We use Optical Character Recognition (OCR) during our scanning and processing workflow to make the content of each page searchable. You can view the automatically generated text below as well as copy and paste individual pieces of text to quote in your own work.
Text recognition is never 100% accurate. Many parts of the scanned page may not be reflected in the OCR text output, including: images, page layout, certain fonts or handwriting.
Der „Geiger von Florenz" ist ein aus romantischen und psychologischen Motiven gemischter Film mit Vorzügen und Schwächen, den man wohl bald vergessen oder verwechseln würde, wenn ihn nicht eins unvergeßlich machte: die Erscheinung der Elisabeth Bergner. Ach, wenn sie doch spräche! dann würde alles gut. Aber dann wird jedes Glied dieses beweglichsten, bewegtesten Körpers so beredt, dann tragen und leiden die schmalen Schultern an Kinder und Frauenschicksal, der Wind meißelt an der zart widerstehenden Stirn, die Luft um sie her wird sichtbares, fühlbares Element, das angreift, erregt, ermüdet. Wenn sie als falscher Hirtenbub durch die Landschaft stürmt, wenn sie in Gärten ruht, mit der Geige am Kinn im Tanzschritt die Knie hebt oder starr hingeworfen in des Vaters Armen liegt, ist es nicht das Muntere oder Niedliche, das ihr das Thema liefert, nicht die charmante Hosenrolle, was uns entzückt, nein, diese Wangen, diese Finger, diese Knie jubeln, leiden, lieben und verkünden unendlich viel mehr als verlangt wird. Jedes Gefühl erwacht, erscheint wie zum erstenmal. Was bei andern nur rührend wäre, wird innig und ergreifend, und so hat sie auch auf der Leinwand die große Gabe, immer wieder noch „tausendmal schöner" zu werden.
(Aus „Die Literarische Welt",)
Versuch zu einer Theorie des Films
Von Dr. Rudolf Heilbrunn, Frankfurt a. M.
Es wäre wenig sinn jll, einige Bemerkungen, die versuchen sollen, das Phänomen des Films und seine Beziehung zur Gesellschaft zu beleuchten, mit der oft wiederholten Zahl beginnen zu lassen, wieviel Menschen allabendlich ein Kino besuchen. Denn daß diese Zahl ungeheuerlich ist. weiß jeder, der irgendwann vor dem
Eingang eines Kinos in einer dichtgedrängten Schar wartete, bis man ihn einließ, und der die Wartezeit zu der Ueberlegung nutzte, wieviel Hunderttausende und Millionen gleich ihm in den Städten der alten und neuen Welt wohl in der gleichen Minute in derselben Lage sich befänden. Ihm wird bewußt, wie unvorstellbar gewaltig die Macht jener Einrichtung sein muß, an deren erste Anfänge und Jugendtage wir uns noch so gut erinnern, und ihm wird deutlich, daß das Kino eine Erscheinung ist, die wir aus dem Leben unserer Städte nicht mehr hinwegdenken können. Schon diese rein zahlenmäßige Betrachtung zeigt, daß es nicht angängig ist, das Kino seinem Wesen nach mit Theater zu vergleichen, wie man das so oft versucht hat. Die Wirkung des Theaters ist immer eine durch die Zahl der Zuhörer eng begrenzte, und die Einmaligkeit jeder Aufführung ermöglicht nur eine beschränkte Wiederholbarkeit jedes Spiels. Die großen Kosten gestatten nur wenige Theater, während das Abrollen des Filmbandes jedem einzelnen möglich ist, der die technischen Vorrichtungen besitzt. So ist denn, soziologisch gesehen, die Wirkung des Theaters immer eine eng begrenzte. Jedes Theater wirkt in einem geschlossenen sozialen Raum, marxistisch gesprochen, einer bestimmten Klasse. Hieraus erklärt sich, daß die Blütezeit des Theaters immer in dem Höhepunkt der Entwicklung einer geschlossenen Gesellschaft liegt. Das englische Theater erreichte seine Höhe zur Zeit des elisabethanischen England, ebenso wie das klassische Schauspiel der Franzosen in der Hofgesellschaft des Sonnenkönigs reifte. Die Barockoper wuchs auf dem Boden der absolutistischen geistlichen und weltlichen Höfe des XVIII. Jahrhunderts, wie das deutsche klassische Theater sich für den dritten Stand entwickelte und nur in einer geschlossenen, sei es höfisch-bürgerlichen, sei es bürgerlichen Gesellschaft möglich war, wie sie in Hamburg, Mannheim, Berlin, Wien, Frankfurt usw. bestand. Der zweifellose Verfall des Theaters in unserer Zeit beruht auf dem Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft, denn obwohl man heute in Berlin zwischen Reinhardt und Piscator vollendeter Theater spielt als jemals zuvor, ist die kulturelle Bedeutung des Theaters selbst noch mit der des wilhelminischen Berlin nicht mehr zu vergleichen. Dies gilt heute analog für alle europäischen Länder
27