Der Kinematograph (October 1923)

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Nummer 867 68 Set Rmcmatogtapfi Seite 3 Indische Filmkrise Originalbericht unseres indischen Korrespondenten. V ielleicht in keinem Land der Welt hat das Kinema mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen, sobald es sich um Verltiherfragen handelt, als in Indien. Denn Neid und Mißgunst spielen im Orient eine ganz andere Rolle als in Europa. Sobald eine Firma erfährt, daß diese oder jene andere Firma diesen oder jenen Film haben will, wird ein Kabeltelegramm abgesandt, und das Höchste dafür ge¬ boten. was möglich ist. So kommt es, daß manches Theater sich in die gräßlichste Lage versetzt sieht, wenn es mit Sicherheit bis zu diesem oder jenem Zeitpunkt auf den erbetenen Film gewartet hat, und plötzlich ohne Neues dastcht. ln dieser Beziehung wird hier eine schmutzige Kon¬ kurrenz ausgeübt, und das ist auch das Rätsel, warum eine bestimmte Firma fast alle Kinemas an sich reißt und geradezu eine Art von Monopol genießt. Man muß rechnen, daß auch die schlechteste Vorstellung mit dem billigsten Film eintausend Rupies per Abend kostet, aber dann soll doch ein Profit heraussehen, denn kein Mensch will Kinemebesitzer sein, um dem Publikum zu geiallen, sondern um davon zu leben. Und um gut zu leber, wie es Indien mit sich bringt! Diese Zustände haben cs dahin gebracht, daß man plötzlich sehr gute Filme zu sehen bekommt, und dann wieder für Monate ein Zeug, das verboten sein sollte. Aber was kann der einzelne tun! ! Das ist auch der Grund, warum der sehr anständige Mr. Ducasse sein „Picture House" in Kalkutta aufgab. das einzige wirklich feine, anständige Kinema. Madan der alle Kinemas Kalkuttas besitzt, hat alsobald auch cieses aufgekauft, und es wird wie alle die anderen Madanschen Kinemas geführt. Schlechte Bilder wechseln mit guten, aber es ist immer etwas, das Geld bringt urd für den Europäer meist unmöglich ist. dern die meisten reisen doch jedes zweite Jahr nach Europa, sind also verwöhnt Madan hat in jüngster Zeit zweimal wöchentlich indische Filme eingeführt, angeblich aus der indischen Mythologie, aber diese können nur von Indern verstanden, gewürdigt und besucht werden. Ob er trotz regen Be¬ suches davon viel Vorteil hat, ist sehr fraglich, denn in der Tagespresse wird immer wieder geklagt, daß Europäer ein bis zwei Tage nach dem indischen Film das Theater nicht besuchen können, so fürchterlich ist der Geruch, die Schmutzerei in den Klosetts usw. Ducasse hatte deswegen keine Plätze für Eingeborene, und es läßt tief blicken, daß gerade dieses Kinema schließen mußte. Mehr und mehr sinkt das Kinema hier auf die Stufe einer Vergnügungsstätte für Inder herab. Die Zeit wirklicher Theater rückt immer gebieterischer näher. Denn mit Kinemas wird kein Mensch mehr reich. Das Tropenklima verlangt ganz andere Bequemlichkeiten als in Europa, und diese kosten viel Geld. Allein das Arbeiten der Fans (elektrische Windfächer), deren jedes Kinema 10 bis 15 haben muß, kostet pro Abend- oder Nachmittagsvorstellung seine 200 Rupien an Strom. Alles dies soll herauskommen, und wo bleibt dann der Gewinn? ? Daß ein Unternehmer viele Kinemas in den verschiedensten Städten hat, hat auch seinen Grund darin, daß er sich dadurch hält, indem ein Film in einer Stadt nach der anderen abgespielt wird, und die Verleiher¬ gebühren sich dadurch bedeutend verringern. Nur e i n Kinema zu haben, ist aussichtslos. Die Zensur dagegen ist in Indien die leichteste und be¬ quemste. die man sich denken kann. Man läßt eben ein¬ fach alles durchgehen, selbst sehr gewagte Dinge. Immer¬ hin kommt kein wirklicher Schmutzfilm nach hier. Charly-Chaplin-Filme bilden das Entzücken der Sol¬ daten und aller Eingeborenen. Durch dieses „laisser faire, laisser aller“ System hat sich auch kein Lehr film hier cinführen können, selbst kurze, belehrende Einlagen der Pathe Gazette langweilen die Besucher. Die Zensur ist gleichgültig. Wenn die Kinemabesitzer nur ihre hohen Steuern zahlen, ist alles gut. Auch ein ge¬ sunder Standpunkt!! Die Gehalts- und Lohnfragen für Angestellte des Kinemas sind hier recht interessant. Operateure können ihre Preise stellen, denn sie sind ein Produkt der Neuzeit, und es herrscht mehr Nachfrage nach ihnen, als Arbeits¬ angebot. Es sind meist Eingeborene ans besseren Familien, aber sie arbeiten nicht schlecht. Ähnlich ist es mit allen anderen Angestellten, die das Kinotneater braucht. Die Gehälter betragen mindestens 200 bis 300 Rupien, eine hohe Bezahlung für hier, wo doch eir. indischer Post¬ meister, der Schulen absolviert hat und vieles kennen muß, nur 60 Rupien bekommt. Be; der strengen Arbeitsteilung, die hier herrscht, braucht jedes Kinema eine kleine Armee von Angestellten. Europäer würden sich dem Fach wohl widmen, aber diesen können die Kmotheaterbcsitz.er nicht die Gehälter bezahlen, die ein Europäer hier ha von m u ß. Das Schmerzenskind des Kinemas aber ist die Musik. Wenn ein Besitzer wirklich gute M.usik liefern will, wie es Ducasse tat, so kostet ihm das 3000 bis 4000 Rupien per Monat. Dafür hat er einen Klavierspieler, einen Geiger, ein Cello und ein Blasinstrument oder einen Trommler. Entweder ist die Musik e-stklassig. zum mate¬ riellen Schaden des Besitzers, oder man hat nur einen Klavierspieler und einen Geiger, die Menschen rasend machen können, und von denen der eine dies spielt, während der andere in ganz anderen Musikregioncn ist. Die Musikfrage ist für den Besitzer der wunde Punkt, an dem der Reingewinn scheitern kann. Das Publikum höhnt und schimpft, wenn die Musik ohrenzerreißend falsch und unharmonisch ist, hat man aber eine gute Künstlerschar engagiert, die dementsprechend bezahlt wird, so murrt das Publikum wiederum, weil er. höhere Preise zahlen soll. Lediglich die indischen Besucher haben kein Verständnis für richtige oder falsche Musik, ja,' sie bevorzugen die furchtbarste Katzenmusik. Seit einem Jahr haben die Kinemas schwer unter der Luxussleuer zu leiden. Jeder Besucher hat 4 Annas zu zahlen. Beim einzelnen macht dies nicht so viel aus. wohl aber, wenn es sich um eine Familie von vier oder fünf Personen handelt. Das Publikum hat jedenfalls genug gemurrt. Madan war so schlau, nach einiger Zeit zu annoncieren, daß er die gesamte Luxussteuer aus seiner Tasche zahlen wolle, das Publikum davon also nicht betroffen würde. Das zog anfangs sehr, aber als Programme plötzlich nicht mehr abgegeben wurden, als viele Windfächer eingestellt wurden, sah man. daß die „Generosität“ an anderer Stelle wieder eingeholt wurde, und zwar auf Kosten der Gemütlichkeit des Publikums. Es zog also nicht mehr Ganz kürzlich war eine große Bewegung der Entrüstung hier im Gang, weil auf Jahrmärkten und Messen in einem reisenden indischen Unternehmen Filme gebracht wurden, die dazu angetan waren, das europäische Ansehen aufs schwerste zu gefährden, indem sie europäische Gebräuche verspotten, Ehebtuch als auf der Tagesordnung in Europa iiinstellten und andere abscheuliche Dinge im Bild brachten. Hier hat die Regierung eingegriffen und solche Filme scharf zensiert und verboten.