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No. 666 Der Kinematograph — Düsseldorf. träge einzelner Sinnesleitungen fast ausfallen man sieht in der Erinnerung nur den bewegten Mund, ohne das Wort wiederklingen zu hören — man empfindet den letzten Händedruck, ohne die Körperbewegung des Scheidenden mitzusehen; der Yorstcilur.gsbe- stand der Erinnerung schwindet vielle cht zu einem undeutlichen Gesamteindruck ohne scheidbare Einzel heiten zusammen und die Erinnerung bleibt dennoch willens und denk beherrschend lebendig, weil ihre Kraft in einer starken Gefühlserregung wurzelt: so wenig faßbar, so schwimmend und wandelbar die Ge fühlsseite der Erinnerung ist, so lange vermag sie doch die Vorstellungsinhalte eines Erlebnisses oft zu über dauern: die Erinnerung an den Garten unserer Kinder tage ist vielleicht nicht mehr, als ein leiser Hauch von Blütenduft, getragen von einer unvergänglichen Lust, einer freudigen Erregung, einer wehmjtvoüen Spate nung. Und diese Vorstellungs- und Geföhlsabliufe des Erinnerns sind eingebettet in ein eigenartiges Be wußtsein nicht gegenwärtiger Außerzeitlichkeit: eine Stimmung, die in den Märchen Worten Es war einmal" so bewußtseinsmächtig anklingt. Was Er¬ innerung ist, kann niemals wieder vom handelnden, gestaltenden Willen zielstrebig erfaßt werden, der sich in alles künftige und gegenwärtige Geschehen un¬ widerstehlich einzwängt; wie der goldene Rahmen das Bild, so entrückt der eigenartige Gefühlston, der alles Erinnern umfließt, die Bewußtsemsinhalte aller Be Ziehung zur äußeren gegenständlichen Wirklichkeit, die von der unlösbaren Rindung von Ursache und Wir¬ kung beherrscht wird. Das Erinnern ist der kalten, strrren Gesetzmäßigkeit des wirklichen Geschehens nicht mehr untertan — die Erinnerung webt ihre Bil¬ der wohl aus Fäden, welche aus dem wirklichen ur¬ sprünglichen Erlebnis gewachsen sind aber ein starker Einschlag innerer Zu*at schafft Linie und Farben neu: die Mitarbeit der Aneignungshilfen, ohne welche schon kein äußerer Eindruck Zugang in den inneren Bewustseinsablauf finden kann, überwiegt im Erinnern mehr und mehr, so daß es ganz gewiß die allerschlechteste und unzweckmäßigste Andeutung eines Erinnerungsvorgangs ist, wenn man in der Film darstellung das ursprüngliche erinnerungsgebende Er eignis noch einmal ungeändert wiedergibt: Diese ungeänderte Wiederholung des äußeren Eindrucks muß notwendig den Erinnerungsablauf aufs gröbste stören! Denn es handelt sich für den Zu¬ schauer doch nicht dämm, daß er erst die fraglichen Tatsachen erfährt, hat er doch eben im vorigen Akt das Geschehnis mit eigenen Augen gesehen und das lebensvolle Spiel des Darstellers hat ihn angeregt, die Erinnerung jenes Ereignisses in sich aufleben zu lassen: die eine kraftvolle Handbewegung, der Blick des Auges ha* jene eigenartig unwirklichen, verdich teten. gefühlsfarbigen Bilder des Erinnerns aufge¬ weckt — da kommt die grobe, plumpe Wiederholung alles wirklichen Geschehens, dieses unmögliche Zu¬ rückspringen der Ereignisse, wie es die Wirklichkeit niemals kennt und niemals kennen kann — denn alles wirkliche Geschehen ist einzigartig und kann sich niemals mit der gespensterhaften Gleichheit wieder¬ holen. wie man ein Filmstück nochmals über die weiße Wand laufen läßt. Und diese unmögliche, unwirk¬ liche Wiederholung muß notwendig alles gefühls¬ mäßige Erinnern ersticken — indem der Zuschauer nochmals zum Erleben von Tatsachen gezwungen wird, erstickt das feine, zarte Aufblühen des inneren Er innerungsbildes unter dem erinnerungswidrigen har¬ ten Wirklichkeits-Eindruck. Diese andeutungsweise Schilderung, wie grund¬ sätzlich und notwendig verschieden die erste Auf¬ fassung eines äußeren Ereignisses von dem Ablauf des Erinnerns ist, muß den Filmschriftsteller unmittel¬ bar davor warnen, zur Andeutung oder Erinnerung eines Berichtes einfach ein früheres Stück des Films wiederholen zu lassen. Auch der Schriftsteller wird niemals, wenn er seinen Helden etwa eine eben er¬ lebte Wendung in einem Briefe schreiben läßt, ein¬ fach einige Seiten seiner vorhergehenden Darstellung wieder abdrucken. sonderi der Brief wird immer ein verdichtetes, geändertes, g.-fühlsdurchwobenes Erinne¬ rungsbild geben. Hat der Film aber denn ähnliche Mittel, um die ursprüngliche Auffassung eines äußeren Geschehens anschaulich und überzeugend von dem erinnernden Xacherlebens des gleichen Vorgangs zu unterscheiden — oder ist es zweckmäßiger, im Film auf die sicht¬ bare Vorführung der Erinnerungsinhalte überhaupt zu verzichten und dort, wo die hinweisende sprechende Gebärde nicht genügt, das Erinnern beim Zuschauer nur durch einige andeutende Zwischentitel in Gang zu bringen? Zweifellos würde der Versuch in sehr vielen Fällen zwingend zeigen, daß die Bewußtseins¬ wirkung eines Films erheblich wächst, wenn man di«? erinnerungs-andeutende Wiederholung streicht; ein aufmerksamer Beol achter wird im Lichtspielhaus nicht selten bemerken, daß gebildet«- Zuschauer ge¬ rade bei inhaltreichen, künstlerisch dari-nformten Dar Stellungen die Augen wegwenden, wenn solche unge staltete Wiederholungen kommen. Aber warum sollte die Film-Darstellung außer¬ stande sein, den Zuschauer zu ei ler anderen Auf fassung anzuregen, als daß er die Vorgänge auf der weißen Wand als unmittelbare äußere Wirklichkeit versteht! Mit welchem Mittel sich dieser Wandel der Auffassung erzwingen läßt, kann sicher freilich nur der begrifflich angelegte Versuch zeigen: vielleicht genügt in einfachen Spielfilmen schon ein veränderter Farbton, der dann zweckmäßig immer in gleichem Sinne gebraucht werden sollte oder eine leichte Unschärfe der Vorführung, um das wiederholte Stück zwingend aus der weiterlaufendea Zeitabfolge der Darstellung in das Zeitlose früher der Erinnerung zu rückzuwerfen. In hohen Darstellungen freilich etwa in Filmen von solcher verinnerlichten, gestei gerten Bewußtseinswirkung. wie itn „Bausch" muß das Filmspiel feinere und durchgeistigtere Mittel aus bilden, um inmitten des vorwärtsdrängenden äußerer. Geschehens Raum für ein wirksames Entfalten von Erinnerungsbildern zu schaffen, das frei ist von dem eindrueksstörenden Zwiespalt zwischen der überwirk liehen Eigenart des Erinnerungsvorgangs und der wirklichkeitssetzenden Darstellung durch einfache Wiederholung. Wo Erinnern in seiner wirklichkeits- enthobenen Eigenart anschaulich im hoben Stil vor geführt werden soll, da wird man die erinnerten Vor gäng« dafür nochmals darstellen müssen aber in erinnerungsmäßiger Vereinfachung und gefühlsbe tonten Veränderung: Der Hintergrund wird ver¬ schwimmen; viele Einzelzüge bleiben fort; die Zahl der Spieler wird vermindert: vielleicht die ganze räumliche Umwelt ausgelöseht und eine unräumliche Zeitlosigkeit angedeutet; der Ablauf der Handlung bekommt anderes Zeitmaß, andere Gliederung; er stockt vielleicht am Ende ganz und das Wandelbild wird zum erstarrten Standbild — das alles freilich muß mit einer Vorsicht geschehen, mit einer feinfühlige" Uebertragung des undarstellbaren Innenvorgangs in die wirklichkeitsdurehdränete Sprache der weißen Wand, die weit entfernt bleibt von den wohlfeilen Theatermitteln, mit denen der Durchschnittsfilm etwa Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden sucht. Schriftsteller, Spieler und Spielleiter müssen an solchen