Der Kinematograph (January 1913)

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rollen. Die Wirklichkeit wurde, um einen hübschen Ausdruck Emst von Wolzogens zu wiederholen, in einer Mausefalle gefangen. Man muss sich einmal, um die Bedeuttmg dieser Erfin¬ dung zu würdigen, in die Illusion hineinträumen, dass man sie etwa schon zur Zeit der französischen Revolution ge¬ kannt hätte. Wenn wir heute 'Jamille Deraoulins in der Mitte der vieltausendköpfigen Men 30 unter den Aka¬ zien belauschen, wenn wir dea Grafen idirabeau auf der Tribüne der Nationalversammlung sehen, wenn wir den Sturm auf die Bastille in unmittelbarer Gegenwart er¬ blicken, wenn wir alle die erhöhten Stunden einer grossen Zeit in ungefälschter l^ebendigkeit als Augenzeugen durch¬ leben könnten-welch ein unschätzbarer Besitz wäre uns damit überliefert worden! Die Vergangenheit hat uns solche Urkunden nicht hinterlassen können. Wir aber wer¬ den der Zukunft ein Filmarchiv übergeben, das lebendige Geschichtsschreibung ist. Und die Nachwelt wird unsere Schi ecken und unsere Erhebungen, unsere Aengste und unsere stolzen Freuden in beweglichen Bildern überliefert bekommen, wie sie kein Historienmaler so lebensecht, so von dem Pulsschlag der Stunde durchpooht, hätte schaffen können. Dr. 11. Lehmann, Physiker am Zeisswerk in Jena: Ihre ganz enorme und täglich immer weiter an wach¬ sende Verbreitung verdankt die Kinematographie ihrer vorzüglichen Unterhaltungsgabe. Die kinematographischen Darstellungen von Vorgängen in der Natur, wie z. B. der Brandung des Meeres, des Fliessens und Fallens von Wassermassen der Ströme, des Heran¬ brausens eines Eisenbahnzuges oder eine Reiterschar und dergleichen mehr, können in keiner Weise durch irgendwelche andere Daratel- iungsart an Deutlichkeit übertroffen werden. Das beschreibende Wort und das ruhende Bild stellen immer mehr oder weniger Anforderungen an die Phantasie, und die Schönheit und Harmonie der Bewegungen lassen beide Ausdrucksmittel nur ahnen. ür. h. Keimseh: Wer für teures Geld ins Theater geht oder mit grossen Unkosten in eine benachbarte grössere Stadt zum Besuch des Theaters fährt, ärgert sich wenn ihm das Stück nicht gefällt. Zehn, zwanzig bis fünfzig Pfennig für den ,,Kino“ riskiert man schon eher, und wenn es nichts Rechtes war, ho hat man eben einmal gespasst. Aber man kommt schon auf die Kosten; wem die ..Rache der Verführten“ oder das ,,Geheimnis des Mumiensargea" nicht gefällt, der findet viellei -ht ein Vergnügen an den lebenden Bildern aus aller Welt, an der Eröffnung der letzten Ausstellung, der Abfahrt eines Ozeandampfers, den Badeszenen von Trouville oder von Samoa, den Perlen¬ fischern von Ceylon, der Tigerjagd auf Sumatra. Das ist nämlich ein zweiter Reiz dos Kino, dass er zwanglos und ansohaulioh eine ganze Menge von Belehrung in unter¬ haltender Form vermittelt. Es kann nicht jeder nach Ceylon reisen, und man kann auch nicht immer dabei sein, wenn in grösserer Nähe etwas Bemerkenswertes vorkommt Der Kino überbrückt Zeit und Raum. Er bringt, etwas Nachsicht und etwas Phantasie vorausgesetzt, Ereignisse vor das Auge, die sich an anderem Orte oder in früherer Zeit zugetragen haben, und kann beinahe sagen, man war dabei. Der Kino kostet auch nicht den ganzen Abend, man kann auf eine Stunde oder gar auf eine halbe Stunde hingehen, man kann es sich einrichten wie man will Stadthibliothekar l)r. G. Fritx, Charlottenbur*: Abgesehen von seiner Verwendung im Dienste der Wissenschaft kann der Kinematograph auf volkswirt¬ schaftlichem und hygienischem Gebiete man che Aufklärung bieten und namentlich der Grobstadt¬ jugend Anschauungen vermitteln, die ihrem Gesichtskreise fern liegen. Wie nützlich könnte es z. B. s in, Bilder, die dem Betriebe des Ackerbaues entnommen sind, in Verbin¬ dung mit erläuternden Worten vorzuführen, oder das Leben in den Volksbeilstätten, in Seehospizen, die Einrichtung von Krankenhäusern, ja sogar von Irrenhäusern, um den weit¬ verbreiteten falschen Vorstellungen über diese segensreichen Einrichtungen zu begegnen, ln St. Franzisko hat man mit gutem Erfolge den Kinematographen in den Dienst des Tierschutzes gestellt und die Schulkinder durch geeignete Bilder aus dem Tierleben ausserordentlich ge¬ fesselt. Und dann der Kmematograph im Dienste der Heimatskunde! Ich habe bereits bedauernd hervorgehoben, wie selten verhältnismässig deutsche Landschaften auf unseren Lichtbildbühnen erscheinen. Wie kann die Geo¬ graphiekunde belebt werden, wenn es möglich ist, nach einem einleitenden Vortrage des Lehrers vor den Augen der Kinder all dio Herrlichkeiten deutscher Landschaften, z. B. den Rhein, die Alpen, das Meer erstehen zu lassen, die das ruhende Bild lange nicht so wahr und lebendig darstellen kann wie der bewegte Film. Max Eck-Troll: Was der schönste Vortrag allein nicht vermag, das be¬ wirken die wissenschaftlichen kinematographischen Bilder in Verbindung mit dem begleitenden wissenschaftlichen Vortrag aus berufenem Munde: Im Verlaufe eines kurzen Abends kommen wir um ein Bedeutendes in einer Wissen¬ schaft voran. Bei weitem schneller, sicherer und nach¬ haltiger, als wenn wir Nächte lang die besten Bücher über das gleiche Thema lesen. Darin besteht ja der Wert unserer Hochschulen, dass das gesprochene Wort wesentlich tiefer in unser Denken eindringt als jede Lektüre Kommt nun zu dem Vortrag die Vorführung von lebenden Bildern, dann tritt ein Vorgang auf technischem, naturwissenschaftlichem etc. Gebiet mit ungeahnter Deutlichkeit vor uns hin. Alles wird uns leicht verständlich, was sonst schwer fasslich wäre. Erich Schlaikjer: Wie heisst die wunderbare heimlich lockende Macht, die jung und alt, gebildet und ungebildet, arm und reich ins Kino zieht ? Sie heisst: Die Freude am Schauen, und wie sehr wir auch gegen das gegenwärtige Kino kämpfen müssen, dürfen wir nie vergessen, dass sie eine der segensreichsten Mächte der menschlichen Seelfc ist. Man hat unsere Zeit mit Unrecht die papierene genannt; um so besser also, dass in all das dürre Wortgeraschel plötzlich herrlich pran¬ gende Bilder hineinscheinen. Wer in eine moderne Zeitung hineinblickt, sieht in einen Spiegel hinein, in dem das Leben und Treiben der ganzen bewohnten Erde an ihm vorüber¬ zieht. Wie wenig aber vermögen bei all diesen Nachrichten aus Nah und Fern wirklich etwas Greifbares zu sehen und wie verderblich ist es, wenn sich das Gehirn an ein Spiel mit inhaltsleeren Worten gewöhnt.• Wer sich daran gewöhnt , täglich anschauungsarme oder völlig anschauungs lose Worte klappern zu hören, geht langsam geistig zugrunde. Dichten ist Sehen, eagt Henrik Ibsen, und diese Bedeutung der inneren Anschauung für die Kunst ist ziem¬ lich allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch kein theoretisches Denken ohne innere Anschauung möglich ist. Niemand vermag anders zu denken, als in Bil¬ dern der Phantasie, als in inneren Anschauungen. Genau wie die künstlerische wurzelt auch die historische, philo¬ sophische, technische Genialität in der Phantasie und darum brauchen wir uns durchaus nicht zu grämen, dass im Kino eine starke Freude am Schauen zum Ausdruck kommt. Alfred Mello, Dresden: Das Kino führt uns durch fremde Länder, zeigt uns fremde Völker in ihren Sitten und Gebräuchen, lässt uns unsere Forschungsreisenden auf ihren gefahrvollen Streif¬ zügen begleiten und zeigt uns, wie unser Volk in den Fabri¬ ken arbeitet, wie die Industrie vorwärtsschreitet und lehrt uns unseren Körper so zu behandeln, dass er gesundheitlich