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habens aus der tönernen Sparkasse stattgefunden hatte, pilgerten wir beide direkt über die Höhen der Wupperburg der Stadt Solingen zu. Wie gesagt, nach reichlich drei Stunden befanden wir uns endlich verstaubt und verdreckt mitten in dem Jahrmarktsrummel. Unser heißersehntes Ziel hatten wir bald im Auge, wir brauchten bloß die Richtung zu nehmen, wo ein Ausrufer mit der übermenschlichen Macht einer unglaublich heiseren Stimme fast selber wie ein Star aus der Umgebung seiner Konkurrenten ragte und mit den unbedingten Gebärden eines Biedermannes die Wunder der lebenden Photographie anpries, mit grauenhaften Schwüren zum Himmel empor dem Publikum beteuernd, daß hier jeder Schwindel ausgeschlossen sei. Nachdem wir beiden Knirpse uns die überzeugende Rhetorik dieses modernen Demosthenes ungefähr eine halbe Stunde angehört hatten, war auch in uns jeder Gedanke an einen eventuellen Betrug erstickt und hielten wir schon in Anbetracht unserer Wanderleistung einen derartigen Vertrauensmißbrauch für vollkommen ausgeschlossen. Der Stimmjongleur, als er die Nickel zwischen unseren Fäusten sah, bugsierte uns mit einer erstaunlichen Griffertigkeit zur Kasse und ehe wir noch zur Besinnung kamen, saßen wir schon in dem großen, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen, langgestreckten Zeltraum. Nach einer Weile fiebernder Erwartung ging dann endlich der Zauber der lebenden Bilder los. Die Lichter gingen aus und die große viereckige Leinwand wurde ganz hell, ein geheimnisvolles Rattern setzte ein und ich sah mein erstes Filmbild, eine Reiterattacke; das Blechorchester spielte dazu die „Leichte Cavallerie", und dann kam das eigentliche Stück; es hieß „Die Reise nach dem Mond" und war eine parodistische Filmbearbeitung nach dem Roman von Jules Verne. Ich will es kurz machen, noch heute habe ich jeden Meter dieses Filmbandes im Gedächtnis und um eine geringe Vorstellung von dem Grade unserer Begeisterung zu geben, kann ich sagen, daß wir beide uns jedesmal nach Schluß einer Vorstellung in eine der Samtfalten verkrochen und bei Beginn der nächsten wieder verstohlen auftauchten. Und das wagten wir dreimal. Es war späte Nacht, als wir heimkamen, und doch ist mir darnach der himmellange Weg nur wie eine Viertelstunde erschienen. Mein Vater besaß so viel Verständnis, meine tiefe seelische Erregung und die traumhafte Nachwirkung der Illusion nicht durch eine Tracht Prügel zu zerstören. Im Gegenteil, vielleicht in der Mummen Anerkennung meiner Tagesleistung fuhr er am folgenden Sonntag ebenfalls hin und nahm mich nochmals mit und ich konnte unter den gesteigerten Eindrücken der Erinnerung nochmals intensiver genießen.
Sie lächeln, doch glauben Sie, heute noch habe ich wenige Filmerlebnisse, die ich der tiefen Nachhaltigkcit des ersten Jugendeindruckes an die Seite stelle. Seilst nicht im Hinblick auf die Distanz der dazwischen liegenden allgemeinen Filmentwicklung von dem damaligen Anfang bis jetzt und trotz der dadurch bedingten gut fundierten Basis einer langjährigen Erfahrung und daß ich kaum je einen harmloseren
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Filmstreiten mehr erlebt habe. Heute noch verspüre ich jenes wunderschöne eiskalte Gruseln, wenn ich daran zurückdenke, wie die Professoren in das Riesenprojektil hineinkletterten, wie dann eine Schar von Matrosen diese kolossale Granate mittels Kranen in das Titanengeschütz einführten und alsdann den ungeheueren Schlund auf den Mond richteten und abfeuerten. Es war köstlich und doch ist es mir unbegreiflich, wie hoch damals schon die Ateliertechnik stand. Was könnte man heute bei der jetzigen Filmtechnik aus dieser prachtvollen Filmidee machen? Ich empfehle sie den Produzenten zur Repetition. Doch das ist nicht der Endsinn der kleinen Geschichte. Das, was ich meine, ist dieses Schauen des Filmbandes mit allen Fasern der Seele und der ganzen begeisterten Kraft der Jugend, mit der glühenden Bereitwilligkeit und Aufnahme-Empfänglichkeit aus einem überquellenden Idealismus heraus; und das habe ich mir bis auf den heutigen Tag bewahrt, wenn sich auch selbstverständlich mit den Jahren der persönlichen Entwicklung, in der Parallele mit dem Film selbst, ganz andere Perspektiven eröffnet haben; trotz mancher interessanten Zwischenstufe und Pubertätserscheinungen beider angeführten Begriffe, des Subjekts und im Ingenium des Objektes.
Um dieses näher zu erklären, füge ich noch nachfolgende kleine Anekdote ein, die aber auch ein psyhchologisches Moment hat. Gleich nach meinem ersten Filmerlebnis wurden meine Eltern nach Wien versetzt. Im zweiten Bezirk, unmittelbar neben dem Prater nahmen wir Wohnung. Als ich zum ersten Male den Praterrummel besuchte, wurde da gerade ein sogenannter „Biograph" für ständig eröffnet. Alle vierzehn Tage wurde ein neues Programm gespielt und Sie können sich denken, daß ich dieses Dorado ausnützte. Nun kam allmählich auch die Periode, wo die Quelle der Filmproduktion schon reichlicher floß und die Erzeugnisse waren schon von beachtenswerter Bedeutung. Namentlich war es das sogenannte Filmdrama, zumeist aber nur dreiaktig. Da führten viele Theater den Modus ein, zur besseren Erklärung der mangelhaften Filmtexte und auch sonst zur vokalen Unterstützung und Untermalung in der Steigerung des Filmdramas einen Rezitator in Funktion treten zu lassen. In dem „Biograph'' auf dem Vi'urschtelprater war es der dicke Pepi. Einstmals war er am Hofburgtheater Statist gewesen und hatte zusammen mit Sonnenthal und Lewinsky in den „Räubern" auf den weltberühmten Brettern gestanden; darum hielt man besonders den Pepi dafür befähigt, diesen edlen Beruf auszufüllen. Zu dieser Zeit aber zeigte der Pepi bereits die offensichtlichen Symptome einer unheilbaren Herzverfettung und da er schon von Natur aus ein sehr schmalziges Organ besaß, so suchte er eine bessere Modulation seiner Stimme dadurch herbeizuführen, indem er im Laufe des Tages seine Kehle mit ungezählten Vierteln Grinzinger in der gegenüberliegenden Praterweinschänke begoß, natürlich nach innen. Den vollen Genuß von der Wirkung seiner Methode hatten immer die Besucher der letzten Vorstellungen. Mich traf auch einmal das Schicksal, um diese Zeit das