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„Auf Wiedersehen!" sagte Celeste lächelnd und reichte ihm die Hand.
„Auf Wiedersehen, meine Teure!" nickte Leblanc und beeilte sich, an der Zofe vorbeizukommen.
Als er auf der Straße stand, schalt er sich: er hätte vielleicht mit dem Kammerkätzchen schön tun können . . . Dann aber war er wieder mit sich zufrieden: in diesem Hause ging es nicht an, derartige Winkeldetektiv-Allüren anzuwenden, i Er mußte anders zum Ziele gelangen. Aber — wie?
Sein Ziel war schließlich, Sabadell zu verhaften.
Als er langsam und nachdenklich die Straße der Petites Ecurieries hinaufging, wurde ihm gewiß, daß er die Unterhaltung bei Madame Richepin am falschen Ende angefangen und sie dort beschlossen hatte, wo er sie hatte beginnen sollen. Aus lauter Vorsicht — und um nur keinen Verdacht zu erregen, hatte er sich falsch herum bewegt. Das machte ihn mißgestimmt und erfüllte ihn mit Haß gegen Celeste; seine Eigenliebe sah sich verletzt, und er trug in seiner Vorstellung alle Treulosigkeiten zusammen, die er von Madame Richepin je erhalten zu haben vermeinte. Schließlich, da er bereits die Rue Saint Denis Straße erreicht hatte, zweifelte er nicht mehr daran, daß diese Frau eine gefährliche Hochstaplerin sei, die — Beweis genug! — die mannigfachsten Beziehungen zur Polizei suchte, um hinter deren Schliche zu kommen und womöglich höhergestellte Polizeibeamte ins Unglück zu stürzen. Daß dies im Falle Pollard beinahe gelungen war, bestätigte die Kombinationen Leblancs nur zu sehr, so daß eigentlich das Schwergewicht der polizeilichen Recherchen gegen Celeste, nicht aber gegen . . . Sabadell zu dirigieren sei . . .
Jedenfalls war Pollard ein Opfer hinterhältiger Intrigen und mußte vor den Fallstricken Celestes in jeder Weise sichergestellt werden.
Richard Leblanc war schon seit drei Tagen auf den Spuren des flüchtigen Bankiers, als er in Erfahrung brachte, daß Sabadell vor mehreren Monaten mit Encima Soberbia, einem Tanzstar der „Cigale", liiert gewesen war; die Soberbia hatte ihre Tätigkeit in der „Cigale" inzwischen aufgegeben und war vor etwa zehn Tagen aus Paris abgereist. Die Inhaberin einer wenig einladenden Pension in der Rue des Dames, in der die Tänzerin gewohnt hatte, bestätigte das, verriet jedoch, daß sie an die Abreise nicht glaube, da sie noch gestern, au einem Donnerstag, den dicken Herrn, der sie bisweilen besuchte, in den Avenue de Friedland gesehen hätte. . . und an seiner Seite eine Dame, die der Soberbia verteufelt ähnlich gewesen wäre . . . Das war eine Fährte, die aufzunehmen sich lohnte!
Leblanc machte den Oberinspektor Pollard
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durch allerlei Andeutungen gespannt, und als dieser ihn dringend bat, in dienstlicher Beziehung offen und mitteilsam zu sein, da steckte der Detektiv ein beleidigtes und höhnisches Gesicht auf und behauptete, zur Stunde noch nicht das geringste zu wissen.
„Mein lieber Leblanc," bettelte Pollard. „ich muß damit rechnen, jeden Tag zum Präfekten befohlen zu werden. Was soll ich da sagen? Mir sitzt der Strick an der Gurgel!"
„Nehmen Sie ihn selbst ab, wenn Sie es können," sagte Leblanc, der das eine Ende des Stricks in der Hand zu halten vermeinte.
Nach abermals zwei Tagen hatte Leblanc. der eine rege Tätigkeit entfaltete und ansehnliche Spesen berechnete, ermittelt, daß Encima Soberbia im östlichen Paris lebe, und zwar im Boulevard Voltaire, unmittelbar neben der Place de la Nation. Eine wenig gemütliche Gegend — , dachte er sich, aber sie wird Grund genug haben, sich dort verborgen zu halten. Er suchte das Viertel auf, stellte das Haus fest und installierte sich in einer Kneipe mittleren Ranges, die die Hausfront zierte. Niemand kannte ihn hier, und als er schon am ersten Abend Zeuge einer gefährlichen Schlägerei wurde, hütete er sich, einzugreifen.
„Junger Mann," sagte der Wirt zu ihm, „Sie sind erst zugezogen in der Straße, wie? Es ist selten, daß jemand an solcher Geschichte unbeteiligt bleibt!"
Leblanc half, die beiden Hauptgegner zu verbinden; sie bluteten aus unzähligen Schrammen und Rissen und verwandelten das Gasthaus in eine blutbesudelte Schlachtstätte.
„Ach," sagte er, während er ein Taschentuch zerriß, „ich habe auch meine Wunden, man sieht sie bloß nicht!"
„Schau an," mischte sich die Wirtin ein. „Wunden, die man nicht sieht! Wo sitzt denn das Schmerzchen, he? Sagen Sie's mir. junger Mann . . . Vielleicht weiß ich einen guten Schnaps dafür!"
Etwas später am Abend klopfte ihm die Wirtin wieder auf die Schulter. „Nun schießen Sie los, mein Bramarbas," sagte sie und setzte sich an seine Seite, „sitzt's links oder rechts, he? Oben oder unten?"
„Mitten drin," sagte Leblanc bleiern schwer.
„Und wie heißt sie . . .? Ist sie aus der Gegend?"
Diese Frage brachte Leblanc auf den neuen Weg; sonderbar, dachte er, daß ich immer die Anregungen von andern bekomme . . . Ja." sagte er laut, „sie ist aus der Gegend, sogar aus dem Hause, aber verraten Sie mich nicht, nein? Wer kann schließlich dafür, nicht wahr?"
„Aus dem Hause?" fragte die Alte. Und dann huschte ein Verstehen über ihr Gesicht; sie nickte: „Ich weiß schon, die Spinöse da oben, die neue, was?"
„Die Tänzerin", bestätigte Leblanc.