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Seite 8 ftmcmatograpt) Nummer 96 3 Das Gesicht des kinofeindlichen Richters soll nicht sehr geistreich ausgesehen haben. Wer die Abneigung kennt, die noch in vielen Redaktio¬ nen unserer Provinz gegen den Film herrscht, ist aufrich¬ tig erfreut, daß ein Blatt von dem Einfli ß des „Fränki¬ schen Kuriers" sich dazu verstand, seine Spalten dieser sehr wichtigen Beichte eines reuevollen Gestrauchelten zu öffnen. Fs zeugt aber anderseits auch für die Aufrichtig¬ keit des jungen Menschen, daß er von der moralischen Wirkung des Kinos auf sein Gemüt ber chtete. Leider sind die Bekenntnisse schöner Seelen, die wir in Moabit und sonstwie gewöhnlich zu hören bekommen, auf einen anderen Ton abgestimmt. Sie spielen mit Vorliebe die verfolgte Unschuld und legen gern die doch ziemlich ab¬ gespielte Grammophonplatte von ihrer Verderbnis durch das Kino den Richtern vor. da sie genau wissen, daß dies hindruck macht, weil in juristischen Kreisen vielfach noch der Glaube der Inferiorität des Kinos herrscht. Fs ist gewiß kein Zufall, daß sich die jungen Ver¬ brecher vor 15 Jahren mit Vorliebe als Opfer der soge¬ nannten Schundlektüre hinstellten. Seitdem die Kolpor¬ tage vom Buchmarkt verschwunden ist. weil die heutige Generation nicht mehr so lesefreundlich ist als die vorige, wird dieser Einfluß nicht mehr behauptet. Der vorher¬ gehende Satz muß überdies dahin korrigiert werden, daß cs eine Kolportage in Winkelbuchhandlungen noch gibt, und wer sie sucht, findet sie auch; die jugendlichen Ver¬ brecher dürften zudem keine andere Lektüre kennen. Aber weil sie dem Anblick der Gebildeten entzogen ist, würde die Behauptung einer kriminellen Infizierung durch die Kolportagelektüre in den Gerichtssälen nicht mehr wirksam sein. Die Verbre¬ cher haben eine feine Witte¬ rung für die Moden, denen der Entschuldigungsgrund, wie man sieht, ebenfalls un¬ terliegt. Und weil heute das Kino herrscht und vielen Kreisen noch ein Dorn im Auge ist, so bringen sie obige Entschuldigung vor, die lei¬ der nicht nur geglaubt, son¬ dern als erschreckendes Exempel auch noch von sonst ganz vernünftigen Menschen geglaubt und im Kampf gegen das Kino benutzt wird. Hiermit soll keineswegs der Filmindustrc die Tugend¬ rose überreicht, sondern nur festgestellt werden, daß sich an ihr dunkle FJemente rei¬ ben, weil die Öffentlichkeit dann glaubt, sie seien weiß gewesen, ehe sie das Kino kennenkmten. Wir möchten sehr gern be¬ haupten, die Filmindustrie sei eine morali¬ sche Anstalt, und in erfreu¬ lich vieienFäl- len trifft dies auch zu. Aber der Blick über die kommen¬ de Produktion sieht doch einige der berühmten dunklen Punkte, und auf eine Anzahl kommender Filme wird, wenn sie auch nur einigermaßen dem Titel entsprechen, das ..non ölet" kaum zutreffen. Was wir in den letzten Wochen erlebten, war mitunter recht entmutigend. Nie¬ mand hat die Filmindustrie beauftragt, die Methoden des Herrn Ziegfeid und der Pariser Revuen auf den Film zu übertragen und ihn zu einem Celly-de-Rheydt-Stall zu machen. Man mag entschuldigen, daß diese Worte hier stehen müssen, aber es ist nich: Schuld der Presse, wenn sich die Spekulanten in Nuditäten die Ohren mit Watte verstopfen und dann so tun. as hörten sie nichts. Gewiß ist der Sittenfilm heute eine Allcrweltsseuche. Der „Kinematograph" hat zuerst in einem Artikel, dem bezeichnende, aber doch immerhin harmlose Bilder bei¬ gegeben waren, „Das Ende des Puritanismus", auf die moralische Wandlung in Amerika hingewiesen; und die neueste Amerikaproduktion, die wir sehen konnten, über¬ traf unsere Voraussagen noch. Wenn wir heute die ame¬ rikanischen Filmmagazine aufschlagen. so begegnen w:r mit dem größten Erstaunen Photographien, die in Deutsch¬ land unmöglich wären. Wir sehen da bekannte Film¬ stars. die mit kaum mehr als ihrer Unschuld bekleidet sind und durch raffinierte Beleuchtung eigentlich gar keinen Zweifel über ihren Akt aufkommen lassen. Wir würden uns hübscl bedanken, wenn man uns diese Bilder zur Repr.»duktion ver¬ legte. Aber wir möchten uns auch dafür bedanken, daß mit den Stoffen in den Fil¬ men so sparsam umgegangen wird. Es ist durchaus nicht notwendig, daß dem Beispiel der Filmautor! n, die ja ewig unter Stoffmangel leiden, nun auch die Schneider fol¬ gen. Als die amerikanische Filmschauspielerin Betty Blythe von Beduinen geraubt worden war, schrieb eine New Yorker Zeitung iro¬ nisch*: „Hoffentlich sind die Wüstensöhne nicht so grau¬ sam, Miß Blythe zu zwingen, außer ihren Perlenketten auch noch andere Kleidung zu tragen." Nun. unsere Zensur hat in den Filmen, deren Hauptrolle von Fräulein Blythe darge¬ stellt wurde, große Schnitte gemacht. Wir wollen nicht nach der Zensur rufen, denn wir sind immer noch der Meinung, daß die Filmindu strie aus sich den biologi¬ schen Prozeß der Gesundung vollzieht. Aber wir hoffen jetzt drin¬ gend, daß die Spitzenorgani- sation einmal Ernst macht Daß sie den sanften Staub Wedel in einen Staupbescr verwandelt und ener gisch auskehrt. Sit besitzt viel mehr Macht, als sie selber weiß; und diese wende sie endlich an.