Der Kinematograph (July 1923)

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Nummer 857 Z*cr Amcrr.atograph Seite 7 Von indischen Kinohunden und Kinomenschen (Originalbericht unseres A. D. Korrespondenten in Calkuita) C a 1 c u t t a. Anfang Juli. Dis vor etwa zehn Jahien waren die Cinemas in Indien ^ unbekannt. Damals hatte man Theater, und eine Truppe mehr oder minder gut. löste die andere ab. Opern und Operetten wurden ebenso gegeben wie Possen. Aus¬ stattungsstücke und selbst Dramen. Aber die Truppen kosteten enorm viel, die Reise von Europa mußte bezahlt werden, und die unseligen Truppen, die sich für den Som¬ mer verpflichtet hatten, ohne das Tropenklima zu kennen, sahen sich bald mit einer Anzahl erkrankter Mitglieder mehr oder minder gestrandet Besonders erstklassig war zudem nichts, was hierherkam. Das europäische Publi¬ kum, das aber in den besseren Kreisen mindestens alle zwei oder drei Jahre nach Europa in Urlaub geht und dort dann zur Genüge über die modernen Theater orientiert ist höhnte und spottete, und der Theaterbesuch beschränkt, sich bald nur auf die billigsten Plätze. Damit aber konnte kein Unternehmer bestehen. In dieser Zeit der Krisis tauchte das Cinema auf. Ich erinnere mich, eine der ersten Vorführungen gesehen zu haben und im Gefühl heimgekehrt zu sein, daß cs mehr eine Strafe als ein Vergnügen ist. einer solchen Unter¬ haltung beizuwohnen. Die Bilder flimmerten und z tterten in einer Weise, die jedem zu prachtvollen Kopfschmerzen verhelfen mußten, die Sujets waren albern und uninter¬ essant, und man glaubte, daß eine solche Neueinführung niemals Bestand haben konnte. Das ist nur zehn Jahre her. In dieser Zeit ist das Eröffnen eines Kinos eine Gold- qucllc gewesen. Aber der Rubikon ist überschritten, und cs fängt an merklich bergab zu gehen, allerdings nur dem Eingeweihten sichtbar. Bezeichnend ist z. B.. dal Mr Ducasse, der das beste Kino in Calcutta hatte, daneben Kinos in Darjeeling. Allahabad. Cawnporc. Lucknow usw. alle seine Cinemas am 1. April dieses Jahres geschlossen und sich anderen Erwerbszweigen zugewandt hat. Da Ducasse ein besonders tüchtiger Geschäftsmann ist. läßt dies tief blicken. Wenn auch die Cinemas auf den ersten Blick immer überfüllt scheinen, so sieht der scharf Zu¬ blickende bald, daß die Eingeborenen das Haupt¬ kontingent der Besucher ergeben und daß damit nur die billigen Plätze besetzt sind, die teureren aber nur zu oft gähnende Leere zeigen. Vielleicht war Mr. Ducasse so klug, im richtigen Augenblick zurückzutreten. Die nähere Zukunft wird es uns zeigen. Nun hat in Calcutta die Firma F. Madan. Paris, fast alle Cinemas aufgekauft, selbst solche in entfernten Städten. Dieses Massenarbeiten kommt viel billiger, da die Firma jeden Film in allen Städten und in allen ihren Theatern aufführen kann, alles also aufs äußerste ausnutzt. Und in diesen Madanschen Cinemas soll der Profit immer noch ein gewaltiger sein. Was an Filmen geboten wird, ist durchaus nicht schlecht, oft sogar erstklassig, obgleich das Publikum der ewigen amerikanischen Stücke sehr müde ist. MacTan sowohl w.'e Ducasse hatten Sclbstaufnahmen geschaffen, die sehr zogen, denn was in diesem ewig unruhigen Calcutta vor¬ fiel. sah man schon am nächsten Tage im Theater und sich selbst oft ebenfalls. Wundervolle Filme, wie ..Tar¬ zan" und seine Tiere, in drei verschiedenen Foitsetzun- gen. haben monatelang volle Häuser erzielt und werden hier und da wieder für ein paar Tage gegeben. „Trixy fiom Broadway“ zog gewaltig, dann ..Old wives for new", phänomenal war der Erfolg von „Foolish Wives" mit Erich vonStrohheim in der Hauptrolle. Vielleicht war dies mit „Tarzan" das erfolgreichste, was je in Indien gezeigt wurde. Auch ein antideutscher Film, in welchem der Kaiser, der Kronprinz, die Kaiserin und Hmdcnburg dargestel't wurden. hatte anfangs sensationellen Erfolg. ließ aber dann nach, weil das Ganze selbst den enragicrtesten Deutschenfressern zu gemein war. z. B als die Kaiserin den Kaiser wegen Weibergeschichtei verprügelte. Hinden- burg sich wie cm Schmutzkerl benannt und der Kronprinz sich als ein Hohn auf alles, was anständig ist. zeigte. Es ist bedauerlich, daß sich die deutschen diplomati¬ schen Vertreter nicht mehr um derartige Dinge kümmern, die in einigen Tagen mehr schaden, als in Jahren gutge¬ macht werden kann. in französischen Filmen brachte man nur einen mit Gaby Desl s sonst ist das meiste amerikanisch. Charlie Chaplin de Liebling, nächst ihm Harald Lloyd. Tom Mix. Mary Pickford. Clara Kimball, Violet Hopkins und Mathisson Lang. Wo diese Namen genannt werden, steuert alles wieder zum Cinema. selbst wenn man es sonst auf- gegeben hatte. Vor etwa einem Jahr beschäftigten sich die Presse und das sonst so träge Publikum zum erstenmal ernstlich mit der Kritik des Gebrachten. Die Geistlichkeit hatte viele Filme scharf bearstandet, gebildete Frauen verlangten \ erbannung von Stücken, die das Weib in den Augen der Öffentlichkeit und. was besonders gefährlich ist. bei den Eingeborenen verächtlich macht, und wer gebildet scheinen wollte, schloß sich dem Kritischen an. obgleich man ganz gern das Schlüpfrige gesehen hatte. Die Presse allerdings richtete sich speziell gegen das absolute Vorherrschen amerikanischer Filme Es wurde betont, daß ein großer Teil der in Indien geborenen englischen Europäer, die nie in Europa waren, ganz genau mit allen Straßen New Yorks und amerikanischen Gebräuchen vertraut ist. beim Auf¬ gehen des Vorhangs aber eine Szene in London z. B. nicht erkennen würde. Darauf empörten sich alle Cinema- besitzer und betonten, daß englische Filme viel zu teuer seien, um damit zu bestehen, und daß die englischen Bedingungen im allgemeinen solche seien, daß man in Indien nicht damit auskommen könnte. Und danach blieb alles beim alten, und wir sehen nur amerikanische Filme, die. besonders in Burlesken, das Roheste. Abstoßendste und Blödsinnigste sind, das man sich denken kann. — richtig die Jugend zu verblöden und die Erwachsenen zu verrohen. Zudem wird die Presse sich so bald nicht wie¬ der erheben, nachdem sic einmal abgcfallcn ist. Der Geschmack des Publikums richtet sich leider hier weitaus auf Erbärmlichkeiten, das zahlreiche Militär be¬ vorzugt Sport, den man bis zum Ueberdruß auigctischt erhält. Boxen und Pferde in der Hauptsache, und wenn Ducasse wirklich einmal etwas Lehrreiches brachte, blieb das Publikum aus. Das Cinema ist also hier nur eine Unterhaltungsstätte brutalsten Genusses, man findet da weder Erhebendes noch Belehrendes. Auch Völker- und Länderkunde fehlt gänzlich. Die Zensur läßt geradezu alles durchgehen, man griff sie neulich in der Presse stark an aber alberne Entschuldigungen und Erklärungen wur-