Film-Magazin Vereinigt Mit Filmwelt (1929)

Record Details:

Something wrong or inaccurate about this page? Let us Know!

Thanks for helping us continually improve the quality of the Lantern search engine for all of our users! We have millions of scanned pages, so user reports are incredibly helpful for us to identify places where we can improve and update the metadata.

Please describe the issue below, and click "Submit" to send your comments to our team! If you'd prefer, you can also send us an email to mhdl@commarts.wisc.edu with your comments.




We use Optical Character Recognition (OCR) during our scanning and processing workflow to make the content of each page searchable. You can view the automatically generated text below as well as copy and paste individual pieces of text to quote in your own work.

Text recognition is never 100% accurate. Many parts of the scanned page may not be reflected in the OCR text output, including: images, page layout, certain fonts or handwriting.

Der Geheimrat strich sich mit der jjepflcjjten Hand über den graumelierten Spitzbart. ,,Die FraiSe des Herrn Verteidigers ist durchaus berechtigt, aber ich |(laube, daß ich sie verneinen darf. Gerade die Lückenhafliijkcit des Gedächtnisses ist für mich ein Beweis da(Je<!en, daß der Dämmerzustand bei Dr. Sieinhoff schon zur Zeit der iat bestanden haben könnte. Denn in diesem Fall würde ein völliger Erinnerungsausfall für alle Tatumstände vorliegen. Daß das Gedächtnis des Angeklagten für die jüngste Vergangenheit überhaupt getrübt ist, erklärt sich zwanglos aus der überstandenen Geisteskrankheit. Hierzu kommt, daß sich Dr. Steinhoff in der kritischen Zeit zweifellos in einer schweren Störung seines seelischen Gleichgewichtes befunden hat, die gleichfalls das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen dürfte!" ,, Würden Sie danach, wenn Sie einen eigentlichen Dämmerzusland ausschließen, die Möglichkeit zugeben, daß die Tat des Angeklagten vielleicht in einem seelischen. Ausnahmezustand, zum Beispiel in einem die Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigenden schweren Affektzustande, geschehen sein könnte?" Der Geheimrat lächelte leise. ,,Das ist natürlich durchaus möglich. Leider fehlen für eine solche Annahme aber alle greifbaren Unterlagen, da der Angeklagte den Inhalt und Ablauf seiner Unterredung mit Herrn Karr ja nur andeutungsweise wiederzugeben vermag!" Der Verteidiger schlug ein Aktenstück auf und nahm einen Brief im Umschlag heraus. „Ich danke Ihnen, Herr Geheimrat," sagte er, ,,und möchte zu meiner letzten Frage noch ein Beweisstück heranziehen, das mir erst vorgestern durch d.n Kommissar Brandstetter zugegangen ist. Es ist dies ein Brief, den der Angeklagte noch in der Mordnacht an Karr geschrieben und nach dem Stempel zwischen elf und zwölf Uhr nachts in Schlachtensee zur Post gegeben hat. Herr Brandstetter hat den Brief unlängst bei einer privaten Haussuchung unter den Papieren Karrs aufgefunden. Ich stelle ihn dem Gericht zur Verfügung. Vielleicht ergeben sich aus einer Vernehmung Dr. Steinhoffs über seinen Inhalt weitere Unterlagen für die Beurteilung seines Geisteszustandes zur Zeit der Tat!" Der Vorsitzende hob den Kopf. ,,Der Zeuge Brandstetter ist wohl noch immer nicht im Hause?" fragte er zu dem wachthabenden Justizwachtmeister hinüber. Dann überflog er den Brief und überreichte ihn dem Staatsanwalt, der ihn nach kurzer Einsichtnahme achselzuckend zurückgab. „Der Brief ist etwas dunkel gehalten", begann der Vorsitzende darauf unter wachsender Spannung des Publikums, ,,und besteht eigentlich nur aus einem einzigen Satz. Der Angeklagte teilt Herrn Karr darin mit, daß er noch in der Nacht, das heißt in der Todesnacht Karrs, der nach ihrem gegenseitigen Abkommen übernommenen Verpflichtung genügen werde." ,,Herr Dr. Stcinl.off," wandte er sich dann mit erhobener Stimme Kurt zu, ,,das Gericht hat sich nach jeder Richtung hin bemüht, den seelischen Vorgängen gerecht zu werden, die Sie zu Ihrer Tat geführt haben. Denn es steht vor einer sehr ernsten Entscheidung, der Entscheidung über Leben und Tod. Jetzt taucht auf einmal dieser Brief auf, der auf bisher ganz unbekannte Beziehungen zwischen Ihnen und dem Ermordeten schließen läßt. Wollen Sie sich daher in Ihrem eigenen Interesse recht eingehend über ihn äußern, vor allem darüber, welcher Art das darin erwähnte Abkommen gewesen ist. War dies Abkommen letzten Endes der Grund für Ihr nächtliches Eindringen in die Villa Karr und barg sein Inhalt vielleicht so viel Zündstoff, daß er bei Ihrer damaligen Gemütsverfassung gewissermaßen zwangläufig zu einem tätlichen Zusammenstoß mit Karr und damit zur Katastrophe führen mußte?" Kurt antwortete lange nicht. Er fühlte aus der menschlich-gütigen Art des Vorsitzenden sehr wohl heraus, wie dieser ihm eine goldene Brücke zu bauen, ihm gleichsam die Antwort in den Mund zu legen und noch im letzten Augenblick einen Weg zu weisen suchte, auf dem er sich noch einmal vor dem furchtbarsten Schicksal zu retten vermochte, l.in einziges erklärendes Wort, und die Anklage brach auseinander, und der Mord, zu dessen Schuld er sich bekannt, ward zu einer Tat der Leidenschaft, einer Tragödie eifersüchtiger Liebe, die ihn bei der wohlwollenden Stimmung des Gerichts vielleicht nur ein paar Jahre seiner Freiheit kostete. Für einen flüchtigen Augenblick regte sich in ihm mit Urgewalt der Selbsterhaltungstrieb. Draußen lockte der Sommer mit Sonnengold und blauem Himmel. Und er war noch so jung und sollte sein junges Leben hingeben, ehe er es überhaupt noch recht gelebt halle, das Leben, zu dem alles empordrängt, das niemand lassen will. Das Leben? Wie eine Eisenfaust kra'lte es sich plötzlich um sein Herz. Er war ja schon längst zu Tode verurteilt, ehe das Gericht den Spruch jener furchtbaren Nacht wiederholte, in der er sich selbst aus dem Leben gestrichen, dessen letzte Wochen er sich nur noch als eine Gnadenfrist erschlichen halle, um die Frau zu retten, die neben ihm jetzt ihrem Urteil entgegenzitterte. Wie in einer Vision sah er auf einmal wieder das steinerne Gesicht Karrs, klang ihm der eherne Ton seiner harten Stimme im Ohr. ,,Das Schicksal hat gegen Sie entschieden, Herr Doktor! Sie haben das Spiel verloren — " Mit einer entschlossenen Bewegung warf er den Kopf zurück. ,,Ich bedauere, Herr Direktor," sagte er dann, ,,daß ich auf den Brief nicht näher eingehen kann; das darin berührte Abkommen betraf eine rein private Angelegenheit zwischen mir und Herrn Karr. Was ich zu sagen gehabt habe, habe ich gesagt. Verurteilen Sie mich, wie es das Gesetz vorschreibt, aber quälen Sie mich nicht weiter mit Fragen. Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr!" Seine Stimme brach. Der ganze Jammer seines Unglücks erfaßte ihn plötzlich mit vernichtender Gewalt, und er legte die Hand über die Augen, um die Tränen nicht sehen zu lassen, denen er nicht mehr wehren konnte. Der Vorsitzende blickte in der Runde umher. ,,Sind noch irgendwelche Fragen an die Angeklagten zu stallen? Dann er'.>.lärc ich die Beweisaufnahme hiermit für endgültig geschlossen und erteile dem Herrn Staatsanwalt das Wort zur Begründung seiner Anklage!" Schon lange sprach der Staatsanwalt weiter, leidenscliaftlich bewegt, mit der ganzen Wucht seiner erlesenen Redekunst. Er ha '.e sich weit über die Lehne seines Sessels vorgebeugt, daß sich sein Talar wie das Gefieder eines gewalligen Vogels um ihn bauschte. Seine schwere Faust schmetterte zuweilen dröhnend auf den Tisch, wenn er einen Satz seines Plädoyers mit besonderem Nachdruck unterstrich. ,, Meine Herren Richter," sagte er, ,,ich habe soeben den verderblichen Anteil beleuchtet, den, wie so oft im Leben, auch an diesem Drama eine Frau gehabt hat. Das hat der Herr Vorsitzende bereits im Eingang seines Verhörs gebührend unterstrichen, als er die Beziehungen des Angeklagten zu Frau Karr das Leitmotiv nannte, das in allen Phasen dieses Geschlechterkampfes immer -von neuem aufklingt. Um sie ist die Tat geschehen, über die wir heut zu Gericht sitzen, um ihretwillen vergaß der feinfühlende, vornehme Mann sich selbst und alle Bindungen von Ehre und Vernunft so weit, daß er nächtlicherweile in das Haus des verhaßten Gegners eindrang, um den Raub, den er bereits am Herzen seines Weibes begangen hatte, nun auch noch mit dem Raube seines Lebens zu krönen. Das ist der einfache klare Talbestand, an dem es nichts zu drehen und zu deuteln gibt: Frau Evelyn Karr trägt weithin sichtbar die moralische Verantwortung dafür, daß zwei wertvolle Männer an ihr zugrunde gegangen sind. Ein anderes freilich ist es, ob ihr auch eine werktätige Mithilfe, eine Anstiftung zu diesem Verbrechen nachgewiesen werden kann, oder ob es bei ihr nur bei einem Gedankenmord geblieben ist. Meine Herren Richter! Ich stehe nicht ai., offen zu erklären, daß die heulige Verhandlung den vollen Beweis für eine strafrechtliche Schuld Frau Karrs nicht erbracht hat. Frau Evelyn Karr ist wolil schwer belastet, aber sie ist niciil überführt. Und doch bleibt sie für mich die wahrhaft Schuldige, denn c'ie Leidenschaft für sie ist es einzig und allein gewesen, die Dr. Steinhoff bei seiner Tal die Hand gcfi hrl und ihm Herz und Sinne verwirrt hat. Fortsetzung folgt