Der Kinematograph (April 1924)

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Seite 14 t)ct Rincmatogropfi Nummer 894 Der Kongreß der Filmregisseure Aus Paris berichtet unser ständiger K irrespondent: In einer Zeit, in der sich die politischen Kongresse in der Welt nur so jagen und die lieblichsten Hatenorte sich den Wettrang der Kongreßstadt abzulaufen svehen. nimmt cs nicht wunder, daß auch die Filmregisseure Lust nach einer Aussprache empfinden. Mit manchmal mehr Recht als verschiedene Diplomaten wird sich der eine und der andere Filmregisseur einfinden, denn nicht wenigi von ihnen be¬ sitzen einen Einfluß auf die Menschen aller Kontinente (man denke an Griffith. Lubitsch. Cecil B. d Mille), dessen sich kein Diplomat rühmen kann. Nach monatelangen V'orarbeiten. die im geheimen statt fanden, hat Abel Gance. der berühmteste unter den fran¬ zösischen Regisseuren, endlich seinen Lieblingsplan, den Internationalen Kongreß der Filmregisseure, soweit unter Dach und Fach, daß er den Termin festsetv-n konnte. Es darf jetzt verraten werden, daß Abel Gance mit seiner Idee, dem Pariser Fabrikantenkongreß, der zumeist wirt¬ schaftliche Fragen behandelt hatte, einen Regisscurkongreß. der die künstlerische Weiterentwicklung des Filmes zum Thema haben soll, folgen zu lassen, begeisterte Zu¬ stimmung fand. Aber Abel Gance -war härte.-, als es sich seine Kollegen gedacht hatten. War bei dem Fabrikantc nkongreß der Ausschluß Deutschlands nicht beseitigt worden, trotzdem einige englische und neutrale Stimmen protestiert hatten, so wich Abel Gance nicht von seinem einmal gefaßten Plan ab. Ohne Deutschland kein Kongreß! Dieses Wort stellte er seinen Gegnern entgegen. Es oedurfte zäher Arbeit, um die Widerstände zu beseitigen, aber Abel Gance siegte! Abel Gance, der nur künstlerischen, niemals politischen Erwägungen in Filmfragen das Wort gestattet, wies in langen Ausführungen über den Wert des deutschen Filmes hin, wie er sich in einigen prominenten Regisseuren ver¬ körpert, deren Werke auch in Frankreich Anerkennung und Bewunderung gefunden hatten. Herr Gance bezeichnet'.- cs nicht nur als geistigen Stillstand, über den deutschen Film hinwegzugehen, sondern als absolutes Erfordernis eines Kongresses, eine Produktion zu berücksichtigen, der die W'cltkinemalographie vieles verdankt. Schließlich konnte man sich in Frarkreich seinen Ausführungen ni.-ht entziehen. Jetzt ist Karl Grüne anläßlich seines letzten Pariser Auf¬ enthaltes gebeten worden. Vorschläge für die Beteiligung von deutscher Seite zu machen und die Organisation für Deutschland durchzuführen. Pariser Filmprcmiercn Z wei Uhr dreißig Minuten. Schauplatz: Irgendein Kino auf den Boulevards oder den Champs-Elysees. Dis¬ krete Beleuchtung. Im Halbdunkel gleiten Schatten vor¬ bei. Die Einladungen, die zu der LIraufführung des neuen Meisterwerkes „Ungezählte Herzen" ergangen waren, trugen ausdrücklich den Hinweis; Öffnung der Saaltüren 2 Uhr präzise. Anfang der Vorführung präzise 2.30. 2.45. Die Lampen flammen allmählich auf. I-n Parkett, in den Logen, alles besetzt. Die Fächer befinden sich in lebhafter Bewegung. Die Zungen ebenfalls. Scherzworte und Bosheiten fliegen hinüber und herüber. 3 Uhr. Die Musiker tauchen in das Orchester hinab. Die Instrumente werden gestimmt. Die Flut der Kon¬ versationen nimmt zugleich mit der Temperatur immer mehr zu. Stimmengewirr. Lachen. Ausrufe. 3.15. Die Galerie fängt an zu murren. Spazierstöcke werden nach dem Takt, aber sonst recht taktlos aufge¬ schlagen. Die Wogen des Skandals überfluten das Orchester. Man brüllt. 3.30. Ein Geräusch in der Musikschlucht. Ein lang¬ samer Walzer ode» eine Opern-Ouvertüre übertönt all¬ mählich die Pr>4cstrufe. 3.45 (statt „präzise 2.30"). Die Lichter erlöschen all¬ mählich. Grabesnacht. Dann erscheinen auf der weißen Leinwandflächc die langersehnten Worte „Ungezählte Herzen", Film in 7 Akten von Schulze und Meyer. Fünf Minuten lang Listen der Namen sämtlicher Mitarbeiter vom Kulissenschieber aufwärts. Endlich . . . der erste Akt. Im Zuschauerraum absolute Stille. Nur im Orchester, wo die Musiker mit Kunst und Ausdauer Lully, Mozart, Massenet, Bruneau. Leoncavallo und ander,. Tonkünstler bearbeiten, leuchten die weißen Flecke der Partituren. 4.15. Die Freunde der Autoren geben vi n Zeit zu Zeit in regelmäßigen Abständen kleine Ausrufe der Bewunde¬ rung von sich, oder wagen sogar einen Applaus. Hie und da werden vertrauliche Mitteilungen ausgetauscht. Man tuschelt sich allerhand ins Ohr. Kurze Urteile, .ihne Be¬ rufungsinstanz, sind zu hören, wie „Mein Gott, ist das miserabel!“ ..Wo haben Sie das hergek-iegt?" ..Keine Handlung, kein Tempo, das ist ja zu stupide!" 5 Uhr. Der Höhepunkt naht. Im Orchester vermag nichts mehr die Begeisterung der großen Trommel und des Schlagzeugs, das verzweifelte Schluchzen der Geigen und die Leidenschaftlichkeit der Röten und Oboen einzu¬ dämmen. Mit einem Male wieder Licht! Bravorufe brechen los. wie ein wohltätiger La.ndregen nach einem Sturm. Die elegante Zuscha-.iermenge stürmt den Ausgängen zu. Ein allgemeines Gedränge, man er¬ drückt sich gegenseitig. Vor dem Ausgange stehen die Verfasser wie eine trauernde Familie vor dem Kre¬ matorium. Hände strecken sich ihnen entgegen, warme Glück wünsche werden laut. „Famos, mein Lieber!" „Glänzend!' „Ein wirklicher Schlager!" „Ein Vermögen ist Ihne*' ja sicher!" ..Ein sicherer Erfolg beim Publikum!" „Eir Schlauberger ist der. der Ihnen den Film abkauft!" — — — Draußen, auf der Straße, auffallender Um¬ schlag. Die strahlende Sonne dörrt den Ozean der Lobe^- hymnen aus. ..Nein, war das ein Schund!" — „Die Sach'- war geradezu katastrophal!" — „Keine Spur von Talent' —- ..Keine Idee!“ — „Und die Photographie, eine Affci schände!" — ..Das Publikum wird ja zischen!" — „Arm- Geldgeber!" 5.30. Ein Portier schließt apathisch die Türen, währen«! eine zähe kleine Gruppe vor dem Kino immer noch l‘•'h• haft bespricht, wie die Sache hätte gemacht werden müssen, wobei gleich der Film des nächsten Tages voraus heruntergerissen wird . . .