Filmland : deutsche Monatschrift (1924 - 1925)

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S. J. Rupp und Nero — , eine Parallele? In Hamburg läuft zurzeit der große Film „Quo vadis?" Man kann und soll für und gegen diese Massenfilme vorbringen, was man für richtig hält: Chacun ä son goüt. Aber die zwei Worte: Quo vadis? gehören zu jenen Zauberworten, die wohl in der ganzen Welt bei vielen eine ganze Märchenwelt oder wenigstens Erinnerungen an das glühende, mitreißende Werk von Sienkiewicz wachrufen. „Quo vadi?" — Wohl bei allen wecken diese Worte die Vergegenwärtigung eines Menschen, der der Inbegriff seiner ganzen Zeit war, der alle Ausmaße dieser Zeit des untergehenden Roms besaß; — und dieser Mensch, wenn wir ihn mit diesem Wort überhaupt noch kennzeichnen können, war „Nero". Und diesen Nero spielt Emil Jannings, ja, er spielt ihn, und die Kritiken mögen über diese Leistung lauten, wie sie wollen, das geht mich hier nichts an, Jannings spielt den Nero, aber er i s t kein Nero! für meine Begriffe, und ich stehe mit dieser \nsicht nicht allein, ist die erste und größte Aufgabe für die Filmdarsteller, vor allem bei der Verfilmung derartig bekannter und vielgelesener Roman wie „Quo vadis?", aber auch bei der Darstellung solcher festumrissenen, scharfbegrenzten Gestalten wie des historischen Nero, diese Menschen so zu bringen, daß, wer sie gesehen, für alle Zeiten nur noch die von Jen Künstlern geschaffenen Gestalten vor seinem geistigen Auge hat, daß diese Figuren eins werden mit seinem bisherigen Phantasiemenschen. Denn wenn dies nicht gelingt, kann mir der Film nichts geben, er kann dann nur noch zerstören; und es ist wohl nicht die Aufgabe und der hohe künstlerische Zweck des Films, den Eindruck von berühmten Romanen, Dichterwerken oder historischen Studien zu zerstören. Gelingt diese Zerstörung nicht, hat die Phantasie die Gestalten bereits zu fest geformt, so hat man noch 84 immer keinen Genuß von dem Film, sondern es erwacht nur die Kritik. Diese sollte aber doch nicht schon während der ersten Bilder eines Films die vernichtende Wirkung ausüben, denn dann habe ich nur ein Manko nach dem Filmbesuch zu buchen. Das dürfte wohl auch nicht der erstrebte Zweck sein?! Doch nun zurück zu Jannings. Dieser Künstler vergißt ganz, daß Nero der letzte Erbe des Cäsarenwahnsinns der Julisch-Claudischen Imperatorenfamilie war, geistig hochbegabt, jedoch einer jeden Ausschweifung zugeneigt. Nero ist die höchste Potenz der Selbstsucht, in einer Zeit der krassesten Selbstsucht, der maßlosen Subjektivität, welche die ganze Welt nur als einen Gegenstand ihres genußsüchtigen Beliebens betrachtete. Nero war selbst in seinen Lastern ein Uebermensch, der in seinen unnatürlichen Leidenschaften aufhört, Mensch zu sein, und sich bei diesem psychologischen Prozeß selbst vernichtet. Wer die Greuel der Cäsarenfamilie in historischen Dokumenten studiert, der fragt sich nur eins: wie war so Ungeheuerliches möglich? Die Entartung der Römerwelt ist eine Abnormität, und so auch Nero der Prototyp seiner Zeit. Aber Nero war und blieb selbst im Fürchterlichsten, und gerade in diesem Unfaßbaren, Ungeheuerlichen seiner Entartung, Uebermensch und Cäsar. Jannings' Nero dagegen fehlt gänzlich dieses weite riesenhafte Ausmaß. Besitzt dieser Nero das „Götterbewußtsein"? Neros kaltblütige Frevlernatur? Neros „titanischer" Charakter bleibt von Jannings absolut unberücksichtigt. Kann man denn Bösewichter und Tyrannen nur dadurch charakterisieren, daß man sie ausschließlich unsinnig und niederträchtig darstellt? So flüchtig kann und darf ein Nero nicht gestaltet werden. Nero besitzt einen „titanischen" Egoismus, in dem er die ganze Welt im Freudenwein des Genusses auflösen will. Nero ist ein Blasierter.