Der Kinematograph (January 1915)

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No. 42i. Der KinrmatoRrnph — nüssaldorf. AKer die ganze Welt »prieht. sehreit, brüllt, und alle-» gegen iteiitsehland. l nd Iteiitsrhland sehweigt! Warum srhweigen, wenn die W elt sp rieht In den letzten Tagen häiireii sieh die Anzeigen in den Faeiizeitsehrirten von Films, die ..mit Krlaiihnis des Ueneral- stalies der deutsehen Armee” genummeti \turdtn. Wie ich das Itedauere. Hiese Bilder sind nieht dazu angetan, das zu vollbringen, was meine Artikel bezweeke i: einen I nisehMiing der amerikanisehen Stimmung zugunsten Iteutsehlands ! ieli lese zwar, dass einer der bedeutendsten und In*- kanntesten deutsehen Filmfabrikanten als Iterater des (ieneralslahes herangezogen wurde, die Filmierung zu über- naehen. leh gebe gerne zu, dass der Herr alles weiss, was Films betrifft. FIr weiss aber nieht. was das amerikanisehe Volk will: er weiss nieht, was wir hier braiiehen: er weiss nieht. wie man hier Stimmung maeht: er kennt weder die Mittel, noeh die Wege, die riehtigen Films riehtig auf die riehtige Weise zu verbreiten: und, ieh wiederhole, er weiss ■lieht, was man hier braueht und wie man es braurht. leh bin bereits zwanzig Jahre in diesem l^unde: ieh bin einer der Pioniere der lebenden Bilder-Industrie: ieh sehrieb mehr als dreihundert Szenarios für die bedeutendsten ameri¬ kanisehen Fabrikanten: ieh weiss, was man hier will und was man haben muss: weiss aiieh, wie man die Bilder dureh ganz Amerika verbreiten kann und stelle mein Wissen gerne den Behörden zur Verfügung. Warum sehweigen, wenn die Welt sprieht f Ir. Bert hold A. Baer, Philadelphia, Pa. Annierkung der Kcdaktiitn : Der dem Generalatab hei- ve irdnete Filnifabrikiisit hat lediglieh tceliniaehe Fragen der Kin<'ii>atogra|>hi<' z«i l>earl»eiten, die Frage der V«>rbreituiig vt>n KriegHaitfnahnien muss flnreh di«- B«-hörden iin«l d«ireh den Eifi-r der Fachinteressenten in «lie richtigen Wege p>l«-ilet werden. Diu-.in müsaen wir also alle arbeiten. Die Kinematographie der Arbeit. Der Schauspieler, tU'r sich bei seiner. Bewegung-m ktm- frullieren vill, stellt sich bekanntlich vor den Spiegel, um sich von diesem unbestechlichen Beobachter sagen zu lassen, ob er gefällig spielt, oder ob er seine fJesten besser wählen müsse. I>aH ist ein sehr interessanter Ib-ozess. Der Mann vor tlein Spiegel tritt gewissermassen aus sich selbst heraus, und tias handelnde Subjekt wird zugleich zum beobachteten tibjekt. l’nd diese Betibachtung ist oft so wertvoll, dass sie ganz unentbehrlich erscheint. Was wäre mancher Mime t>hne seinen Spiegel ' Tnd doch ist die Wiedergabe, welche der Spiegel zu leisten vermag, in gewissem Sinne unvollständig - - so treu sie auch sonst ist. Denn die lebenden Bilder, die dieser .Apparat unermüdlich zu liefern bereit ist. erscheinen nur ein einziges Mal, und dabei halten sie zeitlich absolut genau mit den Vorgängen Schritt, welche sie abbildcn. iK-nn wenn unser Schauspieler den Wunsch äusserte, das Bild seines Spiels später ein zweites Mal zu sehen, so waitie «1er Spiegel, wenn er ein lebendiges W’esen wäre, höfUchst ablehnend mit den «Schultern zucken und erklären, dass « r sich darauf nicht einlassen könne. Das ist aber ein Mangel. Denn ein Bild wird von uns erst gründlich erfasst, wenn wir es mehrfach beschauen können, l’n«! Vorgänge, welche bereits mehr «wier minder iler V«*rgangenheit angehören, vermögen wir oft weit unbe- fang**ner zu betrachten und richtiger zu beurteilen — als gegenwärtige. Das iK-obachten wir häufig, wenn wir z. B. eine laind- -a-haft w-iwlerholt sehen. Da tritt etwa im Bilde irgend eine B4>rgspitze etwas auffällig hervor. Beim ersten Studium der laindsi-haft beachten wir sie vielleicht kaum. Ein zwe'.te« und drittes Betrachten schiebt sie schon mehr in den A'ortlergrund der Aufmerksamkeit, unti wenn wir den Bliek immer wiwier über das Ganze schweifen lasrnm. so gewinnt das zuerst kaum Bemerkte schliesslich doch seine Ik'deutung als etwas Hauptsächliches. Und wenn «1er .Spiegel imslamle wäre, nach Art einer gefälligen Re- |>etieruhr seine Vfirstellungen zu wiederholen, so würde er auf Vieles aufmerksam machen können, was uns beim einmaligen »Sehen entgeht Gerade such das spätere Beschauen ist lehrreich, wie wir .schon an«leuteten. Das bemerken wir vielfach. I>er Schriftsteller nimmt z. B. eine alte .Arbeit vor, die er vor .lahr und Tag geschrieben hat, um sie wieder durchzulcsen. Sieht er nicht dann alles mit viel klarerem Blick ? .Aber man braucht kein Mann der F'eder zu sein, «im Derartiges zu erleben. .Alte Briefe, die wir einst selbst geschrieben, kommen uns wohl gelegentlich wieder zur Hand, und es ist interessant und lehrreich, sie noch einmal zu über¬ fliegen. Klingt nicht dann manche« in ihnen ganz anders als damals, als jene Zeilen verfasst wurden, und als wir sie unmittelbar darauf ntKih einmal überlasen ? Dazu kommt n«>ch ein wichtiger Punkt. l..as.sen wir iigend eine unserer freist ungen später wieder in Wort und Bild auftauchen, so wird nicht nur ihre Repiroduktion eine abgeklärtere Beurteilung geniessen. Jene bedeutet viel¬ mehr auch ein kleines historisches Dokument, das zum Vei^leich mit dem einladet, was wir jetzt sind und können. Der l^eser wird unschwer erraten haben, worauf diese Erörterungen abzielen. Der F'ilin ist es natürlich, welchen wir im Auge haben. Denn er erfüllt die Forderungen vorzüglich, welche wir eben aufgestellt habeu. Fast un¬ beschränkt leistungsfähig, im Notfall durch Reproduktion vermehrbar, führt uns das Band der lebenden Bilder seine Szenen beliebig oft vor die Augen. Hunderte von Malen rollt der Film ab. um uns Gelegenheit zu geben, alles auf das genaueste zu beobachten; und noch nach Jahren steht er zu Diensten, wenn wir die Vergangenheit lebendig wer¬ den lassen wollen. Hat sich der l^eser schon einmal selbst im Film geschaut ? Hat er sein Ebenbild aus dem Rahmen einer Schaufläche hervortnden und ihm vielleicht gar zuIächeln gesehen ' Kaum. Denn im allgemeinen ist es ein seltenes «Spiel des Zufalls, wenn der Gast im Kinotheater zugleich Schau¬ spieler oder Statist ist. .Aber wer sich einmal im lebenden Bild beobachtet hat — und an Aufmerksamkeit wird es dabei nicht gefehlt haben —, der hat gewiss recht inter¬ essante Beol»chtungen angestellt. Und er hat sich sicher über Dies und «Jenes gewundert. Habe ich mich so bewegt ? Habe ich so gestikuliert ? Das sind Fragen, welche auf- tauchen. wenn sich jemand im Kino selbst zu beobachten Gelegenheit findet. Fis ist ja ein«* bekannte Tatsache, dass wir die Eigen¬ tümlichkeiten unserer Nachbarn weit besser zu erfassen