Der Kinematograph (May 1923)

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Seite 6 Oer Rmcmotoaropfi Nummer 846 Zeichen und die neuen Männer sind drr Industrie aber wohl vertraut. Sie treten die große, wehe Reise an. ge¬ stützt auf di* große Erfahrung, auf die helfenden Freunde und auf das Glück. Sie hoffen, auf neuem Wege doch wrieder zum alten Ziel zu kommen, nämlich zur Festigung und Stärkung des Ansehens unserer Industrie bei uns und überall da, wo draußen der Projektor licht¬ erstrahlend surrt. Dichter und Kino Voi Rudolph Stratz Einer der erfolgreichsten Romanschriftsteller Deutschlands äußerst sich im folgenden zu einem brennenden, viel umstrittenen Ttcma. Seine Aus¬ führungen sind besonders wertvoll, weil sie nicht nur aus der Werkstatt des anirkannten, erfolg¬ gekrönten Dichters, sondern auch aus der des Kinopraktikers kommen. Wir bringen sie doppelt gern, weil sie auch vom Standpunkt unserer Schriftleitung aus die einzig mögliche grundsätz¬ liche Stellung einnehmen, und . ^ einer Lösung führen, an der Dichter und Film profitieren. W as ein Dichter ist, weiß man sei: Jahrtausenden. Was ein Film ist, weiß heutzutage noch niemand so recht. Dazu ist der Film zu jung. Der Dichter, der zum Film geht, geht also nicht wie Mohammed zum Berge, sondern in ein unbekanntes Land, ohne Karte und Kompaß, ohne Weg und Steg, ohne Spuren von Vorgängern. Infolgedessen bleibt er meist an den Grenzen dieses dunklen oder vielmehr, dank den Jupiterlampen, zehnfach sonnenhellen und sonnenheißen Erdteils stehen. Er be¬ gnügt sich mit der Verfilmung seiner Romane oder Dramen durch dritte Hand, mit den daraus entspringenden Hono¬ raren und gelegentlichen Atelierbesuchen. Ich gehöre zu den wenigen Schriftstellern, die selb¬ ständig schaffend für den Film wirkten. Ein paar große Filme sind zurzeit teils fertig, teils im Werden, an denen ich von Anfang an als Autor mit tätig war, und deren einen, das Filmdrama: „Alles um Geld!" mit Emil Jannings in der Hauptrolle, ich auch zusammen mit Hanns Kräly als verantwortlicher Verfasser zeichne. Ich habe auf diese Weise den Werdegang' eines großen, modernen Filmes, von der ersten Beratung des Stoffes bis zum letzten „Licht aus!" miterlebt. Und dabei immer wieder darüber nachgedacht: Was ist eigentlich der Film? Und was kann ihm also der Dichter sein? Im Englischen heißt der Film: „moving piclures“ — „sich bewegende Bilder!“ —, d. ’i. die Photo¬ graphien von Menschen, die sich schweigend begegnen, grüßen, küssen, ohrfeiger., umbringen, verfolgen, an Ker¬ kertüren kratzen, an Straßenecken lauern, im Auto davon¬ fahren und tausenderlei mehr. Warum tun sie das alles? Sic selbst können cs nicht sagen. Denn sie sind stumm. Bruchstückweise sagt cs zwischen den lebenden Bildern in großen Lettern als Not¬ behelf ein Titel. Aber die eigentliche Erklärung des Ge¬ schehens muß aus dem Geschehnis selbst entspringen. Die wortlosen Bewegungen der Männer und Frauen auf der Leinwand müssen sich aus sich selbst durch eine Handlung erklären, die allgemeinverständlich, von An¬ fang an einsetzt und schnurgerade wie eine Chaussee, klar, spannend, im Hunderkilometertempo des Films bis zum Schlußbild dahinläuft. Fcldmarschall Moltke pflegte seinen Generalstäblern zu sagen: „Im Krieg ist alles sehr einfach," und vergaß nie hinzuzusetzen, „aber darum noch lange nicht leicht!" Das gilt im kleinen auch vom Filmdrama. Eine Handlung zu erfinden, die jedermann auf der weiten Welt — denn der Großfilm ist international — etwas sagt und die über¬ all verstanden wird und nirgendwo berechtigte Gefühle verletzt —, diese auf die einfachsten Urprobleme des Menschenempfindens zurückgeführte Aufgabe der Men¬ schenschilderung ist ein ernstes Ding und darum ganz gewiß der Mühe eines Dichters wert. Aber eins darf der Dichter nicht vergessen, wenn er zum Film geht. Der Film ist nicht Kunst. Der Film ist Kunsthandwerk. Der Dichter, der sich ihm widmet, muß wissen, daß der Film nicht reine Kunst ist und, infolge der Enge seiner Ausdrucksmittel, auch nicht sein kann. Und der Film ist auch nicht eigentlich Handwerk, sondern Fabrik. Ein mächtiger, vielgliedriger Produktions¬ prozeß, in dem das viertel- und halbfertige Erzeugnis durch viele Hände geht. Nur eine unter vielen dieser Kräfte — die erste in der Reihe — ist der Dichter. Von ihm kann eigentlich nur die leitende Idee, der springende Punkt des Ganzen kommen. Er wird diesen zündenden Funken vielleicht dann gerade aus dem Stein schlagen, wenn er für gewöhnlich dem ermüdenden Alltag des Films fernsteht. Aber dann gerade muß er schon seinen Ent¬ wurf zur technischen Ausgestaltung an einen zweiten Autor weitergeben, der als Dramaturg berufsmäßig völlig mit dem Film verwachsen und mit all seinen Gesetzen und Perspektiven vertraut ist. Und das so entstandene Buch ist doch nur wieder eine der Mit- und Nachwelt ewig unsichtbare Brücke zu den sich bewegenden Bildern lebender Menschen — Dar¬ stellern und Darstellerinnen — die wiederum persönlich nicht in Erscheinung treten, sondern dank der Photo¬ graphie auf der Leinwand leben. Der Photograph aber braucht dazu wieder die Umwelt von Außen- und Innen- batiien. des Architekten; der Kostümzeichner hat mit- gehoifen, der Haarkräusler, der Schneider, manchmal selbst der Tierbändiger, bei geschichtlichen Filmen der Mann von Wissenschaft — und alle diese Fäden ver¬ einen sich in der Hand des Regisseurs, des Selbstherr¬ schers im Glashaus, der ohne Widerspruch gebieten muß Wie alle andern tritt der Dichter neben ihm — oft auch neben dem Star — in die Reihe der übrigen, an der Fabrikation des Filmstreifens Beteiligten zurück. Sein Gefühl muß ihm sagen, ob ihm diese Rol'.e des einen unter etwa einem halben Dutzend von Mitwirkenden genügt. Sicher nicht völlig! — so wie der Film ja auch den Darsteller künstlerisch nie ganz befriedigt. Und trotz¬ dem soll nach meiner Meinung der Dichter, der filmisch „sehen" kann, auch unabhängig von materiellen Erwägun¬ gen, dem Film geben, was des Filmes ist! Er erfüllt da¬ durch eine Pflicht gegen die Allgemeinheit. Denn der Film ist heutzutage neben der Presse und der Volksversammlung das weitaus mächtigste Wirkungsmittel auf die breite Masse. Man hat das bei uns im Krieg leider nicht begriffen. Man weiß cs zum Teil in Deutschland jetzt noch nicht. Gerade in einer Zeit aber, wo, wie heute, Wille, Weltanschauung und Gesichtskreis des ganzen Volkes für die Geschicke des Volkes den Aus¬ schlag geben, ist es Aufgabe jedes dazu Berufenen, das Seine zur geistigen Hebung eines so mächtigen und bisher so viel mißbrauchten Kulturfaktors, wie cs der Film ist, zu tun. Und dazu braucht der Film den Dichter — den Dichter, der sich ihm anzupassen vermag — und wird ihn sicher¬ lich jedes Jahr mehr brauchen.