Film-Magazin Vereinigt Mit Filmwelt (1929)

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Sic erinnerte sich, daß er ihr, als sie sieben Jahre alt war, streng verboten hatte, in einer Kindervorstellung als Hansel aufzuirclen, denn das war eine — es war ja gar nicht auszudenken — eine Hosenrolle! Eine wilde Entschlossenheit überkam sie plötzlich. Sic riß die Bettdecke um ihren Körper zusammen und setzte sich mit einem Schwung aufrecht. Ein allgemeines ,,Ah" von unten bekundete ihr. daß die Bevölkerung von Ragazza vom Beginn der Vorstellung Notiz genommen hatte. Ohne eine Miene zu verziehen, ging Dorrit, nur in die dicke Bettdecke gehüllt, eine moderne Monna Vanna, zum Tisch, angelte behutsam Kleider und Wäsche und sprang mit ein paar mehr eiligen als wundervollen Schritten zur Tür. Zur Tür nach dem Flur natürlich. Es war keine Kleinigkeit, gleichzeitig die Bettdecke zusammenzuhalten, die Kleider nicht fallen zu lassen und die Tür zu öffnen. Und als sie es endlich geschafft hatte, machte sie die Entdeckung, daß die hölzerne Stiege zum Parterre teilweise eingestürzt war. E!s war niciit schwer, hinunterzuturnen — das heißt, w-enn man etwas anhalte — aber es war absolut unmöglich, sich vor der Tür anzuziehen. Hier erst wurde es ihr klar, was für einen gesegneten Schlaf sie gehabt haben mußte. Also zurück auf den Präsentierteller. Es gab nur noch eine Möglichkeit — sie schlüpfte wieder ins Bett. Ihre Rückkehr wurde von draußen mit erfreuten Zurufen begrüßt. „Bande!" knirschte sie und begann, sich unter der Decke anzuziehen. Das war nicht leicht, und von unten wurde jede heftige Bewegung mit Freudcngeschrei begleitet. Endlich war sie fertig, setzte sich auf, fuhr in die Schuhe, nahm ihren Hut und verschwand, nicht ohne ihrem bedauernd ,,0h" rufenden Publikum einen Blick zugeworfen zu haben, dessen Verachtung, chemisch umgewertet, ganz Ragazza, ja ganz lilyricn einer neuen Eiszeitperiode ausgeliefert hätte. Eichhörnchenhaft turnte sie die geborstene Treppe hinunter. Man mußte vor allen Dingen das Badezimmer finden — so konnte man nicht bleiben. Weder ein Empfangschef noch ein Stubenmädchen, ein Hausknecht oder ein Zimmerkellner waren zu sehen. Das entsprach zwar völlig dem Umstand, daß es in den Zimmern keine Klingeln gab, war aber reichlich unangenehm. Wahrscheinlich holten sich die guten Leute Hilfe für den Wiederaufbau. Endlich trieb sie ein verräuchert aussehendes, schwarzäugiges Individuum auf, das sie der Reiiie nach auf deutsch, italienisch, englisch und französisch nach dem Badezimmer fragte, ,,Salic de bain", verstand der Biedere nach einigen^ Sekunden verdutzten Aufhorchcns, nickte mit dem Büffelschädel und winkte ihr, ihm zu folgen. Durch eine niedrige Holztür ging es auf den hinteren Hof. , Da stand eine Pumpe, und unter dieser Pumpe ein baumlanger lllyrier, der — sich nicht etwa wusch, sondern — daraus trank. Wie es dann Dorrit gelang, ein Handtuch und sogar auch Seife aufzutreiben und unter dieser Pumpe Generalreinigung zu vollziehen, war ihr später selbst nicht mehr ganz klar. Talsache ist, daß sie zwanzig Minuten nach dem Aufslihen frisch gewaschen in die Wirlsstubc trat. Das ist zweifellos das passendste Wort für den Dinning-Saloon des Grand Hotel von Ragazza. Das schwarzbärtige Individuum spielte den Kellner. „Wollen Sie jetzt also endlich mein Zimmer verlassen!" Die Menschen hier hatten das Erdbeben sichtlich schon längst vergessen, Sie tranken und lachten. Ihr Helfer von gestern war noch nicht da. Sie bestellte Frühstück und aß mit großem Appetit Maiskuchen zu starkem, vorzüglichem Kaffee. Plötzlich fiel ihr siedendheiß ein: Gestern hatte man sich alle erdenkliche Mühe gegeben, um unbeobachtet ins Hotel zu kommen, und jetzt hatte man, der Himmel wußte wie lange, halb Ragazza seinem Lever beiwohnen lassen. Es gab nur eins: so schnell wie möglich zu Cyprian Mircovich. „Guten Morgen, Madame!" Ein hochgewachsener alter Mann in einem malerischen Kaftan, ein schmutziges Turbantuch um den schmalen Schädel gewickelt. Sein langausgezogener Schnurrbart unterstrich noch die Hakennase. Es gab nur ein Kostüm, das ihm noch besser gepaßt hätte: der Schlapphut, die umwickelten Strümpfe und die Steinschloßpistole eines Abruzzenräubers. ,,Herr Mircovich sendet mich, Madame," fuhr er in seinem harten Französisch fort, ,,cr hat von Ihrer Ankunft gehört — " KunststückI dachte Dorrit Benk, „ — und er erwartet Sie in seinem Kontor. Bitte, mir zu folgen." Der Würdige verneigte sich und schritt — er ging nicht etwa — feierlich voraus. Nur einen Augenblick überlegte Dorrit. Es war doch schade, daß man keinen Revolver hatte. Das konnte natürlich eine Falle von Madame von Jancovics sein. Aber dann überwand sie ihre Bedenken um so mehr, als irgendeine Stimme ihr riet, sich die Begleitung ihres Freundes von gestern zu erbitten. Eines Freundes, von dem man noch nicht einmal wußte, wie er hieß. Es war schließlich heller Tag, und man konnte die Augen offen halten. Man war 1901 in Berlin geboren. Es ging über den schlammstarrenden Bahnhofsplatz durch ein paar Straßen mit unendlich schmutzigen Häusern. Das Gebäude der Firma Cyprian Mircovich war für illyrische Verhältnisse ein Palast. Zweistöckig wie der Konak, aber bedeutend solider gebaut. Mit zwei dorischen Säulen, die den Eingang flankierten, und massiver Goldaufschrift darüber. Dorrits Bedenken schwanden. Sie wußte von Slavrides, daß Cyprian Mircovich ein zuverlässiger, ehrlicher Kaufmann war. Und der Anblick dieses Geschäftshauses bestärkte sie in dieser Ansicht. Zwei Stunden vorher hatte es im Privatkontor des zuverlässigen und ehrlichen Kaufmanns Cyprian Mircovich eine wilde Auseinandersetzung gegeben. „Sie ist da!" „Das ist ganz ausgeschlossen!" „Hasib hat sie mit eigenen Augen gesehen!" ,,Hasib ist besoffen wie ein Schwein!" ,,Er ist so nüchtern wie du und ich." ,,Wie du? Das will noch gar nicht so viel heißen, mein Lieber!" „Ranka!" „Was willst du?" ,,Ich rate dir, mi. gegenüber einen anderen Ton — " „Du langweilst mich." ,,Also, ob du es glaubst oder nicht: sie ist da. Das ist eine einfache Tatsache." Fortsetzung folgt