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Der Kinematograph (June 1924)

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Seile 12 Z*et Kmcmatogrnpf) Nummer 9C6 Die Kinoreklame im Stadtbild Von Ernst C oUi n. W ir Deutschen sind eigentlich roch immer ein reklamefrcmdcs Volk. Und dies, trotzdem wir eine hochstehende künstlerische Plakatrexlame entwickelt haben, trotzdem wir in Zeitungen und Zeitschriften eine Anzeigenkunst besitzen, trotzdem die gerade auf dem Gebiet der Reklame leicht vorkommenden Geschmack¬ losigkeiten immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurden. Aber reklamefreudig wie der Amerikaner und Engländer sind wir bei alledem nicht geworden. Die kolossal packende Lichtreklame amerikanischer und englischer Städte, die uns erst kürzlich in dem Film „London bei Nacht“ in fast atemberaubenden Bildern vor Augen geführt wurde, haben wir immer noch nicht, wir kennen in unseren Städten nicht die mi. großen schreien¬ den Plakaten bedeckten Fassaden oder Bretterwände, und auf unseren Eisenbahn- und Un'.ergrundbahnhöfen ist die Plakatreklame wohl abgezirkelt, architektonisch gut verteilt. Man vergleiche damit etwa die Reklame auf Londoner Stadtbahnhöfen, wo das Auge vor lauter Plakaten und Plakatchen nur mühsam den Namen der Stationen enträtseln kann. Ich will damit nicht sagen, daß die englische und amerikanische Reklame in dieser Beziehung vorbildlich ist. daß sie schöner ist als bei uns. Aber sic ist auf jeden Fall weit mehr in das öffentliche Leben gedrungen, hat sich in diese hineingefressen, sie ist aufrüttelnder, mit¬ reißender und somit — worauf es wohl ankommt — wirksamer. Und was wir dagegen zu bieten haben, mutet, mag cs noch so künstlerisch sein, in seiner Zag¬ haftigkeit. verglichen mit England und Amerika, oft wie eine der Fettaugen entbehrende Suppe an. Nicht zuletzt ein Grund für die Zurückhaltung des deutschen Reklamewesens für seine Ängstlichkeit bei aller Kühnheit des künstlerischen Ausdrucks ist — auch das muß einmal ausgesprochen werden — die noch immer nicht behobene Reklamefeindlichkeit der mit der Über¬ wachung des Reklamewesens betrauten Behörden. Die vor Jahren unter H nzuzichung von Fachleuten ge¬ gründeten Reklameausschüsse, die die Behörde beraten sollten, haben hier kaum Wandel geschaffen. Ich erinnere nur daran, wie vor etlichen Jahren das UT am Nollendorfpiatz seine Plakate entfernen mußte, die die Fassade von oben bis unten bedeckten. Auch heute wieder haben die an den Brennpunkten Berlins liegenden Kinotheater einen Kampf gegen die Polizeibehörde zu führen, wenn sie die Reklametrommel an ihren Häuser¬ wänden einmal etwas kräftiger rühren möchten. Immer wieder führt die Polizei ms Schild — wid dies auch, wenn ein Geschäftsmann seine Ladenfront etwas bunter be¬ malen. wenn er ein buntfarbiges Schild mit lebendiger Schrift anbringen will —, daß die Architektur des Hauses nicht beeinträchtigt, das Stadtbild nicht verun- schönt werden dürfen. Es wird natürlich schwer sein, eine hohe Behörde davon überzeugen zu können, daß das Stadtbild und die Fassade oft nur gewinnen können, wenn sie durch Plakate und Schriftschilder belebt werden. Daß in einer Zeit, in der der wirtschaftliche Existenzkampf so ungemein schwer ist, und die allein deshalb nicht jedes Wort und Bild oder jede Farbe ängstlich abwägen kann — daß allein aus diesem Grunde das Dogma abgestandener ästhetischer Forderungen doch um einiges erschüttert werden müsse. Daß es noch sehr fraglich ist, was den Augen des Gro߬ stadtmenschen von heute angenehmer erscheint: eine noch so schöne, aber kahle Front oder eine ihn fesselnde. ihn das Steinmeer der Großstadt vergessen lassende auf- munternde Plakatwand, v Nun braucht man nicht so weit zu gehen, um dafür cinzutreten, daß auf einmal alle Geister der Reklame losgelassen werden; wir brauchen durchaus nicht das Vorbild, New York und London sklavisch in jedem Punkte nachzuahmen. Eine Zurückhaltung wird schon dann geübt, wenn man die Forderung aufsteilt: Die Wer¬ bung an den Fronten unserer Kinohäuser solle sich der Architektur des Gebäudes anpassen. Daß dies möglich ist, und daß die Wirksamkeit der Werbung dadurch nicht verliert, beweisen — um ein Beispiel zu geben — d*e Kaminerlichtspiele am Potsdamer Platz mit ihren gelb- schwarzen Schriftschildcrn. die geschickt zwischen den Pfeilern angebracht sind. Auch an allen anderen Kino¬ häusern, die über eine geschmackvolle Architektur ver¬ fügen, läßt sich diese Einfügung von Plakaten oder Schriftschildern denken. Diese Unterordnung unter die Architektur kann zum Angelpunkt einer Werbung wer¬ den, die geschmackvol. bleibt, ohne irgendwie unscheinbar zu wirken. Und es sei bei dieser Gelegenheit gesagt, daß wir im Augenblick, sofern man die Plakate an den neuesten der maßgebenden Kinotheater Berlins be¬ trachtet, die in einer ausdrucksvollen Schritt liegenden Werbemöglichkeiten anscheinend vergessen naben. Es gab eine Zeit, da das Schriftplakat in Berlin nicht zum Schaden der Rcklamekunst führte. Der Kritiker, der für eine Ausdehnung der Kinoreklame an den großen Berliner Kinolheatern eine Lanze bricht, der die Behörden von ihrem allzu starren Kampf ab¬ bringen möchte, darf aber auf keinen Fall daran vorüber¬ gehen, daß die künstlerischen und geschmackvollen Wandplakate an den Kinohäusern augenblicklich nicht gerade sehr zahlreich sind. Im Gegenteil, ich habe in den jüngsten Tagen gerade in den sonst bcstgelcileten Theatern riesige Plakate gefunden, die an die schlimmsten Zeiten des Plakatkilsches erinnern. Das sind Plakate, die die Frage aufwerfen lassen, ob wir denn gar keine Plakatkünstler mehr haben, ob cs um die deutsche Plakatkunst wirklich so schlecht bestellt sei. Denn darüber muß man sich bei der Behandlung der ganzen Frage von vornherein klar sein: Ein Plakat unter vielen an einer Litfaßsäule kann übersehen werden, und wenn es häßlich ist, so verunziert es nicht viel mehr als den Fleck, den es bedeckt; die es umgebenen Plakate werden, sofern sie schön sind, über die Unschönheit des einen hinwegtrösten. Aber das Plakat an einem Kino¬ haus, das an einem der großen Berliner Plätze oder in einer der Hauptverkehrsstraßen gelegen ist, ist eine An¬ gelegenheit, die nicht nur das Unternehmen angeht, son¬ dern die Tausende und aber Tausende, die hier täglich vorübereilen, die es sehen müssen, ob sie wollen oder nicht. Und daß ein unschönes Plakat seiner ganzen Umgebung ein Schandfleck ist, darüber braucht man nicht erst zu diskutieren. Die Kinoreklame ist während der Kriegsjahrc und auch in den Inflationsjahren — als die Warenreklame immer mehr zurücktrat — ziemlich allein die Schildhalterin der deutschen Plakatkunst gewesen. Sie sollten sich dessen bewußt bleiben in einem Augenblick, da der Zeitgeist auch in Deutschland auf immer neue Rcklamemöglich- keiten drängt, da sie darauf angewiesen ist. sich auch nach außen hin eine breitere Werbebasis zu schaffen. Unser Kampf für eine von allen Fesseln freie Kinoreklame innerhalb des großstädtischen Bildes kann nur der guten und künstlerischen Kinoreklame gewidmet sein.