Der Kinematograph (September 1923)

Record Details:

Something wrong or inaccurate about this page? Let us Know!

Thanks for helping us continually improve the quality of the Lantern search engine for all of our users! We have millions of scanned pages, so user reports are incredibly helpful for us to identify places where we can improve and update the metadata.

Please describe the issue below, and click "Submit" to send your comments to our team! If you'd prefer, you can also send us an email to mhdl@commarts.wisc.edu with your comments.




We use Optical Character Recognition (OCR) during our scanning and processing workflow to make the content of each page searchable. You can view the automatically generated text below as well as copy and paste individual pieces of text to quote in your own work.

Text recognition is never 100% accurate. Many parts of the scanned page may not be reflected in the OCR text output, including: images, page layout, certain fonts or handwriting.

Seite 6 3cr Rmcmntogrnph Nummer 862 63 Das wird nicht aufzuhalten sein durch die Verhängung \on Konventionalstrafen, wie das z. B. gerade in dieser Woche geschehen ist. wo inan Millionen und Milliarden von Verleiherfirmen verlangt, die ihre Filme vor dem 1. September herausgebraebt haben. Mag sein, daß ein paar Verleiher mit der strengen Durchführung der augenblicklichen Zuschlagspolitik auf andere Weise zu ihrer Rechnung kommen. Wir halten uns für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß eine vorübergehende Sti.legung von fünfzig oder hun¬ dert deutschen Theatern zu i ner Verstärkung des konzer- nierten Theaterbesitzers führen kann, und daß eine Fort¬ setzung der Leihpreiserhöhungen in dem jetzigen Tempo eines Tages von vielen kleinen und mittleren Verleihern be¬ dauert wird, die heute noch kurzsichtig, um des augen¬ blicklichen Vorteils willen, den sie sich auf dem Papier ausrechnen, eine Situation heraufbeschwören, in der sie selbst umkommen. Sie beschwören Geister herauf, die sie nachher nicht mehr los werden. Wir haben durch Rückfragen einwandfrei festgestellt, daß ein allgemeines Hinausschieben der Termine zunächst einmal zu bemerken ist, was unseres Erachtens der An¬ fang eines bösen Endes ist. Wer heute die Leihmieten bei einem Mult.plikator von 50 000 nicht mehr zu-am- menkriegt, hofft vielleicht wirklich noch, bei 100 000 so viel Geld zusammenzubekommen. Aber Hoffen und Harren haben schon manchen zum Narren gemacht. Wir wissen, daß es schon wieder Filme auf Teilzah¬ lung oder auf Kredit gibt. Man braucht in einem Fach¬ blatt nicht erst groß auszuführen, was dieser Zustand in der heutigen Zeit bedeutet. Wir warnen dagegen, den Bogen zu überspannen. Es fehlt uns nicht an Verständnis für zielbewußte, klare, feste Politik, aber diese Politik hat ihre Grenzen da, wo das allgemeine Interesse der Industrie anfängt. Nach einer sonst gut informierten Stelle soll auch im Schoße des Verleiherverbandes der Vorschlag aufge¬ taucht sein, die Goldmark zur Bcrechnungsunterlagc zu nehmen. Vielleicht ist dieser Weg doch richtig. Vielleicht wird er schon in den allernächsten Tagen oder Wochen überhaupt zwangsläufig eingeführt werden müssen. Er ist zum mindesten für den Theaterbesitzer klarer; denn das System des Grundpreises hat den großen Nachteil, daß dem Theaterbesitzer beim Abschluß jeder Maßstcb fehlt. Was nützt der schönste Grundpreis, den der Reisende durch seine Geschicklichkeit herausholt, wenn das Theater an dem Tage schon längst geschlossen ist. wo die Abnahme stattzufinden hätte. Es wird an der Zeit, daß vor allem die kleinen und mittleren Betriebe einmal selbst die Situation studieren und daß sie auf ihre Führer einwirken, nicht vom Klub¬ sessel des Direktionszimmers und Großkonzerns aus Verleiherpolitik zu machen, sondern unter Berücksich¬ tigung der Erfordernisse der Praxis. Man verlangt augenblicklich in der großen deutschen Politik die Opferung eines Teiles der Substanz, damit das Volksganze gesundet. Man behauptet von dem Reichskanzler Stresemann. daß er einmal in einem kleinen Kreis gesagt habe, er ver¬ trete den Standpunkt, daß es besser ist, selbst die Hälfte der Substanz zu opfern, wenn damit die andere Hälfte gerettet würde. Dieser durchaus richtige Standpunkt paßt auch im kleinen auf unsere Industrie. Wir gönnen jedem den Luxus des Autofahrens. Wir haben auch volles Ver¬ ständnis für den Reiz, der im Genuß von Importen liegt. Aber wer heute noch in der glücklichen Lage ist, sich derartige Genüsse leisten zu können, hat kein Recht, über schlechte Zeiten zu sprechen. Heute, wo wir in der schwersten Zeit stecken, die der deutsche Film je erlebt hat, muß man einsehen, daß jeder Opfer bringen iruß, der Unternehmer, der Angestellte, der Lieferant und der Abnehmer. Karl Grüne hat neulich in kleinem Kreis sehr richtig bemerkt, daß sich auch der Filmfabrikant und der Ver¬ leiher damit abfinden muß, wenn sich sein Anlage- und Betriebskapital mit zehn Prozent verzinst, daß er sich klar sein muß, daß jeder Luxus im Betrieb und im Privatleben zunächst einmal beseitigt werden muß. Die Zeiten, wo nach einem Königsworl jeder Bürger Sonntags ein Huhn im Topfe haben sollte, kommen vor¬ läufig nicht wieder. Vielleicht beim Bauer, aber nicht beim Kaufmann und beim Arbeiter. Wir müssen uns einschränken und versuchen, so zu arbeiten und zu kalkulieren, daß die Industrie, in der wir arbeiten und die uns Brot gibt, lebensfähig bleibt. Diesem Ziel zuliebe müssen wir auch manches persönliche Opfer bringen. Wenn der Theaterbesitzer, um seinen Film ab¬ zuholen, die vierte Wagenklasse benutzt, weil er das Geld für die dritte nicht aufbringen kann, so ist das so lange gut und richtig, als auch der Verleiher und der Filmvertreter sich entschließen, ihre Einkünfte auf das gleiche Maß abzustellen. Wir wünschen, daß es wie bisher beim D^Zug zweiter Klasse bleibt, sowohl beim Theaterbesitzer wie beim Verleiher. W’ir bemerken auch, daß es sich hier nur um ein Bild, um ein Beispiel, nicht etwa um eine praktische Forderung handelt. Wir erwähnen aber diesen krassen Fall, um anzu- deuten, daß dieses Opfer unter Umständen bis zur letzten Konsequenz gehen muß. Wir haben viel vernünftige und einsichtige Leute, die heute nach diesem Gesichtspunkt handeln. Die langen Autoreihen der Filmfabrikanten vor dem Klub, die Herr Scheer in seiner Rede als Beispiel des Wohllebens der anderen Kategorie anführte, sind schon längst ver¬ schwunden. Sie sind nur noch bei wenigen vorhanden, und darunter befinden sich auch gute Freunde des Herrn Scheer, die sich allerdings das Auto noch leisten können, trotzdem das Südfilm-Haus mit seinen Zuschlägen unter denen des Verleiherverbandes bleibt. Man könnte daraus einmal den Schluß ziehen, daß es überhaupt billiger geht, sowohl beim Verleiherverband wie beim Südfilmhaus. Aber das Auto ist nicht das Maß aller Dinge. Es wäre höchstens ein Symbol. Auch so aufgefaßt, müßte konstatiert werden, daß bei vielen Fabrikanten und Verleihern schon im Sinne unseres Artikels geopfert wird. Aber es scheint, als ob diese Kreise vorläufig noch nicht den Mut haben, ihre Ansicht offen auszusprechen, nicht so offen, wie sie es uns gegen¬ über in der letzten Zeit täglich in zwei oder drei Fällen getan haben. Die Gedanken, die wir in diesem Artikel widerspiegeln, stimmen mit denen überein, die sich ein großer Teil unserer Industrie — Fabrikanten, Verleiher und Theater¬ besitzer — macht. Wir geben sie an leitender Stelle unseres Blattes wieder als Warn- und Weckruf, als Mahnung zur Vorsicht, als Ausdruck eines Pessimismus, der uns auf Grund unseres Materials überkommt, trotz¬ dem wir sonst immer Optimisten waren.