Der Kinematograph (November 1923)

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Seite 2 Nummer 872 ist etwas, was zu weit geht. Wenn es geschieht, muß es dankbar als besonderes Entgegenkommen der Herstellungs¬ firma angesehen werden. Die kleinen und mittleren Schau¬ spieler aber glauben, derartige Dinge fordern zu müssen — fordern zu müssen mit jenem kategorischen Imperativ, den man in einer primitiven Ausdrucksweise „Umschlag¬ machen" nennt. Bedauerlich ist es allerdings, daß man noch nicht zu einer generellen Regelung der (lagen gekommen ist, daß es vor allen Dingen kein Mat! für Filmgagen für die Solisten gibt, so daß man im wahren Sinne des Wortes von „maßlosen Forderungen" und „maßlosen Bedingungen" sprechen kann. Es ist in der letzten Zeit mehrfach vorgekommen, daß man die Zahlung in Papiermark einfach zurückgewiesen hat, weif man die Bemessung der Bezahlung an Hand des Kursstandes irgendeines wertbeständigen Zahlungsmittels verwechselt mit der Auszahlungsform. Es gibt nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft, hochtalentierte Arbeiter, qualifizierte Kräfte, die froh sein würden, wenn sie in der Woche einen Teil von dem in Papiermark erhielten, was die Filmschauspieler verlangen. Man verweist so gern auf das Beispiel Amerikas, die Riesengagen, die Baby Peggy, Jackie Coogan oder Norma Talmadge bekommen. Man vergißt, daß der größte Teil dieser Zahlen, der durch die Presse geht, „Dichtung" und nur zum allergeringsten Teil „Wahrheit" ist. Diese Zahlen werden meist nur aus dem Grunde lanziert, weil sie das große Publikum interessieren und darum eine ausgezeichnete Reklame darstellen. Wir sind überzeugt, daß eine Veröffentlichung von deut¬ schen Filmschauspielergagen ohne Reklameabrundung nach oben, in vieler Beziehung Sensation machen würde. Aber wir wollen die Herrschaften nicht in Verlegenheit bringen, schon aus dem sehr einfachen Grunde nicht, weil die Finanzämter bereits heute von der Bezahlung von Film¬ stars und von dem Verdienst von Filmindustriellen Anschauungen haben, die manchmal nicht nur die kühnsten Erwartungen der Betroffenen, sondern sogar die Forde¬ rungen der Beteiligten weit übersteigen. Allerdings ist die Frage „Aufstieg oder Niedergang?" von den Schauspielergagen allein nicht abhängig. Sie wird mit entschieden von der richtigen Einstellung der Fabri¬ kation überhaupt. Es ist an sich jetzt keine Zeit zu kostspieligen Experi¬ menten. Alles, was produziert wird, muß vom Gesichts¬ winkel des internationalen Geschäfts aus gesehen werden. Das ist an sich oedauerlich, weil wir nur durch künst¬ lerische Experimente der Vervollkommnung näher¬ kommen. Aber heute darf kein Geld in derartige Dinge gesteckt werden, weil das Geld so knapp und rar ist wie nie zuvor, und weil vor allem ungeheure Reserven not¬ wendig sind, um überhaupt ein Fabrikationsrisiko ein- gehen zu können Erfreulicherweise zeigt ja die deutsche Produktion in der letzten Zeit, daß man diesen Grundsatz fast überall zur Anwendung bringt. Aus allen Ländern, auch aus England und Amerika, häufen sich die Erfolgsmeldungen, nicht nur die Erfolgs¬ meldungen von den Pressevorstellungen, sondern auch die Bestätigungen durch die Kassenberichte der Verleiher und Fabrikanten. Diesen Aufstieg wird niemand hindern können. Er ift unabhängig davon, ob uns die Franzosen zu einem Kon¬ greß einladen, oder ob uns ein Amerikaner bei irgend¬ einer internationalen Konferenz hinzuzieht. Dieser Auf¬ stieg wird unaufhaltsam weiter gehen, wenn wir es ver¬ stehen, unsere Ware dem internationalen Geschmack an¬ zupassen und wenn wir darüber hinaus in der richtigen Weise für uns im Ausland Stimmung machen. Es genügt nicht allein, einen Film für Amerika zu ver¬ kaufen, sondern es ist vielleicht jetzt im Anfang viel wichtiger, ihn drüben richtig herauszubringen. Die Besuche prominenter deutscher Darsteller und Regisseure in London, Paris oder Wien wirken mehr als alle Verkäufe, die je nach diesen Ländern getätigt wurden. Wir sind in Deutschland zurzeit das führende Filmland Europas. Technisch ist uns in bezug auf Atelier und Be¬ leuchtungspark höchstens Amerika überlegen. Aber wir dürfen nicht Stillstehen. In Rom zum Beispiel bereiten sich langsam interessante Dinge vor, die von uns genau studiert werden müsen. Amerikanische Gruppen mit allerersten Darstellern, führende englische Filmindustrielle projektieren Riesen¬ bauten. Man will die Vorzüge des italienischen Himmels mit denen der vollendeten amerikanischen Beleuchtungstechnik vereinen. Man unterschätze diese Dinge nicht. Kein Geringerer als Emil Jannings sieht dort unten ein italienisches Los Angeles erstehen. Wir brauchen die italienische Konkurrenz nicht zu fürchten, denn wir glauben, daß der deutsche Film, qualitativ betrachtet, sich im Stadium des Aufstiegs be¬ findet. Wir haben nichts zu fürchten, aber wir müssen eine Position verteidigen, und eine Verteidigung ist dann be¬ sonders wirksam, wenn man möglichs früh beginnt, damit man in der Offensive ist. Vielleicht ist es heute noch zu früh, vielleicht aber morgen schon zu spät. Die Lösung des ganzen Problems wird davon abhängen, ob wir es verstehen, die Augen genau so offen zu halten, wie das in der Fabrikation be¬ sonders sehr viele Leute mit den Händen glänzend ver¬ stehen. Wir sollen weder nach Amerika noch nach Italien schielen, sondern sollen Filme nach unserer Individualität machen, mit deutscher Gründlichkeit in kultureller Hin¬ sicht und in bezug auf die Ausstattung. Wir dürfen nicht nachahmen, sondern müssen frei erfindend und frei schaffend uns bemühen. Filme zu formen, die das Interesse des Weltpublikums finden. Die klare Erkenntnis dessen, was Weltgeschmack ist,* ist leider bei uns noch nicht überall vorhanden. Wir glauben, das Kino im Ausland durch die Literatur erobern zu können. Man hat aber heute e ; ngesehen, daß das nicht möglich ist, und unsere Bilder können Niveau haben, aber sie können nie Spiegel der extremen jungen literarischen Richtungen sein. Der Film ist ein Mittel der Unterhaltung. Das Kino eine Stätte der Erholung und Ablenkung, ein Mittelding zwischen Operette und Variete, nur mit dem Unterschied, daß diese Unterhaltung stofflich sich auf dem Niveau des guten Unterhaltungsromans bewegt. Für ein erfolgreiches Publikumstück gelten dieselben Voraussetzungen, wie für den Unterhaltungsroman, der für die Eisenbahn und für den Nachttisch bestimmt ist. Man will angeregt, aber nicht geistig stark beschäftigt werden. Der Vorwurf soll fesselnd, spannend und originell sein, aber die Probleme sollen nicht allzusehr den Geist zu eigener Arbeit anspannen. Das mag, wie schon immer hier betont ist, für viele be¬ dauerlich sein, aber es ist nun einmal wahr, und die richtige Erkenntnis gerade dieser Tatsache entscheidet letzten Endes die Frage, ob die deutsche Filmindustrie weiter emporsteigt, oder ob sie untergeht.