Der Kinematograph (August 1914)

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No. 397. Per KineniutoKraph — Dü.sse]dort. Wenige Augenblicke nach Bekannt wer¬ den der wichtigsten Nachrichten im Direktionsbureau kann auch schon das Publikum verständigt sein. Aber auch noch in anderer Beziehung suchen Kri«*g und Kino im ZiiHammenhang. Im amerikanisch- mexikani sehen Krieg, der immer noch nicht beenilet ist. hat der ticneralstab die Kontrolle «ler joumalisti- when und photographis»-hen Korrt*spondenzen bis ins kleinste geregelt. Die Hauptverordnung dieses Konirollcrlasses bezf»g sieh auf <lie kinematographischen Aufnahmen. Die Films mussten nach Washingti>n gesandt werden un«l wurtlen dort vor den Zensoren entwickelt, <lie sie darauf¬ hin prüften, ob sie erscheinen durften. Die Zensur Hess naturgemäss nur Films iMssiereti. <iie Siege cxler Hehlentaten verzeichneten. Die anderen blielK*n in der Dunkelkammer. Nel>en den freien KiiHM>|>erateuren war j«lem Trup|)enteil ein „offizieller Photograph der Armee“ atta<-hiert. Er hatte die .-Xufgalx-, für die Kegi«*rung ..ein¬ wandfreie“ Films und Phot«)graphien anzufertig«Mi. von welchen erstere den Kinotheatem, letzten* den Ztütungen zu einem billigen Prt'isc* überlas-sen wunleii. Im bulgarisch-türkischen Kric^ hatte die bulgariM;hc Armeeleitung für die gute Stimmung und die Unterhaltung ihrer Trup|K‘n dadurch gesorgt, dass sie ihnen kincmatographischc Vorführungen bot. Im be¬ lagerten Adrianopel waren die )>aar Dutzend Films, die sich vor der Kinschliessung dort befanden, ein Haupt zeit vertreib der verzweifelnden Bewcjimer. lX.*n Teilnehmern am it allen isch-tripoli- tanischen Feldzug hatte die italienische Rt'gierung kine matographische Heimatgrüsse be¬ schert. Sic bat die Angehörigen der Kriegsteilnehmer in die unterschiedlichen Ka.semenhöfe, lit*ss sie sich in einem langen Zuge aufst(‘llen un<l kinematographierte die er¬ schienenen Väter, Mütter, Gattinen, Bräute und Kinder. Diese eigenartigen Films wurden vervielfältigt, den im Felde stehenden Truppenteilen zugcs<-hi<;kt und in «len alH*ndlichen Kriegspausen vorgeführt. Ihi sahen die braven Vaterlan<lshelden in bewegter I>‘bendigkeit ihre .\ngehörigen, die ihnen als Trost heimatliche Grüsse zuwiiikten. IMe bevorstehen«len kriegerischen Ereignisse w«‘nb-n aus.ser den hier kurz geschil«l«*rten Verwemliingspluiscn hik*hstwahrscheinlich noch andere und neue .Möglichkeiten zeitigen, wie sich das Kino im Krit'ge l>ewährt. Kunstfortschritt unii Kunstschablone im Film. Wiewohl im heutigen kincinatograpuischen Theater¬ getriebe die Filmfabrik allein als Urheberin aller eifreulichen und aller iH'fremdlichen Erscheinungei; zu g«-ltcn hat, kennt doch nur ein ganz geringer Bruchteil «les theater¬ besuchenden Publikums die inn«‘rcn Zii.sammenhiinge. Wenn vor ode- nach Abrollen des Bild(.*s der Name der Filmfabrik auf «ler I.«iiiwan«l sichtbar wird, so bedeutet seine la^ktüre für das Publikum kaum mehr als eine ganz belanglose Sache, ganz abgc'sehen davon, dass die Firmennennung am Schlus.se des Bildes dem Publikum schon «leshalb Unbehagen verursacht weil es durch «lie erzwungene I>*ktüre ohne jeden Grun«l in die reale Wirklichkeit zurückgeworfen wird, un«l deshalb kam «l«>ch das Publikum nicht in das Theater! Die Fabrik hat wohl ihre Absicht erreicht, denn g«Tade die auf das höchste gesteigerte Kpannung am Schlüsse «les Bildes hat zur Folge, «lass «iie Firmennennung sich ein¬ prägen muss. Wie aber, wenn «las Bil«l schtecht war ? Und es gibt auch solche. Darum muss nicht weiter b^ründet wi-itlen, dass eine geschmackvolle Firmenankün«ligung vor dem Ersch«*inen des Bildtitels zur Regel wenlen sollte Aber¬ mals nicht für das Publikum, sondern für die zukünftige Kritik «les Kinodramas. Das Kinopublikum nun lässt jeden Mangel, jeden künst¬ lerischen Defekt eines Bildt*s «len Theaterbesitzer ent¬ gelten, trotzdem er d<>ch bl«>ss Konsument ist und die Tag«!s- presse in ihren hilflosen und eben deshalb zumeist spöttischen Uharakterisierungen des Kinos, sie tut «iasselbe. Es muss dem einsichtsvollen Freunde der Kinematographie, dem objektiven Kritiker, der ihren \'«.>Tfehlungen entgtjgentreten will, gestattet sein, ein offenes Wort spiechen zu können. Sowohl als D«>lmetsch d<?s Publikums, als auch als Vertreter d(?r Kunstkritik überhaupt, die gerade in der Kinemato¬ graphie völlig brach liegt. Sie darf sich nicht damit be¬ gnügen, vergleichend zu betrachten, Bewertungen zu geben und ihre eigene Empfindung zum Ausdruck zu bringen. Sie hat dem Dichter gerecht zu werden, der ihr heute zumeist völlig unbekannt bleibt, sie hat Regiefehler und -Vorzüge festzustellen, historische Momente auf Grund von Erfahrung und Studium riohtigzustellen und alle sonstigen, dem l’hantasiebereich angehörenden Sujets und Details in «len Bereich ihrer Beurteilung zu ziehen, weil sie die Schranken der Entwukliing Iwseitigen will, objektiv, also ohne Rück¬ sicht auf die momentanen materiellen Inter«?ss«*n von Fabrik uml Theater, aber doch zugunsten bei«ler Faktoren, die ja mitten in der Situation stehen un«l eben dadurch allzu leicht in die Schablone verfallen. Ohne «ler Entwicklung «ler Kinokritik irgen«lwie prophe- lis«;h vorzugreifen, sei also vor allem «laran erinnert, «lass «lie künftige Kin«>kritik ihren MaUstab auch nur «lort ivn- legen wir«l, wo die Filmfabrik st*lbst es wünscht; «las Vorbild d«-s Bühnendramas kann b<‘i«lerseit8 nicht geleugnet un<l nicht umgangen wer«len und sowohl auf der Bühne, wie au«-h im Film hängt die l«*tzte Wirkung «l«‘s Dramas nicht allein vom dramatischen Vorwurfe ab, s<mdem auch davon, wie der V«»rwurf geformt ist . Der Dichter des ]>ramas gibt uns eine Begebenheit, in «liese stellt er die han«lelnden Personen, sie enthüllen uns ihre t’harakteure, und ist d«is Drama künstlerisch durchdaiiht un«l künstlerisch geformt, so flicssen Begebenheiten. Charaktere, Pointen un«l Wirkungen in eine einzige Form zusammen. Nun kommt aber ein Mangel der m«Klemen Bühne, den ich schon bei einer früheren Gelegenheit angedeutet habe, und der geeignet genug ist. der Kinobühne einen Vorsprung zu sichern, wenn sie «len Mangel rechtzeitig zu ihren Gunsten verwertet. Die nuKleme Schaubühne arbeitet heute zum grössten Teile mit IVjblcmeu. Die Gedankensezierkunst ist IVumpf. Nicht so sehr dem Publikum gilt «Ijis Bestreben, die h^deln«len Personen psy«^hol«)gi8ch zu zerl«gen, son«icTn dn Kritik. I>as Pu¬ blikum hat das Nachsehen, weil der Dichter nicht mehr Wirsehung spielen will. Die einzig gute Wirkung alier, di«‘ ein Drama überhaupt hervorzubringen verniag, bleibt di«' Gemütsbewegung und diese erst hat d«u« Nachdenken zur Folge. So vielerlei verschicvlene Charaktere im Publikum von den Begebenheiten des Dramas bew«5gt werden, so ver schieden ist auch der I*rozes8 des Nachdenkens mit Bezug auf sich selbst. Nun verlangt aber das m«jdeme Bühnen¬ drama, dass der Zuschauer von seiner eigenen Person absehc. dass er über Wollen und Müssen der Bühnenpersonen na«;!» denke, und er kann sich nicht «lazu verstehen, weil er ihre komplizierte l’syche nicht versteht. Im Leben soll es er¬ laubt sein, da.ss jeder sich selbst der Näclwte sei, und im Theater soll der Zuschauer sich aller Persönlichkeit ent-