trägers vervollkommnet. Kunst und Technik sind dabei seine willkommenen Helfer. Das legte Medium, dessen sich der sex appeal bedient, ist der Film. Warum auch nicht? Seit eh und je wurde ein beträchtlicher Teil des kulturellen Aufwands in den Dienst dieser geheimnisvoll anziehenden Mocht gestellt. Sollte der Film sich da ausschließen? Wo doch gerade er das menschliche Leben in der ganzen Spannweite des Begriffs, wo doch nichts besser als er die „human varieties““ in all ihren Abarten darzustellen geeignet ist, und der sex appeal als nicht mehr wegzudenkendes Faktum auch dazu gehört? Nun, der Film schloß sich nicht aus, im Gegenteil: seiner jugendlichen Begeisterungsfähigkeit tat er alsbald des Guten zuviel, überschlug sich in lärmender Servilität und gebürdete sich am Ende so, als ob die Verherrlichung des sex appeal sein Haupianliegen wäre. Es tut nichts zur Sache, daß insbesondere dem Film amerikanischer Provenienz dieser Fauxpas unterlief. Schließlich war dem Film ganz allgemein gelungen, was keine andere. kulturelle Institution fertigbrachte: er halte aus einem angängigen, zum Teil sogar erfreulichen Kult einen POSORENGER Gößendienst gemacht. Ich glaube, Sie werden mit mir 4 Meınung sein, daß wir unsere bisherige wohl Schnappschuß von der 100. Sendung der „Filmschau‘ Filme durch den Äther m Lonie der en Möglichkeiten gehört es. ic nicht wi zu de wen nellen Neuigkeiten, "ansieht, Neuerdings "geht dies sogar | bedient sich des Telefon-Leitungsnetzes, daB man sich einen Film zu Hause vor seinem Fernsehgerät sehen per Selbstwähleinrie ‚htung, wobei man mit ein paar Fingerbewezungen sich einen beliebigen Film einstellen kann. Bequemlichkeitsform wird den F ilmenthusiasten Diese neupste alleı rings nicht drahtlos. serviert, sondern 3 -seren Ursprüngen uns mit den Mitteln seiner Kunst wieder wollende Haltung dem sex appeal gegenüber angesichts dieser Tatsache einer Revision unterziehen müssen. Es ist ıämlich jegt der Punkt erreicht, wo jede weitere ‚Duldsamkeit auf Kosten von etwas an derem, viel wichtigerem geht: auf Kosten der echten Liebe nämlich. "Was das ist, wissen wir alle. Nur können wir uns in diesen subtilsten Dingen unseres Seelenlebens so schlecht ausdrücken. Ich will einmal das Wagnis unternehmen, zu sagen, was echte Liebe ist. Es soll dies beileibe keine Definition sein; damit haben sich schon ganz andere als ich ergebnislos abgemüht. Ich will nur schlicht und einfach sagen, was ich mir darunter vorstelle, Echte Liebe ist, so denke ich, bedingungslose Güte unter den Menschen, tiefes gegenseitiges Verständnis und ein gemeinsam genossenes Glück, das wesentlich darauf beruhi, daß der eine dankbar den Wert des Lebens des anderen empfindet, daß er in brüderlicher Ergrifjenheit mit ihm vereint und dafür bereit ist, zu leben, zu kämpfen und zu leiden. Wenn das in dürftiiger Umschreibung echte, wahre Liebe ist, dann, glaube ich, ist der sex appeal nurmehr ein erbärmliches Surrogat, ein dürftiger Ersat, wohl geeignet, vorübergehend unsere Sinne zu kiteln, aber niemals in der Lage, uns auf die Dauer zu befriedigen. Der Mensch behilft sich indessen nur da mit Ersat, wo der echte Stoff fehlt oder zumindest Mangelware ist. Ergebnis also: es gibt keine oder doch nur noch sehr wenig echte Liebe unter den Menschen. Ein Umstand, der uns nicht erst jest aufgeht, sondern dessen Bedrohlichkeit wir in den letten Jahren am eigenen Leibe erfahren haben und. tag täglich mehr erfahren, und der dringend der Abhilfe bedarf. Nicht durch schlechten Ersat, nicht durch billige Surrogate, sondern durch Pflege jener letzten Reste von Liebe, die noch irgendwo unter dem Schutt des. grauen Alltags ein kümmerliches Dasein. fristen. In dieser gewaltigen, uns selbst geseßten Aufgabe muß uns nun der Film als das formmächtigste Bildungsund Erziehungsmittel helfen. Er muß uns wieder zeigen, was echte Liebe ist. Er muß uns mit der Macht des gültigen Beispiels wieder zu unzurückführen, muß in jenes verlorengegangene Gefühl erwecken, ohne das wir nicht leben und das Leben nicht meistern können. Er muß das tun — bei Strafe des Untergangs, des unsrigen wie des seinen! Was wollen wir also sehen: echte Liebe oder sex appeal? Ich glaube, die Antwort fällt in dieser Stunde, da wir*am Rand des Abgrunds stehen, nicht mehr schwer. Später vielleicht, wenn wir über dem Gröbsten hinweg sind, dürfen wir wieder weniger kompromißlos sein, können wir dem sex appeal wieder einige Zugeständnisse machen. Wir werden das dann in jener galanten Art tun, mit der ein glücklich verheirateter Ehemann sich in Begleitung seiner Gattin auf der Straße nach ein paar hübschen Mädchenbeinen umsieht. Einverstanden? _ Für uns Bewohner des ärmeren Kontinents werden dies vorläufig Zukunftsträume bleiben, und wir werden noch ein Weilehen warten müssen, Bis es auch uns möglich sein : wird Ilse Werner oder 'Heinz Rühmann mittels raiget Handgrifte in unsere > Wohnung . zu ‚zitieren, = Pa wir nun aber nicht sanz auf den Füngensk im Klubsessel vierichien wollen, wissen : sich unsere Rundfunkleute mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen: Sie pumpen sich eine Filmkopie, lassen sie ablaufen und nehmen dabei Dialoge und Musik auf ein Magnetofonhand auf. Mit einem geschickten Schnitt und dureh Einstreuen. von gesprochenen Erläuterungen stellen sie daraus „Fi a zusammen, die dann, meistens mit Hörberichten aus Ateliers, Nae ‚hrichten aus dem Filmschaffen oder Interviews mit Filmkünstlern umrahmt, gesendet werden, Es spricht durchaus für die bereits große Beliebtheit dieser Sendungen, wenn der Südwestfunk im Februar dieses Jahres seine 108. „Filmschau“ senden konnte, und wir nehmen gerne diese Gelegenheit wahr, dem rührigen Leiter dieser Filmsendungen, HanswelfgangBe rg s, dazu zu beglückwünschen. ‚Seitdem der Film mit der Erfindung des Tonfilmes auch in den Bereich des Akuetiecn. eingedrungen ist, haben sich Film und Funk, die fast gleichalterigen Kinder unserer ‚Kultar, in guter Freundschaft zusammengefunden, Sie hahen sich gegenseitig in ihrer E ntwicklung vorwärts geholfen — denken wir nur daran, daß manche hübsche. Melodie, die an dem Kinsbesucher nur flüchtig vorüberklang, erst durch die regelmäßige Wiederholnng im Rundfunk zum erfolgreichen Schlager wurde, Aber auch der Rundfunk erhält durch den Film manche wertvolle Anregung, die das: Programm auflockert und belebt. Wenn auch die neuen Filmsendungen‘ w wegen des Fehlens des Grundelementes des Eilms, des Bildes, immer „unfilmisch‘ bleiben müssen, so besitzen sie doch, neben ihrem unter. haltenden Wert, für den Film eine nieht zu unterschäfzende publizistische Bedeutung, die ganz besonders der kepienarpien dentschen Nachkriegsproduktion sehr zugute kommt. Darüber hinaus läßt diese schöne Zusammenarbeit. jetzt schon für die auch für uns einmal kommende Zeit des Fernsehens, die einen noch engeren Zusammenschluß erfordern wird, eine produktive gemeinsame Arbeit erhoffen, Fotos: W, Vollrath Die .Filmsehau‘ des Siüdwesifunk bei der Redaktion der „FILM-REVUE* Beim Schnitt des Magnetofonbandes (Hanswolfgang Bergs)