Der Kinematograph (February 1924)

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Seite 14 9cr Rincmatogropfi Nummer 887 AU aus dem Dunkel des Ufa-Palastes der erste Lichtstrahl •'* flammend über die Riesenfläche der Leinwand fuhr, malte er eine Landschaft, überkrönt von einem Regenbogen, die alle Zwischentöne einer Lithographie zeigte und sich trotzdem der festen Konturen eines Stahlstiches rü men konnte. So blieb bildhaft der Eindruck den ganzen Abei d über: eine Schöpfung aus Licht und Schatten, der sich Ähnliches nicht an die Seite stellen läßt und deren Kühnheit bcrauscitc. Hier ist der Technik ein Wunder geglückt, die mechanische Materie zu bezwingen und durch Ausnützung ihrer letzten Möglichkeiten ein künst¬ liches Gebilde zu schaffen, das künsti.rische Beseelung aus¬ strömt. Fritz Lang, der Regisseur, sol einmal Maler gewesen sein — und die malerische Linie bestimmt daher Art und Ge¬ staltung seiner Filme, ln den Nibelungen ist ihm ein Stil ge¬ glückt, dem noch niemals jemand nachstrebte. Es ist Film- Gotik, etwas durchaus Deutsches, das national gebunden und doch international wirksam sein dürfte. Lang ist der Richard Wagner des Filmes. Die „Nibelungen" ;ind eine künstlerische Offenbarung, für die kein Wort des Lobes zu groll ist. sie sind etwas ungeahnt Schönes, sie sind ein* Welt, wie Goethes Werke eine Welt sind, eine deutsche Welt, dem mittelalter¬ lichen Epos ein Nachgesang, der nunmehr zu uns spricht, als Übertragung der Gesänge in die hastige Sprache des Alltags. Denn die versunkene Vorzeit ersteh: hier in der Technik unserer Zeit, die sich beide zu einer Einheit verweißen, die unlöslich und daher auch ohne den harten Trennungsstrich zweier Zeiten ist. Wie Herr Walter haben auch wir im Ufa- Palast ein „mervel wuönder" gesehen — und sind still und beglückt nach Hause gegangen, denn Wunder, die außer uns liegen, erblühen nur ganz bisweilen. Thea von Harbou, die dichterische Mitarbeiterin Fritz Längs, hat dem Epos von der „Nibelunge Not" mehr Stoffliches ent¬ nommen als Hebbel und Wagner. Hebbels Prägung ist drama¬ tisch modern, cs glüht in der Weißglut der Kulissenwirkung, ohne dadurch den Wert einer Dichtung zu verlieren. Richard Wagners Musikdrama greift kühner auf nie heidnischen Sagen¬ kreise zurück; der Ring ist volkhaft gebunden, Götter und Helden sind aus einem Blute. Als der Dichter des Epos die Nibelungenzcilc niederschrieb, hatte die Götterdämmerung be¬ reits eingesetzt. Nicht mehr die Äsen beherrschten die Welt, sondern das Kreuz Christi erstrahlte am Firmament. Die Recken waren Ritter geworden, die von Wclsckland Kunde hatten, aber Nordland nicht vergessen konnten. Die Ver¬ schmelzung nordischer Sagenkreise mit den Erzählungen minnclicher Ritter ist im Epos nicht völlig geglückt. Der Film schließt sich hier lückenloser Zwar «st Siegfried anfangs gewandet wie ein Sprößling aus Fansolts Geschlecht, aber er gleitet dann schnell in die Sitte der Könige über, die am Rhein Siegfried, König Siegmunds Sohn aus Xarten. also erlernt das Schmiedehandwerk bei Mime, dem Schmied der Zwerge, der in der Steinhöhle haust. Er hört vrn Kriemhild, der minniglichen, beschließt, sie zu erringen, und gerät auf dem Wege nach Worms in einen Kampf mit A.berich, dem König der Nibelungen, den er besiegt, und der ihm den Nibelungen¬ schatz ausliefcrt. Siegfried hat außerdem das Abenteuer mit Fafnir. dem Drachen, zu bestehen, den er erschlägt und in dessen Blut er badet. Sobald er in Worms einzieht, wickeln sich die Ereignisse in jener Folge ab, die aus dem Epos bekannt sind. Er wirb: um Kriemhild, freit dem König Günther die Braut Brunhilcc, die reisige Königin von Ysenland, und wird zum Schluß von Hagen Trocje erstochen. Fritz Lang hat den Stoff weniger dramatisch als episch er¬ zählend gehalten. Er nennt seine Akte ..Gesänge", gibt ihnen aber die Rundung einer ahgelaufencn Episode. Die gotische Stilisierung geht weit und greift auch auf die Schauspielei über, ohne daß er ihnen Gebärden nach Cagliari-Art anerzöge. Die Komparserie ist zumeist starr gehalten, in der Bewegung mittelalterlicher Miniaturen, fast heraldisch im Aufbau. Das ergibt einen eigenartigen Stil, der mehr Rhythmus in sich trägt, als es Bewegung tun würde. Das Problem der ...Masse" ist hier auf eine originelle Art gelöst. Die Menge ist verschwunden und an ihre Stelle die Illusion getreten, sie sei da, während sie in Wirklichkeit nur angedeutet ist. Das Experiment ist rest¬ los geglückt, und keine andere Behandlung der Staffagefiguren wäre ähnlich imstande gewesen, den Eindruck mittelalterlicher Menschen hervorzurufen. Getragen wird der Rhythmus der Menschen vom Stil der Gewänder und Bauten. Sie sind nicht gotisch kopiert, sondern nordischen Motiven nachempfunden, von einer Reinheit der Linien, die die Kargheit und Strenge der Silhouette hat. iltrr von der vogdwfidf. Technische Tricks — man schreibt das Wort so leicht hin, ohne damit andeuten zu können, welche Summe von Arbeit darin steckt und welche Phantasieerfüllung sie bedeuten. Da ist ein¬ mal Fafnir, der Drache. Kritische Doktoren mögen vielleicht das Tier unter die Lupe nehmen und entdecken, daß es eigentlich kein richtiger Drache sei, sondern daß, wie im Löwen des „Sommernachtstraumes", ein Kerl dahinter stecke. Oder daß der Schuppenpanzer aus Papier oder Gummielastikum bestände. Wen, außer dem Konstrukteur, geniert das wenn die Illusion verblüffend echt ist, wenn das mechanische Spielzeug wie eine Vaucassonsche Ente säuft (ohne den Vaucassonschen Endeffekt), wenn es Feuer aus den Nüslarn stößt und schließlich stirbt wie ein Mensch, mit menschlichem Augcnaufschlag. Nie sah man Ähnliches, nie eine hervorragendere Überwindung des Apparates. Hundert Regisseure wären hieran gescheitert — dem einen glückte es. Und es glückte ihm nicht nur dies sondern auch da.- andere, das Waldwebcn, wenn durch die riesigen Eichenstämme das Sonnenlicht flirrt und sich im Gesträuch verfängt, wenn die Nebel über den Sümpfen brauen und im Gezweig Alberich, der König der Nibelungen, sein Trollwesen treibt. Wie bildhaft ist der Quell gemalt, an dem Siegfried den tödlichen Streich empfängt — im Sommer unter Blumen, im Winter unter der Decke des Eises. Oder die Nordlandsburg der Königin Brun- hild, über deren Türme die Nordlichter zucken und in das Schwarzweiß des Filmes eine Farbigkeit kommt, die man nie zu sehen erwartete. Oder die Illusion des Meeressl andes, an dem das Wikingerschiff landet, während die Wellen über das Gestein gischten — oder das Hochzeitsscluff, das langsam den Rhein herab gerudert wird — ein Modell —, von oben her geschickt in die Bildmitte eingeblendet. So ließen sich mannigfache Szenen erwähnen, etwa der Zwei¬ kampf Siegfrieds gegen Brunkild in der Tarnkappe, oder gar der Tod Siegfrieds, wenn der Zuschauer sieht, wie der Speer durch den Leib saust und der Held, zurüestaumelnd, den Schaft zerbricht. Hier schon gerät die malerische Szene in eine Ver¬ bindung mit dem schauspielerischen Element. Das ist nun Fritz Längs Stärke nicht so sehr. Er vermag in seinen Schauspielern nur ganz selten jene Spannung wachzu¬ rufen, die in den Filmen von Lubitsch und Grüne hervortritt. Aber bei allem Talent, das Lang als Regisseur auszeichnet, vermag er eine schauspielerische Leistung nicht abuzschälzen. Manchmal hat er eine glückliche Hand; so, als er die Rolle des Siegfried an Paul Richter gab, der sie strahlend und jungenhaft lustig spielte, der so recht der zwanzigjährige Jüngling des Epos war. Kaum geglückt ist ihm dagegen die Kriemhild der Marga¬ rete Schön. Gewiß, diese Frau hat die klassische Schönheit der Gotik, sie hat das Profil der germanischen Mädchen, aber ihre Gebärde war zu sehr auf nonnenhafte Sanftmut gestellt. Sie war eine Geheimrats- und keine Königstochter. Das schauspiele¬ rische Versagen machte sich am meisten in der Streitszene mit Brunhild bemerkbar. Hanna Ralph, die dieser nordischen Königin nicht nur die hünenmäßige Figur, sondern auch das brausende Temperament gab, kam zu keinem rechten Ausspielen. Statt schauspielerischer Höchstleistungen wurde ein kleiner matter Zank daraus, weil Fritz Lang hier leider in seinen Dar- stellcrinnen kein Feuer entzünden konnte, sondern r.ur ein Spiel auf den Treppen gab. Er wußte nicht, daß eine Kriemhild unter uns weilt: die Straub. Und er wußte auch nicht, daß wir einen Günther von heldischem Ausmaß haben konnten: Jannings. Theodor Loos war gefestigter als sonst, wenn auch moderner im Ausdruck, als es für diese Rolle angebracht war. Bleiben zwei Schauspielerlcistungcn, die das Mittelmaß überragten: Georg John und Hans Adalbert Schlettow. Georg John vervollständigte als Mime und Alberich die Reihe der seltsamen Gnomenfiguren, die nur ihm gelingen, und die vom Schauer des Unheimlichen umgeistert sind. Hans Adalbert Schlettow gab den grimmen Hagen als treuen Diener seines Herrn — eine geballte Leistung, die steil die Umgebung überragte. Kleinere Rollen wie Volker, die Norne wurden von Bernhard Götzke und Frieda Richard mit gewohntem Geschick dargestellt. Mit der Musik vermochte ich mich nicht zu befreunden. Man soll nicht an Wagner erinnern; ein Musikgenie gibt es nur alle hundert Jahre. Aber weshalb Hindemith-Kopistcn auf die ahnungslose Menschheit loslasscn? Unter den Mitarbeitern Längs haben es vor allen Dingen die Photographen Carl Hoffmann und Günther Rittau verdient, er wähnt zu werden. Was zum Lobe der Bilder gesagt wurde, gilt eigentlich ihnen, Ernst Ulitzsch. Die Nibelungen Uraufführung