Filmland : deutsche Monatschrift (1924 - 1925)

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trachtet, — aber nicht die Künstlerschait entscheidet hierbei allein, sondern die Nervenzustände geben den Ausschlag . . . Und vielgestaltig ist bekanntlich die Form der Künstlerschaft. Wie im Atelier, so herrscht auch auf den Aufnahmegeländen unserer großen Gesellschaften bisweilen eine sehr strenge Klausur. Das „Decla"-Gelände draußen in Neubabelsberg darf beispielsweise niemand betreten, der nicht einen Passierschein aus der Berliner Zentrale der Gesellschaft aufzuweisen hat. Eng ist die Pforte, die hier ins Filmland führt, — aber um so mehr weitet sich jenseits des schmalen Durchganges die Perspektive der Arbeit und des emsigen Schaffens. Die „Decla" geht, was heute nur noch die eingefuchsten Fachhasen wissen, auf eine deutsch-französische Gründung zurück: — sie nannte sich zur Zeit ihrer Gründung die „deutsche Eclaire", und aus der Abkürzung des ersten Wortes sowie der Hinzufügung der vier ersten Buchstaben des französischen Wortes wurde die deutsche „Decla" geboren. Zu den ersten Stars gehörte Fern Andra, es war also um die Zeit, als „unsere" Fern sich im Zunamen noch Andre schrieb. Und es war auch die Zeit. in der das Kino noch einen tüchtigen Schuß Zirkusblut in sich hatte, Rummelplatzromantik und Vagabundentum. Die Artistenwelt, der Verein der Schaubudenbesitzer hatten noch m ihrefiändeaufdem Filmgeschäft. In jener Epoche wurde der Grundstein zu dem gelegt, was sich reklametechnisch in „unsere" Fern ausdrücken ließ. Vieles ist seitdem anders geworden, aber man kann an diesen geschichtlichen Tatsachen nicht vorüber, wenn man sich den Werdegang des „Decla"Geländes in Neubabelsberg vergegenwärtigt. Ein großes Stück Filmhistorie ist über jenes Gelände gezogen, die Episode in Steglitz, wo man das „Weib des Pharao"und „Peter den Großen" drehte, war nur eine Episode der filmischen Fremdherrschaft und als Die Stadtvogtei bei den Aufnahmen. solche von kurzer Dauer. Die „Decla" über= ragte alles an Stabilität und wurde, trotz aller Schwankungen des Schicksals, ein ruhender Pol unter den flüchtigen Erscheinungen der deutschen Filmproduktion. Es gibt keinen Künstler, der nicht bereits draußen in Neubabelsberg gearbeitet hätte, der nicht auf den langen Weg hinaus schimpfte . . . und doch die Organisation des steif umfriedeten Platzes anerkannte . . . Auch Angehörige fremder Nationen haben schon in Neubabelsberg gearbeitet, der letzte große Film, der dort unmittelbar für das Ausland gedreht wurde, war „Decameron Nights", vorher drehte Wilcox dort die meisten Szenen für seinen „Chu Chin Chow". Die Bauten für „Mein Leopold" nahmen wochenlang den breitesten Raum auf dem Neubabelsberger Gelände ein; das alte Berlin, wie es in Kupferstichen auf uns gekommen ist, wurde fast von Grund auf nachgebildet, die berühmte Kranzlerecke, die sich an der Kreuzung der Friedrichstraße und der Straße Unter den Linden noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat, wenngleich in etwas modernisierter Form, — auch diese Kranzlerecke erlebte in Neubabelsberg eine festliche Renaissance. Aber auch für Darstellungen aus dem Volksleben hatte man Interesse; der alte Puhlmannsche Garten, den die ältesten Berliner noch in ihrer früheren Gestalt in Erinnerung haben, mußte auferstehen; man mußte die Sommerbühne „bei Puhlmanns" neu aufführen, da die Bäume, die das Unternehmen heute in der Kastanienallee beschatten, und die umstehenden Häusermit ihren steilaufragenden Giebelwänden ein ganz anderes Bild gegeben hätten. Der Pförtner des Geländes, der jeden Passierschein mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Grenzbeamten dreimal prüft, war in den Aufnahmetagen von „Mein Leopold" Grenzwächter zwischen zwei einander fremden und fernen Geschichtsepochen . . . Ganz kostbar vollends war das Zentrum des alten Berlin: die Stadtvogtei. VierWochen tönten Hammer und Beil über den Platz, Gerüste wurden aulgerichtet, Buden wurden gebaut, und als der Tag der regielichen Arbeit gekommen war, glaubte selbst der poesieloseste Komparse, einen 53