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17. Jahrgang, Nr. 850 Berlin, 3. Juni 1923 Filmdämmerung Von A r o s. D er letzte große Kampf beginnt. Es ist beinahe wie in der alten Geschichte, wo Götter und Kiesen miteinander kämpfen, wo es nicht mehr um das Einzelschicksal geht, sondern die Entscheidung über Sein oder Nichtsein des ganzen Geschlechts entschieden wird. Filmdämmerung. Der Rohfilm steigt von vierzehn¬ hundertfünfzig Mark auf zweitausend. Der Verleiher¬ verband muß vierundzwanzig Stunden nach einer Vor¬ standssitzung. in der die Teucrungszuschläge von zehn¬ tausend auf zwölftausend Prozent herabgesetzt wurcen, die Mitteilung machen, daß er schon in allernächster Zeit neue Steigerungen durchführen muß. Die Löhne steigen rapide und werden weiter steigen müssen, weil der wahnsinnige Sturz der Mark sich erst in den nächsten Tagen praktisch auswirkt, .lede Kalku¬ lation im Fabrikationsbetrieb ist über den Haufen ge¬ worfen. Das große Umrechnen beginnt, nur der Theatcr- bcsitzer bleibt, wenn nicht alles trügt, in der Preisfest¬ setzung zurück. Er überlegt Tage, wo Entschließungen in Stunden getroffen werden müssen, besonders wenn man berücksichtigt, daß gerade hier immer schon ein M.ß- verhältnis zwischen Gcstehungs- und Betriebskos’en und Kartenpreis bestand. Filmdämmerung. Die Verleiher treten am 20. Juni zu einer außerordentlichen Generalversammlung in Berlin zu¬ sammen. Die Studienkommission soll Vorschläge machen für die Grundlagen in der neuen Verleihsaison. Ein fester Entschluß ist glücklicherweise bis heute nicht gefaßt, denn er wäre überholt, nachdem sich herausgestellt hat, daß an eine Stabilisierung der Mark, an eine Stabilisierung der Preise vorläufig gar nicht zu denken ist. Nur eins steht fest: Die Teuerungszuschlagspolitik, wie sie augenblicklich besteht, muß verschwinden. Es muß eine Norm gefunden werden, die den Filmpreis auto¬ matisch in gerechter, zeitgemäßer Form regelt, genau so, wie es etwa im Buchhandel, mit der Schlüsselzahl ge¬ macht wird. Das Entscheidende ist dann die Bemessung des Grund¬ preises und wir glauben, daß nach dieser Richtung hin auch bereits Vorarbeiten geleistet sind, die von Direktor Melamerson von der Deulig stammen, aber vorläufig noch nicht veröffentlicht werden können, weil sie noch im ein¬ zelnen gründlicher Überlegung und Nachrechnung bedürfen. Mag sein, daß Gegenvorschläge auftauchen oder Modi¬ fikationen. die besser sind. Man wird sie aber nur ernst¬ lich in Betracht ziehen dürfen, wenn sie von Haus aus jede Reibungsfiächc vermeiden. Der bisherige Zustand, daß große Verbände ihre Kraft im Kampf gegeneinander aufreiben, ist gerade jetzt, wo unsere Industrie, genau so wie alle anderen, alles daran setzen muß, die Vernichtung des Ganzen zu verhindern, unerträglich. Zwei Mühlsteine, die, anstatt Korn zu mahlen, sich aneinander reiben, müssen zugrunde gehen, selbst wenn ,cder an sich noch so stark und massig ist. Für den Fabrikanten bleibt allerdings noch das Ausland als Retter. Höherer Dollarstand bedeitet natürlich auch erhöhten Eingang in Papiermark. Aber es ist die Frage, ob die Papiermillionen und Papicrmillia -den die Erhaltung der Substanz möglich machen, und es scheint uns dringend notwendig, ernsthaft zu untersuchen, ob nicht in manchen Fällen die Filmbilanzen vieler Firmen in Wirklichkeit nur Inflationsaktiva an Stelle wirklich dauernder Werte dar¬ stellen. Im „Film-Echo“ wird morgen Lcdiclaus Süczs, der deutsche Direktor der Vita in Wien, in einem Artikel, der sich mit den österreichischen Verhältnissen befaßt, unter anderem erzählen, daß man drüben bereits so weit ist, daß man sich auch den besten Amerikaner kaufen kann. Man hat nicht nur Max Linder verpflichten können, son¬ dern auch Jacques Feyder, den Regisseur der „Atlantide“. Man kann nicht cinwenden, daß hejte die Krone ja besser steht wie die Mark, denn der Ankauf amerikani¬ scher Großfilms und diese sensationellen Engagements wurden zu einer Zeit getätigt, als die Krone erheblich niedriger stand und zum Teil noch bei uns als eine recht minderwertige Angelegenheit angesehen wurde. Man weiß auch bei uns noch nicht, daß die so viel be¬ lächelte österreichische Produktion viel höhere Auslands¬ preise erzielt als der hochgerühmte deutsche Qualitäts¬ film. Das liegt einmal daran, daß unsere ehemaligen Bundesgenossen Kinoware machen und in erster Linie aüf den Geschäftserfolg und erst dann auf das Lob einer Gruppe von Überliteraten sehen, deren gute Meinung leider der Filmindustrie nicht das geringste helfen. Dann aber kennt man drüben das Ausland besser. Eine Reise nach London, nach Konstantinopel, nach Paris oder Turin ist für den Wiener Fiimindustrieilen eine Selbst¬ verständlichkeit. Er wartet nicht, bis man zu ihm kommt, sondern kauft und verkauft an Ort und Stelle. Er lernt dadurch Land und Leute kennen, kann sich ein Bild über die Preisgestaltung machen und gibt seine Ware nicht für ein ganzes Land für einen Betrag her, den ein oder zwei Uraufführungstheater für die Woche bezahlen. Wer tiefer hinter die Kulissen sieht und wer sich nur eine oberflächliche Kenntnis des internationalen Markts verschafft hat, weiß, daß selbst sogenannte Rekordpreisc lächerlich gering sind, wenn man sie mit den Preisen, die andere Länder erzielen, oder die von Inlandsfabrikanten erzielt werden, vergleicht. Wer sechstausend Pfund von seinem englischen Ab¬ nehmer erhält, schreit Hosianna! Wenn man aber über¬ legt, welches Erträgnis dieser Film, der ja dann schon allererste Qualität sein muß, dem Verleiher in London bringt, müßte man sich vor den Kopf schlagen. Die Filmdämmerung hat begonnen. Wir stehen schon mitten in heißer Schlacht. Noch können wir kämpfen, wenn wir schleunigst für das Rüstzeug sorgen.