Filmland : deutsche Monatschrift (1924 - 1925)

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Griff hat sie die erste Flasche ergriffen und bringt sie Bob, der sie entkorkt. „Ein Glas", flüstert der Diener Helen zu. Das Wasserglas auf dem Tisch ist gerade zur Hand, Bob gießt ein und bringt den Rand des Glases an Daniels Lippen. Mit den willenlosen Bewegungen, die das Schlucken eines Säuglings kennzeichnen, nimmt Daniel den Kognak zu sich. Und über sein Gesicht legt sich eine helle Röte. Das kalkige Weiß der Krankheit verschwindet. Aber welcher Krankheit, fragt sich Helen. Sie wendet keinen Blick von Daniels Gesicht, bis Farnum sich in den Schultern reckt und streckt, mit den Augen blinzelt, langsam um sich schaut und Bob ein Zeichen macht. Der Diener geht mit seinem Ohr dicht an Daniels Mund und lauscht. Endlich versteht er, was der Herr sagt. „Sie soll hinausgehen?" vergewissert er sich. Daniel bejaht. Und Bob bittet die Sekretärin, das Zimmer zu verlassen. Kranke haben sonderbare Launen — denkt sich Helen. Sie tut zwar alles, Daniel Farnum von sich abzuhalten, aber in der Sekunde, in der er sie bittet, ihn allein zu lassen, ist sie doch enttäuscht. Auch die Frauen sind manchmal sonderbare Geschöpfe, nicht nur die Chefs. Nachdenklich sitzt Fräulein Franklin da und starrt auf die Tasten ihrer Schreibmaschine. Ja, diese Tasten sind nicht ganz sauber . . . Und unbewußt beginnt Helen, die Tasten zu reinigen. Oben bei den Zahlen fängt sie an, geht dann zum Q, zum W, zum E . . . Und als sie gerade das R säubern will, öffnet sich vor ihr die Tür, die in Daniels Privatbureau führt. Bob kommt heraus — er schleicht auf den Spitzen seiner Schuhe und nähert sich der Sekretärin. „Was ist denn passiert?" fragt Fräulein Franklin von neuem unruhig. „Sie sollen nach Hause gehen," sagt Bob. „Sie werden einen Brief bekommen, sagt der Chef ... Sie sollen so lange zu Hause bleiben, bis Sie weiteres erfahren!" Helen steht überrascht auf: „Aber — das ist doch . . ." Bob hebt die Schultern: „Ich soll es Ihnen sagen . . . Und Sie möchten sofort gehen!" Verärgert wirft Helen ihre Sachen zusammen. Sie kommt sich wie entlassen vor. Was ist denn in Daniel Farnum gefahren? Warum schickt er sie fort? Vielleicht schämt er sich seiner Krankheit? Aber was für ein Anfall ist es denn, dessen Opfer er so plötzlich geworden ist? Ganz unvermittelt kam das! Heute früh noch war Daniel gesund, — und dann . . . ja, dann kam Beverly aus dem Zimmer — und im nächsten Augenblick ging alles verkehrt. Hm . . . Beverly! „Sie gehen, Miß Franklin?" erkundigt sich Bob. Helen bemerkt, daß sie einige Herzschläge lang still dagestanden hat. Sie vergegenwärtigt 52 sich die Person Bobs, findet, daß dieser Greis eher sterben wird, als daß er eine Benachteiligung Farnums zugäbe . . . und sie flüstert ihm ins Ohr: „Achten Sie auf Beverly, Bob . . . Ich glaube, er ist ein Schuft!" Bob erschrickt bei diesen Worten: es geht ihm wider den Strich, gegen eine so hochgestellte Persönlichkeit des Hauses Farnum, Getreide en gros, einen schimpflichen Verdacht ausgesprochen zu wissen. Doch sieht er in Helens bittende Augen, und diese Augen können nicht lügen. „Ich werde aufpassen," sagt er ebenso leise. Dann geht Helen Franklin hinab in den Lärm Londons. Es ist drei Uhr. Wie eine Schlafwandelnde geht Miß Franklin dahin; sie achtet auf keinen Menschen, auf keinen Wagen. Sie erblickt nur noch immer das starre, gleichsam halbtote Gesicht Daniels vor sich. Was mochte diesem Anfall nur vorangegangen sein? Beverly! Es gibt Verdächtigungen, die augenblicklich aufsteigen, — an die man selbst nicht glauben möchte, die einen aber nicht loslassen, weil sie . . . geheimen Wünschen entspringen. Helens geheimer Wunsch war, Beverly schuldig und aus dem Hause entfernt zu sehen: also nährte sie, weil Beverly ihr unsympathisch war, die Hoffnung, ihn zum Verbrecher stempeln zu können. Wie aber konnte sie ihm etwas nachweisen? Halt! Es gab eine Möglichkeit! Dr. Clinch ist der Hausarzt der Farnums, — ein etwas wackliges Gestell zwar, aber doch wenigstens ein Mensch, mit dem man einmal sprechen kann. Unter dem Anhang der Farnums befinden sich ja, leider, sehr viel Greise. Das ist das Uebel aller alten Familien . . . Dr. Clinch wohnt in der vornehmen Rutland Gate, dicht am Hydepark. Er war einstmals ein Stammgast in Rotten Row und einzig aus diesem Grunde nach Rutland Gate gezogen. Eine Praxis hatte er . . . ach Gott, wann hatte Clinch wohl einmal eine Praxis besessen? Helen Franklin kommt bei dem Gedanken an Dr. Clinch wieder zu sich, sie orientiert sich allmählich, sie findet sich zurecht und besteigt einen Bus, der nach Kensington hinausgeht. Bald ist sie vor der Wohnung von Dr. Clinch angelangt. Zwar ist es ihr eine kurze Zeitspanne peinlich, mit dem ihr unbekannten Arzt über eine ihr unbekannte Sache zu debattieren, doch muß in der seltsamen Angelegenheit etwas geschehen . . . Für den Moment ist es zwar nur seltsam, daß Daniel sie, seine Privatsekretärin zum Tempel hinausgesetzt hat, aber in Anbetracht seiner Verehrung für sie genügt das, Helen stutzig zu machen.