Film-Photos Wie Noch Nie (Jan-Dec 1921)

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Wir wollen sehen, wir können gar nicht genug davon kriegen. Ein Schicksal. Warum es noch erleben, wozu es in Worten sich feierlich vortragen lassen? Auch dahin greift das Bild, der Film, mit langen Fingern, auch dahin wirft ei die mächtigen Augen, auch da liegt sein Feld, — unermeßlich, unübersehbar, und vielleicht gerade darum so oft noch von der falschesten Ecke her beleuchtet. Aber auch das ist möglich, schon heute, daß der Film ein Schicksal aufrollt, und es wird eines Tages auch der letzte Schimmer von Unmöglichkeit beseitigt sein, morgen oder bestimmt übermorgen, daß in diesem Filmressort der gefährliche Schatten des Verlogenen, Unechten, Unehrlichen eine Rolle spielen darf. Dann, wenn der Film das, was heute noch eine gewisse Rarität ist, ganz besitzen wird, die Klarheit auch im Menschlichen, das Echte und garantiert Unverlogene, dann ist die letzte Hürde genommen, die letzte, die schwierigste, die bedeutendste. Dann sind wir am Ziele aller Möglichkeiten. Doch kann je der Film an ein Ziel seiner Möglichkeiten gelangen? Kann jemals der Moment kommen, da man sagt: Hier hört es auf, hier geht es endgültig nicht weiter? Zuviele Leute haben sich in diesem Punkte schon den Mund verbrannt, zuviele Leute sind schon, was Film betrifft, von neuen und ungeahnten Tatsachen einfach überholt, einfach Lügen gestraft worden. Alles ist möglich, das ist der einzige Standpunkt zum Film, — zum bewegten Bilde, das täglich zu neuen Ueberraschungen, zu neuen Wendungen, zu neuen Erschütterungen des Bestehenden die Ursache sein kann. Das bewegte Bild, seine Technik und sein eigenes Gesetz haben die zweite Wirklichkeit geschaffen, eine Wirklichkeit, die neben unserer eigenen frei und lebendig existiert. Das einfachste, fast banal einfache Beispiel: Das Tempo einer rasenden Verfolgung im Auto, ein Tempo, das wir nie, nie, nie haben könnten, ohne uns sämtliche Knochen dabei zu brechen, — dies Tempo ist auf einmal da, unwiderlegbar, sichtbar, ein Faktum der Leinwand. Wer wollte noch zweifeln an dieser neuen Wirklichkeit, — die eine Täuschung ist, und doch Wahrheit, die ein Schwindel ist, und doch eine Ehrlichkeit. Die zweite Wirklichkeit, die wild und hemmungslos jede Utopie greifbar macht, das könnte ein Leben sein, das wir uns alle wünschen, ein Leben, das aber, besäßen wir es einmal, uns rasch über wäre, weil unsere Beine auf dem neuen Boden alle Sicherheit verlieren müßten. Aber da, auf der Leinwand der Kinos, für halbe oder ganze Stunden, ja, da kann der Wunsch nach so einem verrückten und unbegrenzten Leben nicht aufhören; ehe einem diese Traumspielerei über sein könnte, ist längst der ganze Spuk vorbei, und wir sind mitten wieder in der eigenen ordinären Wirklichkeit. Wenn aber die zweite Wirklichkeit nicht mehr ein Traumschatten bleibt, wenn sie gebaut ist aus den Steinen unserer eigenen Wirklichkeit, — wenn an einem Punkte diese beiden Wirklichkeiten sich berühren, dann wird aus artistischer Spielerei schnell der bittere Ernst eines Spiels. Der Ernst einer neuen Kunst. Die Russen, radikale Jäger nach der Wirklichkeit, haben da die Fahne getragen, und wenn das Leben, das sie im Bilde fanden, tausendfach noch abweicht von unserem Leben, die Grundmauern stehen fest und unerschütterlich. Kein Mensch will sich im bewegten Bilde haarscharf porträtiert wiedersehen, um Gottes willen; aber er will einmal, sei es nur in einer Bewegung, in einem Schritt, einer kleinen Wendung des Kopfes etwas erkennen, das ihm verwandt ist. Er will den Zusammenhang finden, die Beziehung zu sich selbst. Es wird ihn ergreifen; und es ergreift ihn doppelt, wenn er eine Steigerung des eigenen Lebens fühlt, eine Aehnlichkeit, die sich verwischt, einen Zusammenhang, der undeutlich, aber sicher spürbar wird. Unruhe des Bildes, unsere Unruhe. Ruhe des Bildes, unsere Ruhe. Die Zusammenhänge werden klar; sie bestehen nicht nur, so lange der Mensch von heute im Kino sitzt. Unruhe und Ruhe, — wieder hat der Film, das bewegte Bild, zwischen beiden etwas Neues in die Welt gesetzt, die Zeitlupe. Die Bewegung in der Ruhe, die Ruhe in der Bewegung. Zuerst hat man gelacht über diese merkwürdige Erfindung, die schnellste Läufer zum Schneckengang verurteilte. War die eigene Schnelligkeit beleidigt? Dann hat das Lachen aufgehört, erkannt war die heilsame Mitte zwischen Ruhe und Unruhe. Das Bild, das uns verwöhnt hat, gibt am Ende den Wink: Regulierung durch Zeitlupe. Erich Burger. 12