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Seite A Per Rincmntogrnpfi Nummer 867 68 Die strafrechtliche Haftung des Filmfabrikanten für Filmunfälle Von Rechtsanwalt Dr. Ernst Eckstein, Berlin. D as Filmwesen bringt es mit sich, daß^elegentlich hals¬ brecherische Vorgänge gefilmt werden und daß sich von Zeit zu Zeit dabei auch ein Unfall ereignet. Ist dieser Unfall auf irgendeine Fahrlässigkeit, insbesondere auf Mangel an genügenden Schutzvorrichtungen zurück¬ zuführen, so ist gar kein Zweifel, daß der Schuldige, der Regisseur oder irgendeine technische Hilfsperson, wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung zur Rechenschaft gezogen werden kann. Unter Umständen kann auch den Filmfabrikanten eine Mitschuld treffen, wenn er m der Anstellung oder Beaufsichtigung seines Per¬ sonals nicht die genügende Vorsicht walten läßt oder wenn er — trotz Kenntnis ungenügender Schutzmaßnahmen — eine Filmaufnahme vornehmen läßt und sich dabei der Un¬ fall ereignet. Daß dagegen der Filmfabrikant strafrecht¬ lich zur Rechenschaft gezogen wird, nur darum, weil er einen Film hat drehen lassen, in dem ein halsbrecherischer Trick vorkommt, ist immethin schon befremdend, denn das Rechtsgefühl sagt einem schon, daß in solchen Fällen nur den Verunglückten selbst oder die ‘echnischen Hilfs¬ personen ein Verschulden t'-effen kann. Vor einiger Zeit ist der Versuch gemacht worden, die strafrechtliche Untersuchung auch geger den Fabrikanten zu richten. Das Verfahren ist aber auf Gerichts¬ beschluß eingestellt worden (vergl. Jurist. Wochenschr. 1920, S. 922). Diese Tatsache würde an sich eine besondere Beachtung nicht rechtfertigen, wenn nicht gerade aus juristischen Kreisen diese Entscheidung einer abfälligen Kritik unter¬ worfen wäre. In einer rechtswissenschaftlichen Anmerkung zu jener Entscheidung hebt Professor Kitzinger hervor daß es sich hier um ein sehr schwieriges Problem, um das der sogenannten Unterbrechung des Kausalzusammen¬ hanges handele; er tritt der Entscheidung nicht gerade ent¬ gegen, meint aber, daß es dem Rechtsgefühl mehr ent¬ spräche, auch den Fi'mfabrikanten, der in letzter Linie der Urheber des Unfalles sei. mit zu bestrafen. Von anderer Seite wird diese Anregung aufgegriffen. und in einem Aufsatz von Neukirch in der Juristischen Wochenschrift vom 1. August 1921 Seite 890 wird die Strafbarkeit des Filmfabrikanten vertreten. Aus dieser Stellungnahme zweier Juristen ergibt sich, daß zum mindesten eine starke Neigung besteht, in solchen Fällen zu verurteilen, und daß es durchaus nicht unwahr¬ scheinlich ist, daß im nächsten derartigen Falle die An¬ klage erhoben wird. Der Gedanke, daß der Filmfabrikant für Unfälle bei Filmaufnahmen auch haftbar ist, wenn ihn ein unmittel¬ bares Verschulden nicht trifft, muß entschieden bekämpft werden. Das Verschulden des Filmfabrikanten soll darin liegen, daß er eine Filmaufnahme machen läßt, die einen halsbrecherischen Vorgang zum Gegenstände hat. Theo¬ retisch sind natürlich Fälle denkbar, in denen schon das bloße aufgenommene Sujet die Lebensgefahr so erkennen läßt, daß cs unverantwortlich ist. einen derartigen Film überhaupt zu drehen. Ob solche Fälle aber in der Praxis überhaupt Vorkommen, dürfte schon zweifelhaft sein. Man darf wohl davon ausgehen, daß stets der Filmfabrikant die Absicht hat, daß ein Film so gedreht wird, daß nichts dabei passiert. Wenn er einen Filmschauspieler oder Artisten zum Spielen eines derartigen Films engagiert, so hat er die Absicht, daß dieser als Fachmann selbst die Gefahr übersieht und nichts unternimmt, was er nicht selbst verantworten könnte. Wenn dabei der Filmfabrikant etwa die Unerfahrenheit oder den Leichtsinn eines anderen sich zunutze macht, so würde aus diesem Grunde die geistige Verantwortlichkeit auf ihm ruhen können. In dem Aufsatz von Neukirch wird ein Fall als Parallele hingestellt, in dem — und zwar durchaus mit Recht — die frühere Praxis eine strafrechtliche Verantwortung angenommen hatte. Ein Soldat batte sich in einer Wirtschaft gerühmt, er könne einen Quart Branntwein auf einen Zug austrinken, worauf ein Gastwirt ihm diese Portion Branntwein verab¬ folgte und der Soldat infolgedessen an Alkoholvergif¬ tung starb. Hier mußte der Gastwirt die Gefahr erkennen und sehen, daß der Soldat sie nicht erkannte, und durfte sich zu einem derartigen Spiel nicht hergeben. Er hat, indem er dem Leichtsinn des Soldaten nicht entgegen¬ trat, an dessen Tod ein Mit verschulde". Im Falle des Filmunglücks liegt es aber gerade umgekehrt. Der Artist erbietet sich nicht, sein Leben aufs Spiel zu setzen, und der Fabrikant macht sich diesen Leichtsinn nicht zu nutze, sondern umgekehrt, der Artist ist hier der Fachmann, der wissen muß. welche Vorsichtsmaßregeln zu treffen sind; und wenn er dabei verunglückt, so ist er derjenige, den die Fahrlässigkeit trifft, neben ihm vielleicht diejenige Person, deren er sich zur Durchführung der technischen Vorbeugungsmaßnahmen bedient. Der Fabrikant dagegen muß sich gerade darauf verlassen können, daß das Drehen eines Filmes gefahrlos ist, zu dem er Artisten und tech¬ nische Hilfspersonen als Fachleute hinzuzieht. So betrachtet, kommt für unseren Fall das Problem des Kausalzusammenhanges oder des unterbrochenen Kausal¬ zusammenhanges gar nicht in Frage. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anstiftung zu einer halsbrecherischen Handlung der Ausgangspunkt einer Verursachungskette ist, die bis zum Tode des Artisten führt, es kann dahin¬ gestellt bleiben, ob diese Ursachenkette unterbrochen wird durch den freien Willensentschluß des Artisten. Wenn der Tod die Folge ist, so beginnt die Ursachenkette erst bei der Fahrlässigkeit des Artisten, des Regisseurs usw., niemals aber bei dem Entschluß eines Fabrikanten, einen Film zu drehen, bei dem gerade ein Unfall nicht pas¬ sieren soll. Man bedenke auch die ungeheure Tragweite, die eine andere Auffassung haben würde. In der gesamten Artistenwelt spricht das halsbrecherische Kunstwerk eine außerordentliche Rolle; das Publikum will Seiltänzer, Trapezkünstler usw. sehen, und zwar gerade, weil die Vorführungen halsbrecherisch sind. Der Reiz der Vor¬ führung liegt gerade in der artistischen Überwindung der Gefahren. Geschieht dabei ein Unglück, so ist das eine nicht ganz seltene, aber nicht vermeidbare Begleiterschei¬ nung eines mit Gefahren verknüpften Berufes. Es mag im einzelnen Fall den Artisten selbst eine Fahr¬ lässigkeit treffen, es mag derjenige, der das Seil zu spannen oder zu kontrollieren, das Trapez zu befestigen hat usw., ein Vorwurf treffen; daß dagegen der Besitzer eines Varietes, nur weil er einem Artisten die Vor¬ führung halsbrecherischer Kunststücke gestattet, für einen Unfall strafrechtlich haftbar gemacht werden soll, erscheint dem Rcchtsgefühl gegenüber als eine glatte Unmöglichkeit.