Filmland : deutsche Monatschrift (1924 - 1925)

Record Details:

Something wrong or inaccurate about this page? Let us Know!

Thanks for helping us continually improve the quality of the Lantern search engine for all of our users! We have millions of scanned pages, so user reports are incredibly helpful for us to identify places where we can improve and update the metadata.

Please describe the issue below, and click "Submit" to send your comments to our team! If you'd prefer, you can also send us an email to mhdl@commarts.wisc.edu with your comments.




We use Optical Character Recognition (OCR) during our scanning and processing workflow to make the content of each page searchable. You can view the automatically generated text below as well as copy and paste individual pieces of text to quote in your own work.

Text recognition is never 100% accurate. Many parts of the scanned page may not be reflected in the OCR text output, including: images, page layout, certain fonts or handwriting.

Gauner, Lebeleute, verdächtige Gents; Jünglinge mit dem Drang zum Film in der Brust; Elevinnen schütteln wie Löwen die ehrgeizigen Bubiköpfe. Und scheinen des Nachts die Sterne, dann träumen sie alle davon; — wie schön es heute war, und wie es erst sein wird, wenn sie Star geworden sein werden . . . In der hintersten Ecke sitzt Mucki, bei Mama. Mucki ist schlechter Laune. Mucki ist schön. Mucki will Motorrad fahren. Mucki ist fünf Jahre alt und heißt Lisa Deyhle. Ihren Namen verschweigt sie. Man hat zu wissen, wie sie heißt. Mucki ist der jüngste Star der Emelka. Mucki hat am Vormittag die Aufnahme ..geschmissen". Mucki hat gestreikt. Als aufgeblendet wurde und die mit großer Geduld und Sorgfalt von Joe Stoeckel vorbereitete Szene gekurbelt werden sollte, als am Flügel und auf der Geige eine weiche Musik angeschlagen wurde, damit die Nüchternheit der Umwelt versinke; als Gertrude Mac Coy mit aufgelöstem Haar den während stundenlangen Wartens aufgespeicherten Vorrat an mütterlicher Verzweiflung über Mucki ergießen wollte, da erhob sich Mucki vom Sessel und erklärte: „Ich mag nicht!" Und als Joe Stoeckel ihr eine Puppe versprach, „so" groß, (er deutete etwa einen Meter an), wenn Mucki jetzt filme, da kletterte Mucki auf den Tisch und sagte: „Nein, sooo groooß muß sie sein!" Aber gefilmt hat sie dennoch nicht. Gertrude Mac Coy hat ihre aufgelösten Haare zusammengerafft und wird mit Mucki unverrichteter Dinge nach München zurückfahren. Mucki ist süß. Mit großen, unschuldigen, schönen, ausdrucksvollen Augen hat sie alle der Reihe nach angesehen, sie hat allen zu verstehen gegeben, daß sie doch unmöglich filmen könne, wenn sie halt nicht mag. Jetzt wandere ich endlose Gänge entlang, durch zahllose Zimmer, durch Werkstätten, durch Räume, in denen ganze Häusereinrichtungen stapeln, Möbel aus Proletarierwohnungen und Schlössern. Ueber mir klatscht es aufs Dach des Hauptfundusraumes, der sich 50 Meter in die Länge und 25 Meter in die Breite dehnt. Es regnet. Regnet es wirklich? Oder erzeugt irgendein Spaßvogel dieser Wunderwelt einen künstlichen Regen? — Nein, dieser Regen ist echt! Joe Stoeckel hat Pech! Fr muß die Komparsen nach Hause schicken und sie wieder zusammentrommeln, wenn schön Wetter ist, wenn Freiaufnahmen gemacht werden können. Die Davonziehenden lachen ins Fäustchen. Sie sacken ihren Tageslohn ein. ohne Gegenleistung getan zu haben, und treuen sich, daß man sie morgen oder übermorgen wieder brauchen wird. Ich strebe an Litfaßsäulen vorbei, an Schiffahrtskajüten. an Wandeltreppen und gebe Obacht, daß mir keine von den über mir hängenden Theaterlogen auf den Kopf fällt. Hier sehe ich die Bestuhlung für ein Theater 86 mit 1500 Plätzen. Dort lagert eine riesige Bibliothek. Echte Kaminteile aus allen Jahrhunderten sehe ich, Sitze aus Eisenbahncoupes aller Klassen, neben dem Eingang zu einem Tanzpalast sehe ich den vorderen Teil einer Schnellzugslokomotive; ein Lüster mit 600 Effektlampen hängt irgendwo, Dekorationsstücke aus den entlegensten Bezirken des Erdballs stehen geordnet. Nebenan schlägt der Regen auf ein Palmenhaus, in dem tropische und nordische Pflanzen dicht beieinander blühen. Dazwischen liegt ein Affenpark, der große und kleine Exemplare beherbergt. Der größte von ihnen springt Willy Reiber in einer heftigen Gefühlswallung an die Brust, verzieht die Visage zu einem breiten Lachen, gibt ihm eine seiner Klauen und drückt lange Reibers Hand, als wollte er ihm zu seinem Debüt als Regisseur gratulieren, das er tags zuvor glücklich und vielversprechend bei der Premiere des Films „In den Sternen stehts geschrieben" überstanden hat. Dann saust ein Auto heran. Jack Mylong-Münz steigt aus, noch in der Maske einer Rolle, die er bis eben im BavariaAtelier in einem Detektivfilm unter der Regie von Franz Seitz gespielt hat. Niebuhr wartet auf ihn. Und nicht lange, so ist aus dem Darsteller eines Liebhabers, der einen Mord, den die Geliebte begangen hat, selbstlos auf sich nimmt, ein herrschsüchtiger, machtlüsterner, selbstsicher intrigierender venetianischer Charakter geworden, der über Frauen und Leichen geht. Das Auto nimmt mich auf, um mich ins Bavaria-Atelier, weit draußen an der Nordgrenze, zu führen. Dies Gelände hat die „Emelka" neuerdings ihrer Tätigkeit einverleibt. Sie braucht Platz. Sie braucht Kräfte. Sie arbeitet zugleich an sechs Filmen, nachdem drei fertige fertige Produktionen gerade ihre Werkstätten verlassen haben. Unterwegs begegnen wir dem Regisseur Max Obal, sinnend, gedankenverloren. Er scheint nachzudenken, wie er Stuart W e b b s bei der nächsten Partie im Filmklub hereinlegen kann. Oder überlegt er, welch neue Wendungen er dem nächsten Manuskript, dem er Leben zu geben hat, abtrotzen wird? Er hat letzte Woche mit Stuart Webbs den „Fluch der bösen Tat" beendet und als erster bewiesen, daß man einen Detektivfihn auch ohne A uto und ohne Telefon Tempo zu geben vermag. Auf dem Bavariagestade stehen noch die mächtigen Fassadentrümmer, an denen die Flammen emporleckten, als Asta Nielsen zu den Aufnahmen der „Frau im Feuer" gekommen war. Im Atelier herrscht drückende Hitze. Die Sonne ist mittlerweile durch die Regenwolken gebrochen. Joe Stoeckel hat Pech. Jetzt hat er schön Wetter, aber keine Komparsen mehr. Franz Seitz, still aber voll innerer Bewegung, dirigiert das Heer der Beleuchtungsoperateure.