Der Kinematograph (July 1923)

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Nummer 856 Det Ämcmorcornpft Seite 7 und in den Orten zehn Kilometer im Umkreis aufzutreiben war. wurde ausverkauft. Die Papierwarenhändler rieben sich erst die Hände, dann rauften sie sich die Haare, weil sie nicht waggonweise eingelagert hatten. Alle diese Kar¬ ten mußte Lotte unterschreiben. Ein altes Mütterchen hatte stundenlang auf ihren schwachen Beinen gestanden und auf den Sonnenschein ihres Alters, die angebetete Filmdiva, geharrt. Tränen standen ihr in den Augen, als sich andere im Moment der Ankunft rücksichtslos vor¬ drängten und ihr den Ausblick verdeckten. Die Kraft ihrer Ellbogen durfte keinen Wettkampf aufnehmen, und der große Moment schien endgüiMg verscherzt. Doch nein, die Umstehenden verstanden — nachdem es zu spät war — ihren Schmerz, wie ein Lauffeuer ging das tragische Geschick durch die Menge und kam so auch zu Ohren von Lottes Suite. Die Künstlerin empfing das alte Mütterchen und versprach ihr eine Ansichtskarte aus Prag. Um 12 Uhr nachts ging's mit dem Auto weiter nach Prag. Prag, das hunderttürmige. goldene, mit seinen Ecken und alten Alchimistengäßchen. ein Neubabelsberg in natura, der historische Boden, über den fast der wirkliche Golem schritt. Uebrigens schritt auch Wegener darüber — aber nicht als Golem. Prag war bezaubert von der Künstlerin. Die ganze Straßenbreite füllte sich mit jubeln¬ den enthusiasmierten Menschen, wenn Lotte den Balkon des Hotels Passage betrat und . landesüblich“ hinunter¬ grüßte. Am Abend Fest Vorstellung im Passage-Kino. Die Sprache der Leinwand ist ein Empfehlungsbrief, den alle Nationen verstanden. Das Volk von Prag jubelte der Künstlerin von der Leinwand und nicht jener von Berlin zu. Und die maßgebenden Kreise? Oh. in Prag hat man Takt und weiß, was man dem Auslände schuldig ist. überhaupt wenn es ein liebens¬ würdiger Gast ist. Bei den Aufnahmen auf dem Hradschin hat sogar Militär und berittene Polizei sich in den Dienst des Filmes gestellt, die Prachtkarossen aus der ehemaligen Königsburg standen zur Verfügung. Der Wilsonbahnhof, dei schönste Bahnhof Prags, wurde für eine Aufnahme gesperrt Lotte hatte als fliehende Pr nzessin in einen eben abfahrenden Expreßzug zu springen. Ihre Umgebung und ihre Mitarbc.ter im Glashaus gehören den verschiedensten Nationen an: Amerikaner. Deutsche. Tschechen. Die Auf¬ nahmen für diesen Moidaviafilm ..Der Mann ohne Herz" wurden in Prag beendet, weshalb „otte Neumann vor¬ läufig nach Berlin zurückgekehrt ist. Im Juli sollen im Elbtal und einigen inländischen Badc irten in Anwesen¬ heit der Diva die Arbeiten an dem Film fortgesetzt werden. Ein Interview mit Peter Eysoldt J ugendliche Filmschauspieler von Qualität sind seltener noch als Wunderkinder auf dem Konzertpodiuui oder auf der Bühne. Von jeher habe ich ihren Ruhm mit Skepsis aufgenommen, denn mir schien die Entfaltung mimischer Kräfte, wie sie der Film verlangt, in einem ver¬ hängnisvollen Gegensatz zum Besten des Kindes zu seiner taufrischen Naivität, zu stehen. ich muß gestehen, daß ich auch Peter Eysoldt. trotz der hohen Anerkennung, die ich ihm von wirklich ernst¬ haften Fachleuten gezollt sah. mit dieser reservatio men¬ talis zum erstenmal begegnete. Indessen — unsere kurze Begegnung genügte vollauf, mich von einer im tiefsten un- verkümmerten. menschlichen Leistung zu überzeugen. Peter ist elf Jahre alt — ein feingeschnittenes Profil verrät sogleich das Erbe der großen Mutter, ein ver¬ haltenes Temperament bergen diese nicht eigentlich eben¬ mäßig-schönen Züge, ein Temperament, das jäh und bei¬ nah wild hervorlodern kann, ebenso wie es sich plötzlich lösen kann in Hingebung und Weichheit. Klein ist er. auch für seine Jahre, aber in dieser knapp bemessenen Körperlichkeit sammelt sich eine unvergleichliche Prä¬ zision der Gebärden — auch hierin scheint er ein Erbe der Mutter. Ich komme in Cserepy-Atelier. und ich erhasche just eine Szene, in der Peter mit vollkommener elastischer Leichtheit eine Spitzenleistung psychologisch komplizier¬ tester Mimik gibt, eine Szene, an die gewiß viele seiner erwachsenen Kollegen Schweiß und Konzentration gesetzt haben würden. Es ist eine der Schlußszenen aus dem Comedia-Film ..Mutter, dein Kind ruft“ (..Brennendes Ge¬ heimnis“); von des kleinen Peter Geistesgegenwart und opferwilliger Kindesliebe hängt das Glück und der Bestand einer Ehe ab. Das blitzschnelle Verstehen des Kindes, daß es sich darum handelt, ein tief menschliches Geheim¬ nis zu wahren, kann nicht überzeugender gestaltet werden als durch die Naivität des kleinen Eysoldt. Wir werden einander vorgestellt Peter, der Künstler, verbeugt sich freundlich und mit einer Unbefangenheit, nicht eine Nuance anders, als sie Elfjährigen zu eignen pflegt. Und der ganze erfrischende Eindruck seiner Per¬ sönlichkeit unterstreicht die innere Wahrheit und die un¬ gezwungen-kindliche Freudigkeit seines Spiels. Ich frage ihn. ob er ständig für den Film tätig sei? Keineswegs! Er gehe doch natürlich zur Schule und könne sie nicht über dem Film vernachlässigen. Diese Aufnahmen fallen ja in die Ferien — — Er scheint also Freude an der Schule zu haben, und darüber bekunde ich ein leichtes Erstaunen, denn wir früher — wenn wir vor die Wahl zwischen unserer Klippschule und dem Film gestellt wären . . na! Ja. sagt Peter, unsere Schule ist auch etwas ganz anderes. Es besteht dort Kameradschaft zwi¬ schen Lehrern und Schülern, und wir wohnen alle zu¬ sammen auf dem Lande in einem Jagdschloß des früheren Wo denn das sei? In einem kleinen Dorf. Letzlingen. in der Nähe von Magdeburg Wie Peters Augen da leuchten, bestätigt sich in mir die Vermutung, daß dieser wirkliche Künstler des Films in seiner Schule, bei seinen Kameraden fester wurzelt als vor dem Apparat. Doch gibt mir gerade dies die Gewähr für die Entwicklungs¬ fähigkeit und menschliche Fruchtbarke’t seiner Kunst. Ich frage ihn noch, ob er Filmschauspieler werden wolle, wenn er groß sei? Aber mit energischer Abwehr erwidert er, daß seine Hauptinteressen dem Ingenieurwesen ge¬ hören. Wir werden sehen . . . Ich kann die Frage nicht unterdrücken, ob er Jacki Coogan. seinen amerikanischen Kollegen, kenne und wie er ihn beurteile. Er kennt ihn nicht, er schaut nicht rechts und nicht links und will nur spielen, wie es ihm Freude macht. Ob er verreist sei während der Aufnah¬ men? Seine freudige Antwort lautet: „Ja. in Davos waren wir in diesem Winter. Drei Wochen lang, und es war herrlich. Ich habe viel gerodelt. Ski und Schlittschuh gelaufen und — manchmal auch gefilmt.“ Mit einem starken Gewinn scheide ich von diesem Künstlerkindc. das kein Künstler sein will, das seine Schule und das Ingenieurwesen mehr liebt als den Film. Und dennoch, oder gerade deshalb, weiß ich: dem deut¬ schen Film ist hier eine allerstärkste Hoffnung erwachsen Dr. Beste. J