Film-Magazin Vereinigt Mit Filmwelt (1929)

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Ein Rauschen der Bcfreiunjj j>in}> durch den Saal, Jeder einzelne fühlte die Schicksalsfjewalt eines Dramas, dessen Schatten auf einmal stumm und docli so beredt in die Gegenwart hineinwuchs. hin ZcujSc aus dem Jenseits war aul>iestanden und hatte für den Mann gesprochen, dem er selbst unterlejjen war in dem urfwijjen Kampf zwischen Alter und Jugend. — — Der Vorsitzende hatte den Brief wieder niederijelejit und wandte sich jetzt den An'>ekla;iten zu. „Herr Dr, Steinholf," sa;ite er, ,,sind Sie willens und imstande, zu diesem Brief Karrs eine Erklärunö abzujjeben, die die letzten Kätsel löst?" Kurt erhob sich. Auf einmal war die Pforte der Erkenntnis jjroß und weit in ihm aufijesprungcn, und eine kristallene Helle dranß wieder bis in den letzten Grund seiner Seele. ,,Ich werde alles sai;cn, was ich weiß!" bejjann er mit fester Stimme. ,, Jetzt, nachdem mir Karr mein Wort zurückgegeben hat, habe ich nichts mehr zu verheimlichen. Am Abend seiner Rückkehr aus England kam Karr zu mir nach Schlachtensee, um von mir Aufklärun'4 über meine Beziehungen zu seiner Gattin zu fordern. Ich stellte mich ihm zur Verfügung, doch er lehnte einen Zweikampf in der herkömmlichen Form ab. Dafür kam eine Abmachung zustande, daß das Los zwischen uns entscheiden sollte. Derjenige, dem das Todcslos zufiel, sollte dem anderen freiwillig das Feld räumen." Er hielt sekundenlang inne, um die Erinnerungen zu ordnen, die immer maclilvoller auf ihn eindrangen. Es war so still, daß man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören. Hier und da hatten sich im Zuhörerraum vereinzelt dunkle Gestalten erhoben und schauten wie gebannt zur Anklagebank herüber, auf der sich die Tragik eines Menschenschicksals in ihrer gan.en Unerbittlichkeit enthüllte, ,,lch zog das verhängnisvolle Los," klang jetzt wieder Kurts ruhige Stimme, „und erbat und erhielt von Karr noch einen Aufschub von zwei Tagen bis zur Uraufführung meines Bühnenwerks. Die Nacht danach sollte die letzte meines Lebens sein. Ich fuhr vor Schluß der Vorstellung noch einmal nach meiner Wohnung und schrieb dort jenen Brief an Karr, der heute hier gleichfalls besprochen ist. Dann trieb es mich plötzlich nach Wannsec. Ich wollte die Frau, um die ich sterben sollte, vorher noch ein letztes Mal sehen und sprechen. Ich weiß jetzt, daß die Aufregungen jener Nacht meine geistige Klarheit getrübt haben, und doch steht das Schlafzimmer Karrs auf einmal fast greifbar deutlich vor mir. Er lag erschossen auf seinem Bett, ein Revolver neben ihm auf dem Fußboden. Ich nahm ihn auf, um bei Tagesanbruch irgendwo mit mir das gleiche zu tun, und fuhr in der wachsenden Umnachtung meines Denkens planlos ins Weite, Dann kam das Autounglück; mein Aufenthalt im Sanatorium. Als ich nach meinem Ausbruch aus der Anstalt dann durch die Zeitungen von der Verhaftung Frau Karrs erfuhr, war ich sofort entschlossen, mich freisvillig dem Gericht zu stellen und mein ia doch verlorenes Leben für sie einzusetzen. Denn damals, als all diese Erkenntnis im Schacht meines Bewußtseins noch tief verschüttet lag, glaubte ich, daß sie wirklich, wie sie vorhin erklärt, um mich zu retten, ihren Mann erschossen habe!" — ,,Und Sie, Frau Karr?" Der Vorsitzende hatte den Blick zu Evelyn erhoben. Sein großes, klares Auge lag forschend auf ihrem weißen Gesicht. ,, Warum haben Sic vorhin eine so furchtbare Beschuldigung gegen sich selbst ausgesprochen?" Evelyn schreckte wie aus einem Traum emoor; ein ganz leises, hilfloses Lächeln irrte um ihren Mund. ,,lch weiß es nicht!" gab sie stockend zurück. ,,Es war auf einmal etwas in mir, das stärker war als ich. Ich mußte es sagen, weil ich glaubte, daß ich Dr. Steinhoff damit retten könnte!" Fast tonlos gingen ihre letzten Worte aus und rührten doch wie ein unsichtbarer Flügelschlag an die Herzen der Hörer, In seiner ganzen Schwere lag das Leid zutage, das jene beiden Menschen durchschritten hatten, und darüber leuchtete das Wunder einer Liebe, die stärker gewesen war als alle Macht der Welt, die in ihrer schrankenlosen Hingabc selbst das eigene Leben für nichts geachtet hatte, — — .,Wir wollen zu Ende kommen!" Der Vorsitzende hatte sich von seinem Sitze erhoben und stand in schwarzer Feierlichkeit hinter dem Richtertisch, „Herr Staatsanwalt," sagte er, ,, haben Sie nach dem Erlebnis dieser letzten Stunde Ihrem Plädoyer noch etwas hinzuzufügen?" Der Staatsanwalt bewegte bejahend den mächtigen Kopf, Mit einer abschließenden Bewegung faltete er seine Papiere zusammen und legte seine Hand darauf, „Ich beantrage Freispruch für beide Angeklagte," sagte er, ,,und beglückwünsche sie zu dieser unerwarteten Wendung ihres Schicksals!" — — Ein ungeheurer Beifallssturm brauste auf. Von allen Seiten drängten die Menschen heran, hundert Hände streckten sich gleichzeitig glückwünschend über die Anklagebank, Evelyn hatte sich halb in ihrem Sitz emporgerichtet, Ihr Blick suchte Kurts Gesicht, Sie wollte sprechen, ihm danken, doch sie vermochte es nicht. Der Übergang von der tiefsten Verzweiflung zu höchstem Glück war zu überwältigend gewesen. Ein seltsames Singen und Klingen war plötzlich in ihren Otiren, die Decke des Saales schien sich ihr zu weiten und eine strahlenfle Helle auf die Stätte des Gerichts herabzufließen. Und dann auf einmal war auch ihr letzter Halt dahin. In einer tiefen Seligkeit sank sie Kurt ohnmächtig in die Arme. — — • — XIX. Lore stand an dem offenen Fenster ihres Siebeneichener Schlafzimmers und ließ sich den frischen Hauch der Morgenluft in einem wohligen Erschauern über die runden Schultern rieseln. Die Sonne lag in einer breiten, blendenden Bahn auf den blankgescheuerten Dielen, und die weißen Mullgardinen blähten sich in dem lustigen Sommerwind, Ein Tag voll Glanz und Glut war über Siebeneichen aufgegangen. Unwillkürlich breitete Lore weit die Arme aus. Ein Neues, Köstliches war in ihrem Blut, daß ihr das Herz fast schmerzte in dunkler, ahnungsvoller Spannung — — Eine halbe Stunde später kam sie mit ihrem Badeanzug zur Diele herab. Im ganzen Haus regte sich noch niemand. Nur der alte Gärtner Heinrich mit den gewaltigen Zahnstummeln und dem verknitterten roten Genick, in dem sie gleich bei ihrer ersten Bekanntschaft das Stromnetz des Mississippi entdeckt hatte, stelzte bereits um die Terrasse herum und harkte den Vorplatz, Er hatte zur Feier des Tages seine grauen Haarsträhnen gewaltig einpomadisiert und verbreitete einen süßen Duft um sich, daß ihn die blauen Brummer wie eine Blume unablässig und begehrlich umschwärmten, Lore drückte ihm ein Päckchen Pfeifentabak in die gefurchte Rechte und ginj^ dann weiter durch den erwachenden Tag. Ein großer Schwalbenschwanz, schwarz-gelb gestreift wie ein päpstlicher Landsknecht, flog ihr gleichsam als Wegweiser vorauf, bis er auf einmal in jähem Fall in einer Blumeninscl der betauten Parkwiesen ertrank. Dann saß sie auf einer kleinen Birkenbank am Badestrand und schaute auf die lachende Frühsommersehönheit des Sees hinaus. Seltsame Vogelstimmen schnarrten und schnatterten aus dem hohen Röhricht, und zierliche Libellen schössen im blitzschnellen Zickzackfluge über das seichte Uferwasser, in dem sich eine ganze Herde von Fischchen angesammelt hatte, alle Köpfe mit den schönen, großen Augen zum Goldglanz des Himmels gerichtet. Lore hatte die Stirn in die Hand gestützt und lauschte auf die leise Rätselmusik der Einsamkeit, die in einem einzigen langgedelinlen Ton über den stillen Wassern schwang. Wie ein Märchen war der gestrige Tag zu Ende gegangen, der mit all seinem Leid und Schrecken in der Dämmerung eines grauen Meeres allmählich immer tiefer hinter ihr zu versinken schien. Der Freispruch in Moabit unter den jubelnden Huldigungen des Publikums. Die Fahrt nach Wunnsee und zur Mutler nach Zehlendorf, Und endlich die schnell improvisierte kleine Feier im Gartensaal von Siebeneichen, bei der Walter so liebe, herzbewegende Worte für Kurt und Evelyn gefunden und das Land der Zukunft gepriesen hatte, das jetzt glückverheißend, einem leuchtenden Hafen gleich, nach all den schweren Schicksalsprüfungen vor jenen lag. Fortsetzung folgt