Der Kinematograph (November 1923)

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Seite 4 Nummer 872 Niedergang des Lustspiels Von Ernst Ulitzsch. \/¥>t dem Lustspiel errang die junge kincmatographische ■i-Vl Kunst die ersten Erfolge. Es waren die komischen Szenen, die die Zuschauer anlozkten und vor das Bild führten, dessen technische Mäng.-l unter der Droleric der Vorgänge vergessen wurden. /vis sich dann die Kine¬ matographie so weit entwickelt hatte, daß sie als „Licht¬ spiel" angesprochen werden konnte, begann jener erfreu¬ liche Aufstieg der heiteren Filme, der schließlich zu den Gipfeln des „Erotikon" und der . Puppe" führte. Komiker waren es, die zu Anfang den Erfolg des komischen Filmes getragen hatten. Komiker, die eigentlich Possen aus den Stoffen machten und unter denen Max Linder und Tom- Princc sehr schnell zu Weltruhm gelangten, während der Däne Stricboldt mit dem Niedergang der dänischen Film¬ produktion kinematographisch nirht zur Entwicklung ge¬ langte. Es ist bemerkenswert, daß die Kinoposse in Deutschland zum Lustspiel umgebildet wurde — und man darf nicht vergessen, daß Franz Hofers „Rosa Pantöffel¬ chen" hier am Anfang steht. Hofer fand freilich, was bis dahin noch keinem Regisseur geglückt war, ein junges Lustspieltalent, die leider so kurzlebige Dorrit Weixler, die erste weibliche Kraft neben all den Männern, die um die Gunst rangen, dts Publikum in Lachkrämpfe zu ver¬ setzen. Etwas später glückte die Entdeckung der Ossi Oswalda, die in Lubitschs großer Lustspielzeit ihre ersten Erfolge einheimsen konnte. Amerika hat nur. neben den vielen männlichen Komikern, Viola Dana als heitere Schauspielerin aufzuweisen, was nicht überrascht, denn die Groteske ist dem Clown Vorbehalten, mag er nun philosophisch, wie Chaplin, oder rüde, wie Fatty, sein. Die Frauen, die in den amerikanischen Grotesken mit- wirken, gehören teils in das Fach der „komischen Alten", die nicht vorhandene Lustigkeit durch Äußerlichkeiten forcieren, oder in das Fach der Liebhaberin oder nir¬ gends wohin, wie etwa Bebe Daniels, die keine Schau¬ spielerin, sondern lediglich ein hübsches Mädchen ist. Wenn man die Lustspiele der Weltliteratur den Dramen gegenüberstellt, so sinkt ihre stattliche Zahl zu einem ver¬ schwindenden Häufchen zusammen. Immer war Humor eine seltene Angelegenheit, den viele der größten Geister nicht besaßen. Es wäre daher unbillig, ihn von den Film¬ leuten gehäuft zu verlangen. Der Humor des Lustspiels oder der Komödie muß sich auf einer satirischen Schilde¬ rung einer gewissen Gesellschaftsschicht aufbauen. Die Lustspiele, mit denen Lubitsch die Aufmerksamkeit auf sich zt, lenken wußte, waren Vcrulkungcn der jüdischen Bourgeoisie, aber auch der gesamten Geschäftswelt, deren Machinationen in leichter Verstärkung den Stempel sati¬ rischen Tuns erhielten. Es wurde das Ethos gepredigt, daß es noch andere Mächte als das Geld gebe, vor dem die Welt der Konfektion und des Großhandels bewundernd im Staube lag — und das eine andere Macht vor allem das populäre Gefühl der Liebe sei. Das war eine sati¬ rische Gesellschaftsschilderung, eine Ironisierung der Ideale, die nur nach Äußerlichkeiten streben. Es war aber auch die Grenze, die die Bildsprache des Filmes hier nach dem Komödienhaften abstecken kann. Denn humoristisch sind — und das ist eine Schwäche des Humors — eigent¬ lich nur kleine Leute, jedenfalls Menschen, die sich gegen die Konvention auflehnen oder gar nichts von ihr wissen. Man beachte das Milieu, in dem die amerikanischen Grotesken vor sich gehen, es ist niemals die große Welt. Wenn aber Chaplin in diese hineinjagt, so liegt das Komische lediglich im Kontrast der Sitten Chaplins und jener amerikanischen Gesellschaft, die zu jung ist, um be¬ reits feste Konventionen zu haben. Auf europäische Ver¬ hältnisse lassen sich diese Sprünge einer übertollen Laune nicht übertragen, weil bei uns der Boden fehlt, auf dem sie glaubwürdig crwacnsen würden. Die Sprechbühne ist sich dieses Mankos des Humors schon seit langem be¬ wußt; sie schuf daher, um auf das Milieu der Gesellschaft nicht zu verzichten, die Konversationskomödie. Hier liegt der Witz nicht mehr in der Situation, sondern im Dialog, der scharf geschliffen zwischen den Personen einherfliegt. Leider ist diese sehr amüsante Abart nicht zu verfilmen, denn der Witz müßte völlig in die Zwischentitel gelegt werden. Man hat dies getan und die Bilder nur noch als Illustrationen der Zwischentexte gestellt — ohne damit Er¬ folg zu haben, denn Film ist vor allem Bild und der Titel nicht mehr als die Unterschrift, die wohl verstärken, aber nicht für sich allein stehen darf. Das Lustspiel ging zurück, weil es sich aus der Sphäre des Antikonventionellcn, in der es allein existieren kann, in die Region der Konvention verirrte. Leider geht das auf Kosten des Humors, den auch die schönste Milieu¬ schilderung des großen Reichtums nicht ersetzen kann. Es gibt nun einmal keine humoristischen Barone, während es humoristische Diener gibt, und die Welt des Salons erschließt sich nur dann dem Humor, wenn man sie durch ein Schlüsselloch betrachtet. Man hat zur Entschuldigung des geringen Filmhumors nicht selten angeführt, daß die Zahl der humoristischen Situationen beschränkt sei. Aber Gärard de Nerval hat mit Scharfsinn erwiesen, daß es überhaupt nur siebenundzwanzig dramatische Situationen gibt, daß aber jede davon auch humoristisch sein kann. Es kommt lediglich auf die Einstellung an. Wer offen die Konvention bejaht, kann nicht humoristisch wirken; der Humor muß notgedrungen verneinen, sei es nun durch Übertreibung oder Verkleinerung. Es kommt beim Film- lustspiel darauf an, daß der Regisseur nicht nur die Komik der Situation, sondern auch bie Tragik der handelnden Personen erfaßt. Weil dieser letzte Zug in den ameri¬ kanischen Grotesken fehlt und der Fußballhumor zu stark durch die Szenen trampelt, deshalb wirken mehrere hinter¬ einander unausstehlich. Diese leise Tragik ist dem Re¬ gisseur Christensen im 2. Teil seines Filmes „Meine Frau — die Unbekannte" nicht übel gelungen, wenn er auch noch nicht den abschließenden Stil für das neue Lust¬ spiel fand. Die große Verarmung des Filmsp.elplanes an Lustspielen wird einem erst klar, wenn man bedenki. daß die vorige Saison nur zwei einwandfreie Lustspiele hervorbrachte, von denen Bergers „Glas Wasser" noch dazu Kostüm¬ komödie war. Dieser offenkundige Niedergang kann erst dann wieder behoben werden, wenn Regisseure, Autoren und Stars den Ehrgeiz des filmisch nicht möglichen Salon- Lustspieles ablegen. Bis dahin wird allerdings noch eine gewisse Zeit ver¬ gehen. denn das Milieu des Salons ist zu beliebt, als daß cs schnell aufgegeben werden sollte, zudem es mit seinen prunkvollen Äußerlichkeiten die Aufmerksamkeit von dem Inhalt abzulenkcn pflegt und daher eine dünne Handlung wattiert. Aber eine neue dänische Lustspiel¬ serie vermengt geschickt die beiden konträren Welten. Es ist dies die von Lau Lauritzen inszenierte Serie der Pat- und Patachen-Lustspiele. Dramaturgisch ist an ihnen sehr viel auszusetzen, die Manuskripte ermangeln der Ge¬ schlossenheit und verkoppeln die verschiedenen Wir¬ kungen nicht immer sehr geschickt. Aber es dringt dank der Komikerbegabung des seltsamen Paares so viel Humor aus ihnen, daß sie einer besonderen Betrachtung ge¬ würdigt werden sollen.