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tffonore de Balzac
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or etlichen Jahren unternahm ich den Versuch, die Neuerscheinungen unter den Filmen grundsätzlich vom speziell dramaturgischen Standpunkt zu würdigen. Abgesehen von der landläufigen Kritik machte ich es mir zur Aufgabe, sozusagen das herauszuschälen, was man die dynamischen Kräfte der Filmhandlung nennt. Ich betitelte diese Betrachtungen „Dramaturgische Streifzüge", steckte sie aber bald wieder auf, da es sich herausstellte, daß alle gutgemeinte Theorie meinerseits an der hartnäckigen Praxis der anderen abprallte. Aus jenen Tagen der dramaturgischen Erwägungen ist bis heute auch nur eins übrig geblieben, und das ist die Verwunderung darüber, daß unsere Filmautoren, mögen ihre Akte auch später durch das Dazwischenarbeiten von sechs oder sechzehn verschiedenen Kompetenzen in der Phantasie so sehr eingeengte Wege gehen, — und Wege zumeist, die weder durch die Ausdrucksmittel der Filmkunst an sich, noch durch irgendwelche Rücksichten anderer Art vorgeschrieben erscheinen.
Daß unsere Filmdramaturgen zum weitaus größten Teil aus der Phantasie der verflossenen Jahrhunderte leben, ist zu zahllosen Malen besprochen . . . und betrauert worden; und das geht so weit, daß, vielleicht infolge eines geschäftlichen Winkes von Seiten der Produzenten, auch Schriftsteller, die früher einen eigenen Pegasus ritten, sich ihr poetisches Reittier heute anderswo ausborgen und nun frisch und munter auf jede Eigenart verzichten. Gewiß ist ihnen daraus kein Vorwurf zu machen: jeder bietet das an, was verlangt wird, und die Filmdichter wollen vor allen Dingen zunächst leben, ehe sie an die Pflege persönlicher Ideale denken können. Aber wie dem auch sei: irgendwo sitzen diejenigen, denen Vorwürfe nicht erspart werden können, und wer sich nun getroffen fühlen möge — unter dem belastenden Gefühl, an der Phantasiearmut unserer Filmproduktion mitschuldig zu sein, dürfte manch einer, wenn sein Empfinden für Gerechtigkeit und Selbsteinschätzung noch nicht ganz dahingesiecht ist, in dieser Sekunde erröten.
Es gibt eine kleine, bescheidene Anzahl von Filmkritikern unter der an sich schon geringen
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Zahl guter Filmrezensenten, die in ihren Berichten von Fall zu Fall darauf hinweisen, wie sehr uns ein moderner Gesellschaftsfilm not tut. Die besten unter diesen Kritikern erinnern gelegentlich daran, daß die „Gesellschaft", wie wir sie seit etwa anderthalb Jahrhunderten kennen, ein Produkt der verschiedenen beruflichen und sozialen Milieus ist — und daß die Repräsentanten dieser Gesellschaft sich naturnotwendigerweise, gleichsam, als gehorchten sie bestimmten Naturgesetzen, aus den Umgebungen der Kindheit und des späteren Werdeganges ergeben. Wir sind durch diese Anschauung dazu übergangen, die verschiedenen Berufe und Stände in gewissen Typen inkarniert zu sehen, und wir fühlen uns dann am allermeisten überzeugt, wenn die Type, die uns ein moderner Schauspieler bringt, den landläufigen Vorstellungen von einer gewissen Kaste entspricht. Man hat, die besonderen Bedingungen der Filmkamera berücksichtigend, dann und wann davon gesprochen, daß die persönliche Type eines Menschen im Film die gleiche wie im bürgerlichen Leben bleiben müsse, das Schminken also tunlichst zu unterbleiben habe, weil das Objektiv des Aufnahmeapparates bei allen künstlichen Barten und Haarfrisuren die Falschheit rücksichtslos enthülle. Doch sind die Verteidiger dieser Ansicht an den praktischen Beobachtungen gescheitert: vereinzelte Masken-Leistungen von Robert Scholz, Klein-Rogge, Mierendorff und manchen anderen bewiesen noch immer, daß auch die photographische Kamera sich täuschen läßt. Bei der Erfassung sozialer Typen sind wir also durchaus nicht an die vorhandenen Gesichter gebunden, sondern können uns alles das zurechtschminken. was vielleicht fehlen sollte.
Diese allererste Einsicht ist vonnöten, um der Idee eines modernen Gesellschaftsfilmes überhaupt nähertreten zu können. Denn der Gesellschaftsfilm, wie er sich in phantasievollen Köpfen malt, ist etwas ganz anderes, als was wir bisher aus Amerika herüberbekommen haben. Die ewigen Millionäre mit ihren harten Herzen in unmöglichen Handlungen, die ewigen Erfinder mit ihren verliebten Millionärstöchtern, all das hat mit unserm Begriff Gesellschaft nicht
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