Der Kinematograph (April 1917)

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No. 536. Der Kinematograph — Düsseldorf in die Oper geht Y i>ass er in die U|»erette geht, ist erst recht aiizunehmen, und die Beweise gegen das häutige Anwenden von musikalischen Reminiszenzen sind infolge¬ dessen überflüssig. Wie jeder Komponist. s> hat auch der Filmmusiker zuerst die Aufgabe, den Stimmuugsgehalt des Films zu erfassen. Wohl wahr, dass dies iin Film äusserst schwer ist. Denn er besteht aus Szenen, welche in bunter Reihe folgen und oft stärkere Wirkung ausüben, als die zum Schlüsse sich lösende Handlung. Die Szenen dürfen aber trotzdem nicht wichtiger genommen werden als die eigent¬ liche Handlung. Es ist eine s “hone Erleichterung für den Filmmusiker, sich au das Kompositi insgesetz zu halten, welches Richard Wagner für seine Opern irameu aufstellte. Nicht mit den gleichen Worten, doch dem Sinne nach sagt. Wagner: Ich stelle die Personen meiner Oper vor mich hin. sehe sie mir genau an; ich betrachte das Kleid, das sie tragen und nun höre ich hin, was sie mir zu sagen haben. So wie diese Personen sprechen und nicht anders, s» lasse ich sie singen! — Nun, die Hauptdarsteller eines jeden Films haben so fest begrenzte Rollen sie sind s> scharfe Charaktere, dass das Wagner’sche Komp isitionsgesetz auch im Film ohne Schwierigkeit angeweudet werden kann. Die Schwierigkeit besteht erst darin, nun auch die Kenntnis von all der verschiedenartigen Musik zu haben, welche die im Film handelnden Personen von sich ausstrahlen. Fiir diese Kenntnis gilt nur die fortwährende Bereicherung, die fort¬ gesetzte Verbindung mit dem musikalischen Leben. Ein reiches Archiv ist viel, aber das Archiv bleibt fluch eigent¬ lich nur der Behelf. Während es heute die Regel ist, nur der vorhandenen Ensemblemusik Material für die Filmbegleituug zu ent¬ nehmen, muss es wichtiger werden, das Kinomusik-Archiv langsam aus der Orchestermusik-Literatur zu ergänzen. Das Eusemblematerial müsste von Rechts wegen neben¬ sächlich werden. In den Schätzen für die Kaffeehaus¬ musik spielen «lie Fantasien die führende Rolle auch bei der Filmbegleituug. Aber die Fautasien sind beute ab¬ gedroschene Schmöcker, jeder einfache Mann aus dem Volke kennt sie. ln den letzten Jahren sind Bearbeitungen moderner Opern in Fantasieform überhaupt nicht er¬ schienen. Aber <lie Fantasien sind die Retter für jede Art von Filmmusik. Leider! Das scheint mir ein blosser Be¬ quemlichkeitsstandpunkt zu sein. Ein einziger Besuch eines Orchesterkonzertes belehrt den Kin imusiker. wie reichlich ihm hier die Quellen f Hessen, er muss sie nur benützen wollen. Und ein Griff tiefer in das Archiv zaubert alle die Kostbarkeiten hervor, auf die es in der Filmmusik ankommt. Selbstverständlich tut es nicht der Griff allein. er muss auch zielbewusst sein, er muss aus einer küust' lerischen Absicht hervorgehen. Aus seiner früheren Praxis, aus seiner Studienzeit, aus seinen eigenen Idealen und Bestrebungen heraus besitzt jeder künstlerisch erzogene Musiker einen Vorrat an geistigem Archiv, s »Zusagen. Dieses geistige Archiv fortwährend zu bereichern, ist unum¬ gänglich notwendig. Dann führt der Geist schon die Hand zu dem richtigen Fleckchen im tatsächlichen Archiv 1 Wir wollen uns nicht mit belehrenden, mit theo¬ retischen Abhandlungen langweilen. Wir greifen in die Praxis und vergleichen di*“ landläufigen Gebräuche mit den notwendigen Gesetzen. Eine Sturmszene im Film z. B. wird von allen Kinokaptdlen sicherlich mit der entsprechen¬ den Stelle aus „Oberon“ oder mit dem Gewitter aus der ..Pastoralsymphonie" oder mit der Musik aus der Wolfs¬ schlucht im „Freischütz“ begleitet werden. Ja, ist denn eine Folge von Arpeggien tatsächlich der musikalische Ausdruck fiir Sturin? Oder: ist es einerlei, ob ein Sturm, ein Gewitter, ein Aufruhr irgend einer Art musikalisch zu illustrieren ist? Reich ist (lie Kunst, reich sind die Aus- drucksmöglichkeiteu. reich mag auch das Archiv' sein. Der geistige Reichtum ist derjenige, der aus dem materiellen, aus dem gegebenen Reichtum zu schöpfen hat. So ist es mir kürzlich von einigen Kollegen zum Vorwurf gemacht worden, dass ich einen auf stürmischem Meere spielenden Film mit fünf verschiedenen Sturmmusiken begleitet habe. Den Komponisten möchte ich sehen, der bei jeder der vielen Sturmszenen, die dieses Filmdrama brachte, immer wieder eine einzige stürmisch gemeinte Musik wiederholt hätte. Ganz abgesehen davon, dass ja auch der Sturm in der Natur seine Abstufungen hat und diese Abstufungen wider in einen befriedigenden Einklang zu der Handlung gebracht werden müssen. Und mm erst die vielen anderen Gemüts- und Hand- lungaaffekte. Ihr Ausdruck durch die Musik kann weder im papierenen Vorrat, noch im Tirol der Musikstück*- er¬ schöpft werden. Schon darum nicht., weil es auf den Zu¬ schauer gar keinen Eindruck machen würde, wenn man ihm erzählen wollte, welches Musikstück man für eine bestimmte Szene gewählt hal. Er s >11 möglichst unbekannte Musik hören, aber er soll ihre suggestive Wirkung zu spüren bekommen, er soll auch durch «lie Musik in seinem Emp¬ finden geleitet werden, anstatt dass ihn die Filmmusik vom Filmbilde ablenkt. Das kann nur gelingen, wenn der Fiimmusiker selbst die Musik schon kennt und weiss. bevor er in seinem Archiv nachgesehen. Was er an Noten besitzt, ist unwichtig. Was er musikalisch emp¬ findet. wenn er das Filmbild ansieht, das allein ist ausschlaggebend und küns lerisch richtig. Kinostern. Ein Wort zur Abwehr von Emil Perlmann. „Man best viel zu viel geringe Sachen.womit man die Zeit verdirbt und wovon man wreiter nichts hat. Mau s >llte eigentlich immer nur das lesen, was man bewundert.“ ' Diesen Satz 'schrieb einst Joh. Peter Eckermann in seinen Gesprächen mit Goethe nieder. Der brave Eokermann! Er konnte damals nicht an die Schriftleiter moderner, grosser Zeitschriften denken, denen je le Post allerlei Eingänge beschert, die der s >wie¬ so viel beschäftige Redakteur lesen muss, ob er will oder nicht. Es sind natürlich in den selteneren Fällen Abhandlungen und dergleichen, die man bewundert, meistens sogar Bei¬ träge. die man gar nicht eingefordert hat — aber «1er Redak¬ teur muss alles lesen. I Ebenso wie die bunte Welt des Scheins von jeher die Dichter angezogen hat. Romane, Novellen, und kleine Erzählungen aus dem Künstlerleben und aus der Theater¬ welt zu verfassen, hat auch das Kinemat ographentheater und die Filmkunst die zeitgenössischen Schriftsteller an¬ gespornt, «len „Schleier der Romantik“ von der Filmkunst zu lüften oder solche hiermit zu umhüllen. Wer als > im „Glashaus“ mimt, läuft immer Gefahr, nicht nur auf der Leinwand zu erscheinen, Bindern auch gebunden in Lein¬ wand oder in Schweinsleder-Ersatz. Oder, wenn das dichterische Machwerk nicht den grossen schwungvollen Romanstil aufweist, mit um so grösserer Reklame.