Der Kinematograph (July 1923)

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Seite 10 Per Rincmatogroph Nummer 858 Hinter Filmkulissen Der Film der Menschheit. Als Hans Neumann mir die Idee entwickelte, dachte ich mir: Schön, sehr schön — aber wie machen. Dann sah ich hinter die Kulissen, so etwa, wie man durch einen Zaun sieht. In Staaken stand ich vor dem Kundhorizont, rund vier¬ tausend Quadratmeter groll, über dreißig Meter hoch. Neumann erzählt von ungeahnten Möglichkeiten — wieder leise Skepsis. Bitte — ich bin entschuldigt. Auch Lubitsch schrieb von „Dummheiten", als man ihm zahlenmäßig berichtete. Als Saulus zog ich nach Staaken zur Großaufnahme, dem reuigen Paulus gleich kehre ich heim. Bergpredigt. V or dem Kundhorizont erheben sich Sand¬ berge, malerisch belagert von rund zweitausend Menschen. Fahrbare Berge, die man nach zwei oder drei Stunden einfach hinausschiebt, damit sie im Freien wieder zu Holz und Sand werden. Vom hohen Gerüst aus eine wundervolle Perspektive. Die gemalten Berge am Kundhorizont verschmelzen sich mit dem realen Werk des Architekten. Die Natur ist über¬ trumpft. Selbst die Sonne gehorcht dem Wink Robert Wiems. Sie geht auf und unter, sooft der Regisseur will. ..Wohltemperierter Sonnena lfgang" der überholte Sto߬ seufzer des Propheten, der einst in hei3er Glaubensschlacht Sonne und Mond Stillstehen lassen wollte, fällt einem ein. Von oben blitzen Hunderte von Lampen, heben sich auf Hebeldruck, senken sich ganz oder geteilt. Scheinwerfer strahlen aus vierzig Meter — also fast himmelhoch — zucken von den Seiten. Wirklich ein Lichtermeer. Jetzt öffnen sich langsam, wie von Geisterhänden ge¬ schoben, die Riesentüren. Tageslicht flutet herein und vermählt sich mit den tausend und aber tausend elektri¬ schen Kerzen. Die Aufnahme beginnt. Auf der höchsten Spitze, ln weißem Gewand der Er¬ löser. Irgendwoher tönen die wundetvollen Worte. Man ahnt sie mehr, denn selbst für eine Donnerstimme ist der Kaum zu groß. Langsam drängen die Gläubigen aus dem Tal zum Gipfel. Inniges Glauben strahlt aus den Gesichtern. Prachtvoll die Jünger . . . Petrus. Joharnes, Paulus- Segnend hebt Jesus (Chamar) die Hände, langsam er¬ strahlt am Horizont immer sieghafter die Sonne ein Zeichen, eine Verheißung. • Unter den Zuschauern sitzt Jungfrau Maria (Henny Porten), lieblich anzuschauen, mit der frommen Magdalena (Asta Nielsen), die ein hochmodernes weltliches Ge¬ wand trägt, weil sie heute nichts zu tun hat. Die beiden führen ein gar weltliches Gespräch vom Index und so weiter. Pilatus (Werner Krauß) beschäftigt sich am anderen Ende Berlins mit dem Wachsfigurenkabinett. Ideale und Realis¬ mus wohnen oft eng nebeneinander. Noch ein Gang durch die „kleine" Halle — die größer ist als alle Berliner Ateliers zusammen — dann geht's heimwärts. Am fünfundzwanzigsten Dezember wird in wenigen Metern die Arbeit dieses Tages an uns vorüber¬ ziehen. Ob dann wirklich Frieden auf Erden ist-wer weiß. Aber der Film wird sicherlich dann den Menschen ein Wohlgefallen Sein. Aldini, der starke Mann. Man war immerhin gespannt, ihn zu sehen. Man hat viel von ihm gelesen, sah überall sein Bild, las in den großen Journalen des In- und Auslandes von seinen ge¬ wagten Sensationen. Man traf ihn draußen in der „Jofa". inmitten eines Riesenbaues ein gigantischer Saal, bei irgendeiner exzentrischen Frau, die ihm in einem wundervollen Kleide, da* halb Panzer, halb aufreizende Toilette einer Frau darstellte, die weiß, wie man Männer fesselt, ent¬ gegentritt. Direktor Sayta erklärt: Originalmodell von Poiret in Paris. Jetzt tritt die entzückende Frau mit dem st» außen¬ federgeschmückten Helm auf uns zu. Es ist Violetta Napierska. die heute einen großen Tag hat. Sie tanzt, tanzt, um den Lord Aldini. der sich gegen die Frau wehrt, in ihren Bann zu zwingen. Das ist große Schule, große Klasse. Das ist nicht Filmtanz, sondern Kunst. Aldini spielt, ln seinen Mienen zeigt sich zuerst eisige Abwehr, dann merkt man. wie das Weib langsam über den Mann siegt, bis sie in seine Arme sinkt. Vielleicht, weil in diesem Augenblick die närrische Wette des Lord Aldini verloren ist. Julian Ballenstedt, einer der ältesten Filmbaumeister, führt uns vor ein gewaltiges Modell. Da wird sich in den nächsten Tagen draußen in der , Joia" ein Schloß mit einer Riesenkuppel erheben, die an den Kreml in Moskau erinnert. Da sollen wuchtige Fassaden aufgestellt werden, damit auch die Sensation zu ihrem Rechte kommt. Ballenstedt ist nur für diese Außendekorationen ver¬ antwortlich. Die stimmungsvollen Interieurs schuf Archi¬ tekt Richter. Im Vorführungsraum dann ein kurzer Einblick in dic bereits vollendete amerikanische Arbeit Unerreicht vor allem die tollkühnen Klettereien und Sprünge auf dem unendlichen Hotel Pennsylvania. Das Ganze, wenn nicht alles trügt, eine wertvolle Be¬ reicherung des internationalen Sensationsfilms. Jone, der Maharadscha Zum ersten Male bei dem Italiener, von dem man sich mehr Anekdoten erzählt als von allen anderen Berliner Schauspielern zusammen. Diesmal nicht der Apache, der Zalamort, sondern der Maharadscha. Ein großer Festsaal, hübsch gebaut, mit guter Per¬ spektive. Filmwirksam. Befrackte Komparsen, Damen in Grand-Toilette, ordensbesäte Uniformen. An den Seiten indische Waffen. Irgendein Diener tritt in den Saal und meldet: „Der Prinz“! Die Gäste bilden Spalier. Man dreht die Szene zweimal, dreimaL viermal — dann wird es uns zu langweilig, wir flüchten in die Garderobe der Fern Andra. Die erzählt uns gleich ein ganzes Buch: „Mein Abenteuer mit Emilio Gione. Ein Sensations- und Abenteurerfilm in sechs, acht oder zehn Teilen.“ Aber man soll nicht aus der Schule plaudern. Zwischendurch plaudert Hermann Kosenfeld über Ame¬ rika und die Amerikaner Ernste, nachdenkliche Betrach¬ tungen, über die unser Leser an anderer Stelle etwas findet.