Film-Photos Wie Noch Nie (Jan-Dec 1921)

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Der phantastische Film von Henrik Galeen M an müßte endlich einmal die Wörterbücher korrigieren. Die meisten Ausdrücke (allen heute nicht mehr mit den Begriffen zusammen, deren Bild sie geben sollen. Sind denn Liebe, Freundschaft, Herz und Seele noch dieselben Begriffe wie einst, als man die alten Wörterbücher schuf? Was ist uns und noch mehr unseren Kindern heute die alte „phantastische" Märchenwelt des Grimm und Hauff, des E. T. A. Hoffmann und vielleicht auch des Edgar Allan Poe? Sehen wir sie aus unseren Brillen von heute an. Sie bleibt uns nur eine geniale Anregung, aber auch nicht mehr; denn das, was wir heute tagtäglich vor uns sehen, übertrumpft an Phantastik sogar einen Jules Verne. Das Reale von heute ist der Phantasie von gestern gleich* wertig geworden. Und so mußten wir uns beim Film nach neuen Problemen aus diesem Bereiche umsehen. Was nennen wir heute noch phantastisch? Alles, was im Unterbewußtsein uns möglich erscheint, obwohl es im gewöhnlichen Alltagsleben nicht vorhanden ist. Das Gebiet des „phantastischen" Films ist eigentlich unerschöpflich, und wir können getrost das, was wir mit Vorliebe als „grotesk" bezeichnen, unter den Nenner der Phantastik bringen und also auch nach dieser Richtung hin das veraltete Wörterbuch korrigieren. Schließlich ist auch die berühmte Hungermahlzeit Charlie Chaplins in seinem „Goldrausch" nicht nur grotesk, sondern kann ruhig als phantastisch gelten. Sie ist unzweifelhaft in diese höhere Region gerückt. Merkt auf, meine Herrschaften! Wir sind ja nur heiterer geworden und wollen nicht mehr darüber weinen, daß ein Märchenprinz im Walde von Wurzeln lebt. Wir sehen viel lieber uns selbst, die wir nicht mehr Prinzen sein wollen, „phantastisch" hungern und an den Schuhsohlen nagen, ohne darüber Tränen zu verlieren. Die Motive sind die alten geblieben. Der Riese aus „Tausend zu eins" von Harold Lloyd, der aus Dankbarkeit zum Diener des Helden wird, oder die Kuh von Buster Keaton, der Keaton einen Dorn aus dem Fuß gezogen hat und die mit einer unwahrscheinlichen und geradezu phantastischen Intelligenz dem Wohltäter und neuen Herrn folgt — sind sie nicht alle alte Märchenmotive in neuem Gewand und in neuer Gestalt? Der fliegende Teppich des Douglas Fairbanks erregt schon Kopfschütteln bei unserer Jugend, sie wittert den Filmtrick und forscht nach den Künsten, mit denen er zustande gebracht wurde. Wo sind Schraube und Motor? Denn wir staunen nicht mehr über das technisch Unerhörte. Wir haben uns daran gewöhnt, daß uns jeder Tag neue technische Wunder bringt, und sind geradezu erstaunt, wenn eines Tages die Zeitung keine neue Erfindung, kein neues Wunder der Technik verkündet. So beginnen wir nach diesen Wundern in uns und um uns zu suchen, und das Unwahrscheinliche wird zum Phantastischen. Wir merken, daß ein Hund, ein Kind ringsherum um einen Spiegel wandern und das Wunder des zweiten Gesichts bestaunen. Wir werden nachdenklich und fragen uns: Wie ist es, wenn dieser Zweite, dieser Andere, der dir so ähnlich sieht, aus dem Rahmen des Spiegels herausträte . . . Wir ziehen alle Folgerungen aus der einen Beobachtung und schaffen den Doppelgängerfilm. Ist es aber wahrscheinlich, daß sich zwei Menschen wirklich so gleichen? Unser Unterbewußtsein bestätigt eine Möglichkeit, die unser Verstand verneint, und das genügt, um daraufhin alle phantastischen Möglichkeiten aufzubauen. Man fragt mich oft, warum wir den phantastischen Film nicht inniger pflegen, warum er so selten auftaucht. Ich glaube darauf erwidern zu können und zu müssen: weil das Außergewöhnliche, das Seltsame eben ausnahmsweise vorkommt, und man darf Ausnahmen nicht zum täglichen Brot machen. Immerhin: auch jeder reale Film sollte ein Tröpfchen Phantastik in sich haben, wenn man bedenkt, daß die Phantastik zu den echtesten Kindern der Phantasie gehört. (Crapouillot) 37