Der Kinematograph (July 1923)

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Seite 8 Nummer 854 Der Kulturfilm als Geschäft W. Kunde, Düsseldorf. Tn einer Fachzeitung las ich vor einiger Zeit die Be- * sprechung der Uraufführung eines großen Kulturfilms- Dcr Rezensent kam zu dem Schluß, daß der Film nicht etwa langstielig, sondern sehr packend und wirksam ge¬ wesen sei und beim Publikum starker Beifall gefunden habe. Aus der Fassung des Artikels konnte man ent¬ nehmen, wie sehr der Rezensent selber von dieser Fest¬ stellung überrascht gewesen war. Er hatte erwartet, einen langweiligen Wälzer erdulden zu müssen, und war nun sehr angenehm überrascht, vom Gegenteil überzeugt zu werden. Daß er aber mit der Erwartung von etwas wenig Angenehmem in die Vorführung gegangen war, beweist, wie schwer vorgefaßte Meinungen auszurotten sind. Nicht nur bei manchen Fachjournalisteu, sondern auch bei einer großen Zahl von Theaterbcsitzern. Wer sich in langen Jahren für die Förderung des Kulturfilms eingesetzt hat, der weiß, mit welchem Mißtrauen viele Theaterbesitzer dem Kulturfilm gegenüberstanden. ja selbst heute noch stehen. Wir sehen in solchen Filmen kein Geschäft, halten sie für langweilig und lehnen sic von vornherein ab. Für die Filme, die ich im Auge habt, hat man jüngst die Bezeichnung „wissenschaftliche Theater-Publik ums¬ filme“ geprägt. Filme dieser Art sind es, die der Theater¬ besitzer nicht nur aus gutem Herzen für die Kulturfilm- bewegung spielen sollte, sondern die er im Interesse seines Geldbeutels spielen muß. Sie haben sich als das ganz große Geschäft erwiesen, als Schlager ersten Ranges. Freilich, sie wollen geschickt vorbereitet und mit guter Aufmachung herausgebracht sein. Dann werden sie vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Beweis: der im besetzten Gebiet verbotene Rheinfilm und der Steinach¬ film. Zum Erfolg des erstcren haben natürlich die Zeit¬ verhältnisse beigetragen, und dem letzteren kommt es zu¬ gute. daß er die von Tausenden erörterten, in unzähligen Zeitungen besprochenen Probleme der .,Verengung" und „Geschlcchtsverwandlung" behandelt. Der Erfolg dieser Filme liegt eben darin, daß sie dem Zeitempfinden ent¬ sprechen, ja sie kommen einem Bedürfnis entgegen und finden deshalb einen über Erwarten großen Zuspruch. Filme dieser Art waren z. B. ..Shakletons Sudpol fahrt“ und der „Einsteinfilm", letzterer allerdings mehr für Sondervorstellungen geeignet. In dem Publikumserfolg genannter Filme liegt eine Ermunterung für ciie Industrie, auf diesem Wege fortzufahren. Sie muß es sich angelegen sein lassen, Probleme, Vorgeschehnisse und Vorgänge, von denen die Geister bewegt werden, in filmische Darstellung zu bringen, soweit eine solche sich dem Verständnis des Publikums ar.passen läßt. Darauf kommt es nämlich an. Ein solcher Film kann getrost über den Horizont des nor¬ malen Mitteleuropäers hinausragen, aber er darf nicht zu gelehrt sein. Der Einsteinfilm hat diese Grenze erheblich überschritten und ist deshalb — wie erwähnt — im Pro¬ gramm nicht gut verwendbar. Beim Steinachfilm lag die gleiche Gefahr nahe. Bei den Aufnahmen ergab sich eine Fülle wissenschaftiichen Materials, das dem Verständnis der großen Masse erheblich zu hoch gewesen wäre. Man hat aber die Schwierigkeiten geschickt überwunden, indem man den Film in zwei Fassungen herausbrachte, einer wissenschaftlichen für Sondervcranstaltungen und der be¬ kannten, volkstümlichen für das Programm der Lichtbild- theatcr und das große Publikum. In früheren Jahren wäre es nicht so leicht gewesen, eine volkstümliche Film- darstcllung eines wissenschaftlichen Themas zu schaffen, die damit beauftragten Gelehrten hätten mit ziemlicher Sicherheit zu hoch gegriffen. Inzwischen aber hat sich auch auf diesem Gebiet der Filmfabrikation eine Tradition und Routine herausgebildct. Heute haben Filme dieser Art durchaus volkstümlichen, gemeinverständlichen Zu¬ schnitt und haben dabei nichts von ihrem wissenschaft¬ lichen Wert cingcbüßt. Die Zugkraft dieser Filme hat vielleicht nicht immer ihre Ursache in dem Streben der großen Massen nach ernster wissenschaftlicher Belehrung, sondern vielmehr in dem Triebe der Menschen, mit über Dinge sprechen zu können, über die man gerade redet. Und da bleibt der Film die leichteste, umfassendste und zugleich angenehmste Information. Man kann im Film Reisen machen und dann so mitreden, als ob man wirklich dabei gewesen wäre. Man kann in ein bis zwei Stunden das weltbewegende Werk eines Gclehrtenlcbens kernen- lernen und ist dann so im Bilde — vielleicht noch besser, als wenn man zahlreiche Vorlesungen besucht und dicke Bücher durchstudiert hätte. Und das ist in der heutigen Zeit, wo die Nerven der Menscher, so herunter sind und die Kraft zur Konzentration schwindet, von großer Be¬ deutung. Treibt so die natürliche Neugierde die Menschen dazu, sich die erwähnten Filme anzusehen, so liegt es in der Geschicklichkeit des Theaterbesitzers eine Massen¬ suggestion zu entfachen. Es sind dazu nicht einmal große Kosten nötig. Drei bis vier Wochen vor dem angesetzten Termin werden in den Vorstellungen Diapositive in wech¬ selnder Form gebracht. Freilich dürften die Anzeigen und Vomotizen nicht in den Tönen der üblichen Kinoreklame gehalten sein. Das würde manchen falschen Zungenschlag geben. Es ist des¬ halb notwendig, daß die Herstellerfirma dem Film Heft¬ chen mit auf den Weg gibt, in denen alles Erforderliche von sachkundiger Seite sorgfältig ausgearbeitet ist. Vor¬ bildlich ist in dieser Beziehung das Reklameheft zum Steinachfilm. Es nimmt dem Theaterbesitzer alles Kopf¬ zerbrechen, und wenn er nach den Angaben verfährt, braucht er um den Erfolg nicht besorgt zu sein. Ein Vor¬ teil in der Vorführung solcher Filme liegt noch darin, daß dadurch Leute in das Theater gezogen werden, die man sonst nicht darin sieht, die aber, wenn sie den Weg ein¬ mal dahin gefunden haben, ihn auch öfters dahin finden. Mögen also die Theaterbesitzer dem „wissenschaftlichen Theater-Publikumsfilm" ihre Aufmerksamkeit schenken, sie werden den größten Vorteil darin finden und bieten ihrem Besucher vor allen Dingen die gewünschte Ab¬ wechslung und Auffrischung des Programms. Nun gibt es aber auch „wissenschaftliche Theater-Publikumsfilme“. die nicht im Programm gebraucht werden können, aber außerhalb dessen größte Zugkraft ausüben. Dazu gehört vor allen Dingen der Film: „Die Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen", der gegenwärtig wieder sehr aktuell ist, weil das am 18. Juni 1923 verabschiedete Gesetz über die „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" mit seinem Anmeldungszwang viel besprochen wird. Dieser Film wird nur in Sonderveranstaltungen mit Vortrag eines Arztes geboten. Theater, die alle Tage spielen, haben ihn so gebracht, daß sie ihr Programm etwas beschleu¬ nigten und dann gegen '>10 Uhr mit den Sondervor¬ stellungen begannen, für die natürlich neu Eintritt be¬ zahlt werden mußte. Die hcrausströmenden Besucher machten dann meist erstaunte Gesichter über die Massen, die sich zur späten Stunde an der Kasse stauten. Jeden¬ falls beweisen die Erfolge dieser und anderer Kulturfilme, daß die Theaterbesitzer zu ihnen eine andere Einstellung nehmen müssen. Richtig angepackt, ist der Kulturfilm heute ein Ge¬ schäft, und zwar ein großes.