Film-Magazin Vereinigt Mit Filmwelt (1929)

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Szene aus einem älteren Chaplinfilm verhalf, auch solchen, die es heute nicht mehr wahrhaben wollen. Sein eigentliches Wesen ist Ernst. Man kann dies schon aus seinen Filmen folgern, die ja durchaus kein Ulk sind, durchaus nicht harmlose Grotesken, wie sie andere amerikanische Komiker bieten. An Liebenswürdigkeit ist ihm Harold Lloyd überlegen, und man hat jenseits des Ozeans ganz gewiß recht, wenn man Harold Lloyd viel amerikanischer findet. Aber Chaplin übertrifft ihn an Tiefe. Es hat sechzig Jahre gedauert, bis man erkannte, daß die scheinbaren Possen eines Wiener Lokalkomikers, Johann Nestroy, den seine Zeitgenossen für einen besseren Spaßmacher hielten, in Wahrheit Schöpfungen eines tiefen satyrischen Geistes sind. Zu seinen Lebzeiten hat man ja auch Shakespeare nicht anders eingeschätzt, was zur Folge hat, daß wir heute von diesem größten Dramatiker der Weltliteratur nur sehr wenig wissen. Chaplin genießt das Glück, daß man aus früheren Fehlern gelernt hat und das Genie boi ihm rechtzeitig erkennt. Denn was er spielt, ist eigentlich die Tragödie des modernen Menschen, dem Menschen, der zum Schluß allein bleibt, wie der Chaplin im Zirkus, der, immer kleiner werdend, zuletzt im Hintergrunde verschwindet. Bei ihm gibt es kein happy end. Wenn seine Filme trotzdem versöhnlich wirken, ja, wenn von ihnen die Befreiung des großen Lachens ausgeht, so deshalb, weil er menschliche Eigenschaften unter die kritische Lupe nimmt, die es wert sind dem Gelächter ausgesetzt zu werden. Chaplin hat sich nur selten über seine Kunst ausgesprochen. Er liebt es, wie gesagt, gar nicht, anders denn auf der Leinwand zu erscheinen und hält im allgemeinen seine Absichten für zu privat, als daß er sie der Welt erklärte. Dabei ist er nicht abgeneigt, mit interessanten Menschen in näheren Verkehr zu treten. Cläre Sheridan, die Bildhaucrin und Journalistin, hat in ihrem amüsant und nicht ohne Bosheit geschriebenen Buche erzählt, wie sie Chaplin in Hollywood kennenlernte und mit ihm zwei Tage in der Einsamkeit am .Meer verlebte. Aber Charlie hat doch gelegentlich Äußerungen über seine Art, Komik zu erregen, gemacht. Er antwortete einmal auf die Frage, durch' welche Wirkungen selbst nebensächliche Szenen in seinen Filmen so komische Wirkungen besäßen gewiß schlagkräftig: ,,Um die Leute lachen zu machen, muß man ihnen .Menschen vorführen, die sich in lächer lichen Situationen befinden, also in solchen, die dem gewöhnlichen Gebaren entgegengesetzt sind. Wenn uns der Wind den Hut entführt, so ist das an sich noch nicht komisch. Drollig wird die Situation erst, wenn wir den betreffenden Menschen vorher sahen, wie er steif und würdevoll durch die Straße ging und nun plötzlich mit flatternden Rockzipfeln hinter dem Hut herjagt, mit der Hand danach hascht und ihn erst dann erreicht, wenn er im Schmutz liegt. Der Mensch in einer lächerlichen und peinlichen Situation — das ist die Grundlage aller Komik. Nun ist allerdingt nur das kleine Mißgeschick komisch und wird es vor allem dann, wenn der davon Betroffene es unter keinen Umständen wahr haben will, daß ihm die Angelegenheit unangenehm ist. Komisch sind alle Dinge, die man als falsch entlarvt. Echte Würde ist nie komisch — und eine alte Frau kann sie in gleichem Maße besitzen wie eine Königin, Aber komisch ist die selbst verliehene Würde, mit der nicht wenig Zeitgenossen durch das Leben stolzieren. Nehmen Sie einen großen Nachtwächter, der im Bewußtsein seiner Würde durch die Straßen geht und der plötzlich den richtigen Schlüssel nicht findet. Nehmen Sie einen dicken Schutzmann mit grimmigem Blick, die Würde selbst, der plötzlich in ein Kanalloch stürzt. Oder eine protzig gekleidete Dame, der aus der Galerie eine Portion Eis in den Ausschnitt fällt. Komisch sind jene Vorgänge, in denen unbeliebte Menschen lächerlich gemacht werden. Wir alle haben im Leben unseren kleinen Ärger mit Menschen, denen wir nicht so antworten können, wie es unser Gefühl von Rechts wegen möchte. Wenn jetzt im Film ein Vertreter des gleichen Berufes für sein unangenehmes Betragen die richtige Entgegnung erhält, durch die er in eine peinliche Situation gerät, so wirkt das lächerlich. Man trifft in einem Restaurant einen groben Kellner, der schlecht bedient und die Leute wie Luft behandelt. Sobald Sie ihm zum Wechseln eine HundcrtdoUarnote reichen, wird der Mann sehr verlegen. Komisch ist natürlich ein Tramp, wie meine Filmfigur, der sich mit einem Spazierstöckchen ausrüstet, trotzdem er sehr abgerissen geht. Ein Spazierstock ist an sich schon komisch, weil er eine Würde vortäuscht, die nicht dahintersteckt, denn er hat gar keinen Zweck. Wenn ich mir nun gar w'ährend unangenehmer Augenblicke die zerrissene Krawatte zurechtrücke, so erziele ich damit den Eindruck einer lächerlichen Würde.