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klärung klinj^t bei einer Dame Ihrer Gesellschaftsklasse doch einigermaßen befremdlich!"
Evelyn klammerte sich fester an die Lehne ihrer Bank, ihre Augen irrten hilflos ins Leere.
„Ich stehe hier am Schandpfahl, Herr Direktor", begann sie dann mit Anstrengung. ,,Aber tiefer, als ich schon gefallen bin, kann ich nicht mehr stürzen. Darum sage ich es ganz frei und offen: Ich wollte fort von meinem Mann, mit dem mich nichts mehr verband. Der Abend im Westendtheater hatte uns gevk-issermaßen noch einmal ein Spiegelbild unserer Ehe gezeigt. Und was dort auf der Bühne geschehen war, wiederholte sich später in unserem Hause. Es gab eine Aussprache zwischen uns, bei der die letzten Masken fielen und es schließlich zum Außersien kam. Mein sonst so ruhiger und beherrschter Gatte stürzte plötzlich wie ein Wahnsinniger über mich her und versuchte mich zu erwürgen. Da gab mir die Todesangst noch im letzten Augenblick Riesenkräfte. Wie durch ein Wunder war ich wieder frei, hetzte zur nächsten Tür und rettete mich in mein Schlafzimmer!"
In einem heißen Schluchzen sank sie plötzlich wieder in die Bank zurück; ihr ganzer Körper bebte in verhaltener Erregung. ,,Das ist der Tatbestand des verhängnisvollen Abends", fuhr sie endlich, wie aus einer Betäubung erwachend, fort. „Aus dieser Stimmung heraus verließ ich später das Haus und fuhr nach Schlachtersce. Weil ich Schutz und Hilfe suchte und sie am ersten bei dem Mann zu finden glaubte, an dem mein ganzes Herz hing. In Schlachtensee habe ich dann stundenlang vor der Villa Hartkort gestanden und auf Dr. Steinhoff gewartet. Doch vergebens. Erst viel später fiel mir ein, daß er seinen ersten großen Bühnensieg wohl mit seinen Freunden feiern und in dieser Nacht vielleicht gar nicht nach Hause kommen würde. Da hab' ich mich endlich auf einen Stein an der Chaussee gesetzt und muß wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Denn als ich erwachte, schien bereits hell die Sonne. Mühsam schleppte ich mich bis zum Bahnhof Schlachtensee und fand hier ein Auto das mich nach Zehlendorf brachte. Eine Stunde später erreichte mich dann dort die Nachricht vom Tode meines Gatten!" Von neuem erstickten ihr die Tränen die Stimme. Der Vorsitzende hatte den Kopf in die Hand gestützt; sein gütiges Gesicht war tiefernst.
„Haben Sie Ihre Nerven jetzt wieder so weit in der Gewalt, daß ich mit Ihrer Vernehmung fortfahren kann?" unterbrach er endlich das lastende Schweigen. Evelyn nickte wortlos.
Die Zähne sciilugen ihr wie im Fieberfrost aufeinander, doch mit Anspannung aller Willenskraft zwang sie sich zu äußerlicher Beherrschtheil.
,,Sie haben Ihrem Diener angegeben," sagte der Richter, „daß Ihr auffallend spätes Verlassen des Hauses einem Besuch bei Ihrer kranken Mutter gegolten habe, und diese Angabe auch bei Ihrer ersten Vernehmung in Moabit aufrechterhalten!"
Evelyn fuhr mit dem Taschentuch über die brennenden Augen. ,,Das war im Falle unseres Dieners eine berechtigte Notlüge und dem Herrn Untersuchungsrichter gegenüber ein Fehler. Ich bitte dabei aber auch die allgemeinen Umstände berücksichtigen zu wollen. Ich stand zum ersten Male vor Gericht, ich wußte gar nicht, worauf die Fragen dieses ganzen Verhörs überhaupt hinzielten, welche Bedeutung meiner Aussage beigemessen wurde. Ich wollte bei Gott nichts verschweigen oder beschönigen. Doch eine wohl leicht begreifliche Scheu hielt mich davon ab, einem mir bis dahin völlig fremden Herrn meine tiefsten Herzensgeheimnisse zu offenbaren. Auch wenn ich mich selbst damit belastete!"
,,Das bedauere ich nachträglich in Ihrem Interesse, gnädige Frau! Denn gerade Ihr Verhalten vor dem Herrn Untersuchungsrichter im Zusammenhang mit Ihren plötzlich aufgedeckten Beziehungen zu Dr. Steinhoff war in der Hauptsache der Grund für Ihre Verhaftung!"
Ein Gerichtsdiener hatte inzwischen einen großen Lageplan der Villa Karr vor dem Richlertisch aufgestellt, und der Vorsitzende erläuterte den Geschworenen daran die für die Beurteilung der Tal in Betracht kommenden Örtlichkeiten.
Dann wurde als erster Zeuge Herr Direktor v. Ribinski aufgerufen, der, wie gewöhnlich mit übertriebener Eleganz gekleidet, in einem hechtgrauen Cutaway und gleichfarbigem Zylinder erschienen war und die Eidesformel kurz und schneidig wie auf dem Kasernenhof nachsprach.
Er fühlte sich sichtlich als Mittelpunkt der ganzen Verhandlung und verfehlte nicht, immer wieder in reklamehafter Weise auf die aufklärende Tätigkeit seines ausgezeichneten Instituts liinzuweiscn, so daß der Vorsitzende den taktlosen Indiskretionen
seiner überschäumenden Beredsamkeit kaum Einhalt zu tun vermochte.
Als nächster Zeuge kam der Kammerdiener Karrs an die Reihe, der im ganzen seine Angaben aus der Voruntersuchung wiederholte und auf eine Frage von Evelyns Anwalt ausdrücklich bestätigte, daß zwischen den Eheleuten Karr nach dem Abendessen noch eine sehr stürmische Aussprache stattgefunden und er die erregte Stimme des Herrn bis ins Souterrain gehört habe.
Eine längere Auseinandersetzung entspann sich dann über die Frage, wann Evelyn die Villa verlassen habe und er selbst im Auftrag Karrs nach Schlachtensee gefahren sei, •■■
Den letzten Zeitpunkt konnte der in seinen Angaben sehr überlegte alte Mann fast auf die Minute genau angeben; denn als er durch den Park zum Auto gegangen sei, habe es vom « Kaiserpavillon gerade ein Uhr geschlagen, und der Chauffeur habe I noch gescholten, daß man ihm jetzt nicht mal mehr nach Mitternacht seine Ruhe gönne.
In Schlachtensee habe er ziemlich lange warten müssen, bis ihm endlich geöffnet worden sei; er schätze die Dauer der beiden Fahrten einschließlich des Aufenthaltes vor der Villa Hartkort auf etwa eine Stunde, so daß er gegen zwei Uhr nach Wannsee zurückgekommen sein dürfte.
Wann die gnädige Frau aus dem Hause gegangen sei, vermöge er dagegen nicht mit solcher Bestimmtheit zu sagen.
Die Herrschaften seien erst gegen elf Uhr aus dem Theater zurückgekehrt, und das Abendessen habe kaum zwanzig Minuten gedauert, da die gnädige Frau überhaupt nichts angerührt habe. Dann habe sie sich mit dem Herrn Generaldirektor in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, und es könne wohl kurz vor Mitternacht gewesen sein, als sie, zum Ausgang fertig, noch einmal durch die Diele gekommen sei.
Man einigle sich unter den Prozeßbeteiligten schließlich dahin, daß der Tod Karrs zwischen ein und zwei Uhr nachts eingetreten sein mußte, eine Annahme, die sich auch mit dem Cutachten des Kreisarztes deckte, der die erste Besichtigung der Leiche vorgenommen halte.
Für die Möglichkeit eines Zusammenseins der beiden Angeklagten vor der Tat kam daher nur die Zeit zwischen Mitternacht und ein Uhr in Betracht, und selbst diese Zeitspanne erfuhr durch die nächsten Vernehmungen noch eine weitere Einschränkung.
Wie der Droschkenchauffeur, der Evelyn nach Schlachlcnsee gefahren hatte, angab, war die Villa Hartkorl nach der Straßenseite zu vollkommen dunkel gewesen, und als er später in eine Seitenstraße abgebogen sei, habe er bei dem hellen Mondlicht zufällig gesehen, wie die Dame vor dem verschlossenen Vorgarten, anscheinend wartend, auf und ab gegangen sei.
Daß Kurt in dieser Zeit nicht zu Hause gewesen war, wurde durch d'e 3ehr bestimmte Aussage des Hartkortschen Dienstmädche s erhärtet, das in der fraglichen Nacht noch lange Wäsche geplätt :i und dabei beobachtet halle, wie Dr. Steinhoff in der tlflen Stunde später wieder fortgefahren sei.
Sie selbst sei erst nach ein Uhr zu Bett gegangen und dann durch den Boten mit dem Brief aus Wannsce gerade aus ihrem besten Schlaf gestört worden.
Auch da sei der Herr Doktor nicht daheim gewesen, denn sie habe den Brief auf Drängen des Überbringers sofort auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers niedergelegt und sich durch einen Blick in sein Schlafzimmer noch besonders davon überzeugt, daß dieses leer und das Bett unberührt war.
Das Gesamtbild der Zeugenaussagen gestaltete sich unter den geschickten Fragen der Anwälte für Evelyn allmählich so günstig, daß Justizrat Schwerthauer nicht umhin konnte, die Voruntersuchung mit verschiedenen scharf-kritischen Bemerkungen zu bedenken, und es geradezu als einen Justizskandal bezeichnete, daß man eine Dame wie Frau Evelyn Karr auf einen derart mangelhaften Indizienbeweis hin unter einer so furchtbaren Anklage viele Wochen lang in Untersuchungshaft gehallen habe. Den Schluß des Zeugenverhörs bildete die Vernehmung Lores und Wallers.
Lore bestätigte, daß Evelyn gegen sechs Uhr morgens in einem gänzlich erschöpften Zustand in der elterlichen Wohnung Einlaß verlangt und ihr unter fassungslosem Weinen nur immer wiederholt habe, daß alles zu Ende sei; sie sei fort von ihrem Mann, der sie gewürgt und gemißhandelt habe, und werde nie wieder in sein Haus zurückkehren; die Nachricht seines jähen Todes habe ihrer Fassung dann den letzten Rest gegeben, so daß der Hausarzt in der ersten Zeil bei ihrer völlig unbeeinflußbaren { Verzweiflungsstimmung sogar einen Selbstmord befürchtet und bereits ihre Verbringung in ein Sanatorium ins Auge gefaßt habe. Fortsetzung folgt