Der Kinematograph (October 1917)

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Düsseldorf, 31. Oktober 1S17. No. 566 R*d*ktlcc. Fam fuX. : „Es ist Kino“. Will heute einer der geistigen Arbeiter, ein Kriti ki r, Referent oder Schriftsteller den Leser über den Wert eines Romans oder eines Theaterstückes be lehren, so muss er sich schon die Mühe nehmen, sein Urteil durch Erzählung des Inhalts, durch Zerlegung der Handlung, durch eine sachliche und objektive Kritik zu begründen. Anders bei literarischen Pro dukten. anders bei Bühnenstücken, anders oei Film draiuen und Filmromanen gestaltet sieh Untersuchung ui d Taxierung, sowie sich auch die Vergleiche und Begriffe zur Erläuterung allemal in den Grenzen des Gegenstandes zu halten haben, der hier kritisch behan¬ delt wird. Mitunter zwar verwendet der Beurteiler ein Schlagwort. Aber er lässt seine Verwendung lieber bleiben, wenn er Wert darauf legt, sachlich und gründlich zu sein. Ein kritisches Schlagwort aber ist zur Zeit sehr beliebt und es wird allemal dort augewendet, wo es sich darum handelt, nicht den Wert, sondern den I n wert eines Bühnenstückes recht kurz und recht kräftig zu begründen. Dann sagt der Kritikus: ..Es ist Kino!" Solch eine Bewertung nach der schlechten Seite hin ist der Kritik heute durch dieses eine Wort möglich gemacht und man be¬ gegnet diesem Worte schon derart häufig, dass man es unbedingt zu den wirksamsten Schlag Worten zäh¬ len darf, mit dem minderwertige Literatur charakte¬ risiert werden kann. Zwar, indem der Literat „Kino" sagt, meint er „Film", aber die Verwechselung ändert ja wenig an der (Sache selbst. Denn er und der Leser wissen schon, was gemeint ist; so etwas Kunterbun¬ tes, Aufregendes. Sensationelles, wenn sich das Schlag wort auf die Handlung bezieht. So etwas Chaotisches. Erlogenes, Unmotiviertes und Unliterarisches. Es ist schwer zu erraten, was mit dem Wort „Kino" gemeint ist, weil noch kein Mensch sich die Mühe genommen hat, das Wesen des Kino- bezw. des Filmdramas zu deuten. Seine Stellung in Poetik, ferner Begriff, Be¬ deutung und Geschichte des Filmdramas, die techni¬ schen und geistigen Grundregeln sind noch nicht in Kapiteln gefasst. Noch ist das Filmdrama eine Kunst¬ gattung. deren starke und deren schwache Seiten von jedermann so gesehen werden, wie etwa das Leben von Jedermann angesehen wird, nämlich indi viduell. Aber der Film rächt sich an den Verwendern des neuen Schlagwortes vom „Kino". Fehlt irgend einem Kunatprodukte das Grundelement, um da' seit Jahrtausenden Dichter und Darsteller mühsam ge rungen haben, fehlt einem dichterischen Produkt die Anschaul ichkeit. dann kommt der Film und vermittelt sie ihm. Der kritische Betrachter sieht dann, statt zu raten, er merkt, wie llerz und Gemüt vorzugsweise durch die Anschauung des Auges an geregt werden und wie die bildhaften Eindrücke das innere Vorstellungsvermögen mi11 e 1 ba r treffen. Da v diese neue Wirkung kritisth nicht mehr zu bemängeln ist, so verwendet er das Wort „Kino" überall dort, wo dieses Haupterfo: dernis der Anschaulichkeit er füllt ist. Dass er das Wort im üblen Sinne an wendet, beweist nur, wie sehr er durch Gewohnheit u. Tradition beeinflusst, diese endlich erfüllte Kunstford<Tung der Anschaulichkeit missversteht. Wie gesagt: Wesen und Gesetz des Films ist noch nicht in Kunstlehren verzapft, es gibt noch keine Aesthetik des Filmes, noch ist die Stellung des Filindramas zu seinen Ur sprungs- und Schwesterkünsten nicht durch Autori täten verdreht, worden. Goethe z. B. schrieb in einer Stunde des Unmutes: „Man versperrt sich durch alle Theorie den Weg zum wahren Genüsse; denn ein licheres Nichts als sie ist kaum erfunden worden.“ Und wenn auch kein Zweifel sein mag, dass ver ständige Theorien selbst dem begabtesten Künstler als Richtschnur dienen können, nicht so, dass er an den Buchstaben sklavisch gebunden wäre, sondern so. dass sie ihm behilflich werden, in gewissen Fällen das Rechte leichter zu finden, für den Film wären sie aus diesem einen und einzigen Grunde erwünscht, damit der Kritiker kein Recht mehr hat, das Wort „Kino einfach überall dort anzuwenden, wo seine Erfahrung ihn in Stich lässt, wo er neue Stärken durch eine ein fache Wortschändung in Schwächen verwandelt Es ist leider so, dass die Mängel einer jeden Kunstlehre in ihrer Entfernung von der Wahl heit.