Film-Photos Wie Noch Nie (Jan-Dec 1921)

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Mit einer sehr glücklichen Metapher hat Hugo von Hofmannsthal gelegentlich einmal die Filme als „die Träume armer Leute" bezeichnet. Wenn mit diesem Wort wohl auch mehr die ästhetische Wirkung des Films aufgezeigt werden sollte, so erhellt es doch auch ihre soziologische Verwurzelung in einer sehr bedeutsamen Weise. Denn wie man den Sinn der Träume darin erblicken kann, die Erlebnisse des Wachseins abzureagieren, so liegt die Bedeutung des Films darin, daß er das Leid des Alltags aufhebt, indem er Wünsche erfüllt und Aengste verdrängt. Hierauf beruht die Moral des vielgescholtenen happy end (das ja auch jeder Angsttraum durch das Erwachen erfährt). So erscheint es als möglich, den Film zum Objekt einer Sozialp^ychoanalyse zu wählen, wie die Wiener Schule mit Vorliebe den Traum als Gegenstand ihrer Individualpsychoanalysen verwendet. Daß der Film nicht nur soziale Wunschbilder zum Inhalt hat, bedarf keiner weiteren Ausführung: die Mannigfaltigkeit menschlicher Bedürfnisse und Nöte erzeugt die Vielgestaltigkeit der Filminhalte: einem Volk in nationaler Bedrückung etwa werden die Bilder einer glücklicheren und ruhmreichen Vergangenheit aufsteigen, um das politische Unheil des Tages vergessen zu lassen (Fridericus-Filme, Marinefilme), während ein in wirtschaftlicher Blüte stehendes Land durch das Grauen eines Kriegsfilms die Angst vor der Zerstörung dieses Glückes bannt (Sinn der amerikanischen Kriegsfilme mit pazifistischer Tendenz). Daß alle Filme mit den verschiedensten Tendenzen durchsetzt sind und man keinen auf eine einzige Formel bringen kann, liegt auf der Hand, die erotischen Motivationen etwa bedürfen kaum eines besonderen Hinweises. So erklärt sich der Inhalt der Filme, den ich kurz als „das Wunderbare" bezeichnen will, aus seiner soziologischen Bedeutung, aus der sich auch ergibt, daß nicht nur aus technischen Gründen sich immer wieder die Dramen des bürgerlichen Theaters als so völlig ungeeignet zur Verfilmung erweisen. Denn dieProblematik, aus der heraus sich die Stoffe dieser Sphäre zu Bildern und Handlungen verdichten, ist dem Kinobesucher fremd; was ist ihm Hekuba? Vielmehr wird auch der Film seinen Stoff da finden, wo frühere geschichtliche Perioden dieselben Zwecke erfüllt haben, wie es heute seine Aufgabe ist: in dem Volksroman, dem Märchen, dem Epos der frühen Kulturen. So kann man den heutigen Film leicht auf die Typen der Volksromane zurückführen: der Detektivfilm etwa ist nichts anderes als der Zauberroman einer rationalistischen und kritischen Zeit, bei dem die Genialität des großen Detektivs, des auf den Kopf gestellten Magiers, geheimnisvolle Geschehnisse aufhebt und unverständliche Verknüpfungen entwirrt. In gleicher Weise findet man die alten Formen des Räuber-, Ritter-, Abenteurer-, Reise-, Schelmenromans usw. in Projektionen auf moderne Zustände und Geschehnisse im heutigen Film unschwer wieder. Auch die Revue hat, worauf gelegentlich Willy Haas hinwies, den Charakter eines modernen Volksmärchens, was auf ihrem dem Film nahe verwandten soziologischen Sinn beruht. In viel reinerer Form lassen sich die Märchenelemente beim Film nachweisen, und es ist kein Zufall, daß der schönste deutsche Film Bergers „Gläserner Pantoffel" war und Fairbanks „Dieb von Bagdad" einer der besten amerikanischen. Von dieser Erkenntnis hätte eine Aesthetik der Filmkunst auszugehen. Sie hat zu zeigen, daß der Film in idealer Weise für unsere Zeit die Bilder formen kann, die frühere Epochen in Epen, Märchen, Romanen gestalteten. Sie hat theoretisch den Weg zu ebnen, auf dem der Film fortschreiten wird, den in den Arbeitsstätten einer entgotteten und entzauberten Welt lebenden Massen den Glauben an die Schönheit des Lebens und das Glück des Daseins zu schenken, die Besiegung des Elendes und die Ueberwindung des Leidens zu zeigen, kurz auch künstlerisch das zu sein, was er soziologisch geworden ist: das Epos der internationalen Demokratie. 29