Der Kinematograph (January 1925)

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Seite 36 KincmntoarapA Nummer 936 Der Münchener Siadlrai schafft die Kultur ab Allerhand Neuigkeiten aus Film-Bayern. I n München g.bt es wieder allerhand schöne Neuigkeiten. die leider beweisen, daß die große Filmfreundlichkeit und das große Filmverständnis. das man bisher gerade in dei bayerischen Hauptstadt zeigte, sich langsam ns Gegenteil verwandeln. Da ist zunächst einmal ein interessanter Zensurfall, der schon aus prinzipiellen Gründen eingehend erörtert werden muß Die Münchener Polizei hat die Vorführung eires Aufklärungsfilms über Geschlechtskrankheiten verboten, der durch die amtliche österreichische Filmstelle he-- gcstcllt und von der deutschen Filmoberprüfstelle auch ohne Vortrag sogar vor Jugendlichen erlaubt ist. Der Magistrat München hat den Film zunächst sogar auf Grund der Tatsache, daß ihn die Oberprüfstelle mit einer rosa Zensurkarte ausstellte, mit Steuerermäßigung ansgestatlet Aber die Polizei in München ist anderer Ansicht. Sie hat sozusagen par ordre de mufti festgestellt, daß die öffent¬ liche Ordnung und Sicherheit gestört werden könnte und daß man deshalb die Entscheidung über den Berufungs¬ antrag nicht abwarten könnte. Den Beweis dafür hat sie nicht angetreten. Es sollen in ein oder zv'ei Fällen Ohn¬ machtsanfälle im Kinotheater vorgekommer. sein und hier und da Tfeaterbesucher unter Protest den Saal verlassen haben. ln Wirklichkeit aber ist man beleidigt über eine Mün¬ chener Seucf enstatistik, die unseres Erachtens erst recht den Beweis dafür erbringt, daß die Vorführung des Films gerade in München besonders notwendig ist. In Breslau hat der Kommandeur der Reichswehr sämt¬ liche Truppenteile der Stadt geschlossen zu der Veranstal¬ tung führen müssen, und in vielen Orten Deutschlands und :n ganz Österreich hat man die Schulen, se’bstverständlich nur die oberen Klassen, mit dem Film bekanntgemacht. M.-.n hat behauptet, ein Teil der Aufnahmen wirke ekelhaft. Das liegt nun einmal in der Natur der Dinge und ist auch gut. weil gerade aus diesem Ekel jener Abscheu hervor¬ wächst. Her zur Zurückhaltung und vor allem zur Vor¬ sicht führt. Gewisse antisemitische Tendenzen haben außer¬ dem noch mitgesprochen. Und zwar war es für einige Münchener und auch für einen Artikelschreiber in einer Münchener Zeitung ein Stein des Anstoßes, daß der Arzt, der die Salvarsan-Injektion ausführt, ein Jude ist. Ganz abgesehen davon, daß die Wirkung des Salvarsans nicht von der Konfession, sondern von der Geschicklichkeit des Arztes abhängt, ist gerade die führende Rolle der Juden in der medizinischen Wissenschaft unbestritten, so daß men sich an den Kopf fassen muß, wie die Münchener Polizei auf derartige Argumente hin den Mut hat, ein Ver¬ bot zu erlassen, zu dem sie weder berechtigt noch im¬ stande ist, was im Paragraphen vier des Reichslichtspiel- gesetzes genau nachzulesen ist Wir können der betrof¬ fenen Firma nur raten, sofort Ait Beschwerden und Klagen bei der zuständigen Stelle vorzugehen und schon jetzt die Münchener Polizeidirektion darauf hinzuweisen und sic auf die Ungesetzlichkeit des Vorgehens aufmerksam zu machen, um eventuell nachher im zivilrechtlichen Verfah¬ ren ihren Schaden einzuklagen. Aber wie will man in einer Stadt Verständnis für den Kulturfilm finden, die die Kultur gewissermaßen ab¬ schafft? Bekanntlich ist für die Feststellung des Kultur¬ wertes eines Films eine besondere Stelle geschaffen, die Prüfungen in Berlin und in München vornimmt. Das ge¬ nügt aber den Herren vom Münchener Magistrat nicht, und sie lieben sich den Film noch einmal vorführen. Hier¬ gegen hat sich der zuständige Verband der Lichtspiel¬ theaterbesitzer gewandt und darauf aufmerksam gemacht, daß diese erneute Vorführung schon aus dem Grunde ein Unding ist, weil ja die Herren vom Magistrat vom K iltur- wert eines Films nicht halb so viel verstünden wie die be¬ sonders ausgesuchten Zensoren der staatlichen Prüfstelle. Dieser berechtigte Zweifel in ihre Sachkenntnis in diesen besonderen und meist komplizierten Fällen hat nun dazu geführt, daß man erklärt hat, für den Münchener Magistrat gäbe es überhaupt keine Kulturfilme mehr, also auch keine Steuerermäßigung, insbesondere aber nicht für die Mit¬ glieder des Verbandes Bayerischer Lichtspieltheater - besitzer. Man könnte auch diese Sache nicht auf sich beruhen lassen und müßte sich bei der Aufsichtsbehörde des Münchener Magistrats beschweren, wenn nicht inzwischen ein besonderer Filmdezernent eingesetzt werden wäre, und zwar Herr Stadtrat Schillings, der sch an seit längerem mit den maßgebenden Kreisen der Industrie Verbindung hat und dem man nicht nur Sachkenntnis, sondern auch weit¬ gehendes Verständnis für die Bedürfnisse der Industrie zu¬ traut. Man hofft zuversichtlich, daß es durch Vermittlung des Münchener Filmdezernenten beim Magistrat gelingen wird, eine Versöhnung herbeizuführen, zu der der Filmball, der am 15. Februar im Deutschen Theater stattfindet, aie beste Gelegenheit gibt. Im Mittelpunkt dieses Festes, das sich seinen festen Platz im Münchener Gesellschaftsleber, erobert hat, steht ein Festspiel, das diesmal „Das Münche¬ ner Mädel und der Teufel" heißt Den Vorsitz des Fest¬ ausschusses hat Wilhelm Sensburg übernommen. Ihm ge¬ hören außerdem die Herren Jusitzrat Dr. Rosenthal, Kom¬ merzienrat Krauß. Direktor Peter Ostermayr, Oberstleut¬ nant a. D. Knoll an. Prominente Münchener Journalisten, unter anderem unser Korrespondent Dr. Wolfgang Martini, wirken im Propagandaausschuß mit. Es gibt eine Fest¬ zeitung und die üblichen anderen Münchener Überraschun¬ gen. Man kann auf einen fröhlichen Verlauf rechnen, nachdem die letzten Differenzen, die in der Münchener Industrie in der Filmklubfrage schweben, durch die Wah¬ len bei der letzten Generalversammlung ausgeglichen sind. Bei der Vorstandswahl wählte man Herrn Wilhelm Sens- berg zum ersten Vorsitzenden. Sein Vertreter ist Herr Seitz, Beisitzer die Herren Kommerzienrat Wilhelm Krauß und Regisseur J. Stöckel. Herr A. Behrmann übernahm das Amt des Kassierers, und Herr Fritz Ehmer wurde Schriftführer. Wirtschaftspolitisch interessiert noch die Entwicklung bei der Bavaria, bei der Wagowski jetzt sein Amt nieder¬ gelegt hat und vorläufig durch den Direktor Strauß von der Bayerischen ersetzt wird. Die verschiedenen Sanie¬ rungsversuche scheinen nicht geglückt zu sein. Es ist so¬ gar zur Versteigerung einiger Einrichtungs- und Ge¬ brauchsgegenstände gekommen. Es wäre außerordentlich bedauerlich, wenn dies Unter¬ nehmen, dem wir eine Reihe ausgezeichneter Filme ver¬ danken ein so rühmloses Ende finden würde. Warum diese Firma nicht reüssieren konnte, ist ziemlich unklar. S : e hatte an der Bayerischen eine außerordentliche Stütze, erklärte, über ausgezeichnete Auslandsbeziehungen zu ver¬ fügen. Wenn wir auf diese Gründe noch einmal zurück- k cm men wollen, so geschieht es nicht aus Neugier, sondern weil es in einer so kritischen Zeit wie der jetzigen einfach notwendig ist. für derartige Erscheinungen eine Erklärung zu suchen.