Der Kinematograph (September 1915)

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Der kinematograph — Düsseldorf. No. 453. überhaupt verlaut bart wurden, können — wenn aueh nicht gebilligt — so doch aus dieser allgemeinen Tendenz erklärt und verstanden werden. Sehr bald begriff man aber doch, dass unser Wirt schuft sieben nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn nach Möglichkeit alle die Betriebe weiteiarbeiten, die man von Friedenszeiten her kennt. Man sah ein. dass eine ungeheure grosse Arbeitslosigkeit die Folge sein müsste, wenn planmässig die „Sparsamkeit“ gepflegt werden würde. Mit Recht erhob denn aueh bald die gesamte gut geleitete Presse die Parole „Durchhalten und Anpassen“ unter dem Gesichtswinkel, dass hierzu auch die Befriedigung aller wichtigen Bedürfnisse* gehöre. So kam man schon nach einigen Kriegswochen dazu, die übertriebene und daher falsch angebrachte Sparsamkeit mit Recht als wirtschaftlich durchaus verfehlt und vom Standpunkt höherer Erkenntnis aueh als durchaus unpatriotisch zu kennzeichnen. Wie sehr diese Arbeit im grossen und ganzen erfolgreich war, zeigt ein Blick auf die Tagespresse. Die Blätter bieten hinsichtlich des Umfanges einschliesslich des Inseratenteils jetzt im wesentlichen fast dasselbe Bild wie in Friedenszeiten. Hier ist also der Kriegssclirecken im grossen und ganzen überwunden. Der Eindruck der Stärke des deutschen Wirtschaftslebens wird seitdem durch das Bild fast der gesamten deutschen Tagespresse sowohl im Inlande wie auch im Auslande in bester Weise dokumentiert. Bei dieser Entwicklung bleibt es doppelt merkwürdig, da*., man anscheinend gerade das Kino von der Erkenntnis der Notwendigkeit «1er Aufrecht erhalt ung des Wirtschafts¬ lebens ausnehmen will. Schon gelegentlich haben wir gehört, dass die Be- hörden «len Frauen unserer im Felde stehen«len Kämpfer, die Kriegsunterstützung beziehen, den Kinobesuch s«*hr verargt haben. So ist es vor einiger Zeit nach dem Bericht <l«*s Zeitzer „Volksboten“ der Frau eine« Kriegsteilnehmers passiert. dass sic der Pfarrer ihre» Ortes wegen «les Besiuhs eines Kinos ermahnte. Aber damit hatte es kein Bewenden. Die Tatsache, dass «liese Kriegersfrau ganze 20 deutsche Reiclispfennige für das Kino ausgegelxm hatte, war t in genügend schweres Verbrechen. um ihr die bis danin ge¬ währten Brote zu entziehen. Die Frau eines anderen Kriegs¬ teilnehmers, «lie sich den gleichen Kinoluxus geleistet hatte, wurde dadurch bestraft, dass der Genieinderat ihr Gesuch um Brot Überweisung ablehnte. Vom Pfarrer soll dieser Standpunkt damit begründet worden sein, dass eine Krie¬ gersfrau mit 6 Kindern einer «lerartigen Unterstützung nicht würdig sei, wenn sie ins Kino laufe. Derartige Begebenheiten sind in verschiedenen Formen schon bisher zu beklagen gewesen. N'un scheint es aber, als wenn gewissermassen System in die Sache gebracht werden soll. Der Oberpräsident zu Magdeburg hat nämlich eine Wrfügung für die Provinz Sachsen erlassen, die z. B. in Nord hausen von dem städtischen Wohlfahrtsamt jeder Arbeiterfrau bei der Abholung ihrer Kriegsunterstützung tibergeben wurde. Dieses Dokument ist interessant genug, um hier wörtlich wiedergegeben zu werden: ..Der < >h«*rpräsident. Magdeburg, den 1. März 1915. Vielfach sind bereits in der Oeffentlichkeit Klagen darüber laut geworden, dass Frauen, deren Ehemänner itn Felde stehen und welche auf Grund der Rcicltsgesetze v«mi 28. Februar 1888 und 4. August 1D14 Unterstützung erhalten, müssig gehen und ein leichtfert iges, zurzeit sogar unsittliches Leben führen, anstatt mit den gewährten Beiträgen sparsam zu wirt¬ schaften und durch eigene Kraft ihre Einnahmen womöglich zu erhöhen. Andererseits ist vielfach die Erscheinung zutage ge¬ treten, dass Frauen der einberufenen Soldaten besser gestellt sind als in Friedenszeiten, wenn ihre Ernährer zu Hause sind. Manche Frauen, namentlich die Frauen der Fabrikarbeiter, erhalten Unterstützung vom Reich und von den Kommunen, ferner Unterstützung von den Fabriken, in denen ihre Ehemänner vor der Ein¬ berufung arbeiteten; aussertlem schicken ihre Ehemänner Gehl na«*h Hause un«l schliesslich gehen die Frauen auch wohl noch selbst zur Arbeit in andere Fabriken. Diese reichlichen Geldmittel werden dann, wie nicht selt«*n beobachtet worden, unwiitschaftlich verwendet, namentlich in den Städten im Genüsse von Leckereien und Kuchen, auch in Restaurationen, Ver¬ gnügungslokalen. namentlich in Kinos vergeudet. Nordhausen, den 18. März 1915. Bei etwaigem Bekannt werden von Fällen, wie in vor¬ stehender Verfügung angegeben, werden wir ohne weiteres die staatliche und städtische Beihilfe in Abzug bringen. Das Wohlfahrtsamt, gez. Contag.“ Auf die Rechtsfrage, ob es dem Willen des Gesetz¬ gebers entspricht, wenn in «lieser Weise die vorgesehenen Kriegsunterstützungen ..in Abzug gebracht“ werden, soll hiet nicht weiter ci»gegangen werilen. Es sei daran erinnert. «lass «lie Regierung im Reichstag die Erklärung abgegeben hat, eine kleinliche Handhabung des Unterstützungs- weseiLs bei Kriegerfrauen usw. liege weder im .Sinne «les Gesetzes, noch in dem der Regierung. Sachlich ist gegen diesen Erlass, der sich ausgesprochen gegen den Kinobesuch wendet, vielerlei -tu sagen. Zunächst macht man sich sicherlich am grünen Tisch denn d«x*h recht falsche Vorstellungen von den ..reichlichen“ Geldmitteln, «lie «l(*n Kriegerfrauen zur Verfügung stehen. Dass die staatlichen Unterstützungssätze selbst unter Hinzurech¬ nung der kommunalen Zuwendungen unzureichend sind, kann kein Einsichtiger bezweifeln. .Das, was die im Felde stehenden Minner nach Hause senden können, kann bei einem gemeinen Soldaten im besten Fall im Monat 10 Mark -ausmachen. Die Fabrikunterstützuugen sind ja meist sowie¬ so von den Kommunen dahin ausgeschlaehtet worden, um dafür die kommunalen Zuwendungen abzulehnen. Aber selbst, wenn alle diese Einnahmen Zusammenkommen, so bleibt es bei de: allgemeinen Teuerung auch für «iie Krieger- frati immerhin noch ein Kunststück cinigermassen wie ein Kulturmensch zu leben. Ja, wie ein Kulturmensch leben! Darauf legen wir Wert. Wenn es sieh nämlich nur darum handelt. überhaupt zu leben, dann könnte man ja die deutschen Kriegerfrauen und ihre Kinder auf die ..Kulturhöhe“ der ungebildeten russischen Bevölkerung «xler des chinesischen Kulis zurück¬ drängen. Wir wissen ja aus den Kriegsberichten der er¬ staunten deutschen Zeitungsleute sowohl, wie aueh aus den Aeusserungen unserer deutschen Soldaten, dass sie geradezu entsetzt sind über die primitiven Verhältnisse, die sie hin¬ sichtlich Wohnung, Ernälirung, Kleidung und geistigen Bedürfnisse in russischen Volksschichten angetroffen haben. Gerade aus dieser Erkenntnis heraus hat doch aber auch der deutsche Soldat immer untl immer wieder gesehen, was er in di<jsem Kriege zu verteidigen hat! Das Be- wusstsein, dass seine Familie zu Hause tausenderlei Kultur-Errungenschaften geniesst. wozu allerdings auch der gelegentliche Be¬ such eines Kinos gehört, das ist doch mit ein ausschlaggebender Faktor gewesen, um im aufreibenden Kampf im Schützengraben überall heldenhaft auszuliarren. Verbietet man, wie es doch in praxi der Erlass besagt, den unterstützten Kriegerfrauen den Besuch von Kinos und Restaurants, den Genuss von Kuchen usw., so müsste sich doch der Vaterlandsverteidiger im Fehle nach und nach sagen, dass es seiner Familie nicht besser geht, als wenn sie in halbtierischer Unkultur aufgewachsen wäre. Im Gegen¬ teil, die kritische Beurteilung wird noch um so bitterer aus- fallen. als doch schliesslich auch der einfache Arbeiter bei uns in Friedenszeiten „seiner Familie etwas geboten“ hat. Die Angehörigen sind also an die Befriedigung gewisser Be¬ dürfnisse — vielleicht auch wöchentlich ein Mal ins Kino