Der Kinematograph (September 1925)

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Nummer 969 &tnrmatO0rnpft Seite 15 Im Zeichen der Großhirne Von unserem New-Yorker Korrespondenten R e i n h o 1 d H. Hirsch hariie Chaplins „Gold Rush“, der Paramount-Film „Der Wanderer“ und der Ufa-Film „Siegfried“ . . . drei Großfilme in einer Woche, drei Großfilme und zwei große Enttäuschungen. Im „Gold Rush“ tritt der berühmte Charlie Chaplin in doppelter Eigenschaft, als sentimentaler Komiker und als Spielleiter, vor das Publikum, und er hat in beiden Eigen¬ schaften die durch eine übertriebene Vorreklame hochge tri ebe D e n Erwartungen nicht erfüllt. Zwischen den Tagen seiner Erfolge ais Komiker und der Gegenwart stehen Harold Lloyd und Raymond Griffith, die mit vornehmeren, natürlicheren Mitteln tiefere Wirkungen erzielen; der Ge¬ schmack des Publikums hat sich gewandelt, hat sich von der Komik dem Humor zugewendet — und Charlk* Chaplin ist. diese Wandlung nicht erwägend, derselbe* gro¬ teske Clown geblieben: er kommt in seinem neuen Film genau als derselbe, der er vor zehn Jahren gewesen. E r ist in Maske (Hütchen, Stückchen, Bärtchen und über¬ großen Latschen), ist auch in seinen Späßen und Witzen derselbe Charlie Chaplin, der er immer und jedesmal war. Nur in seinem „Kid“ hat er den Weg zu höherer und edlerer Kunst einge¬ schlagen. deshalb durfte man von ihm in seinem neuen Film einen Fortschritt auf diesem Wege er¬ warten . . . Charlie ist rückfällig geworden — das Publikum ist vor¬ wärts. er ist rückwärts gegangen. „Gold Rush“ ist die Geschichte eines Vagabunden (Chaplin), der, Goldfieber des Jahres 18% er¬ griffen, nach dem Klondyke wan¬ dert und dort die unglaublichsten Abenteuer erlebt. Mitten in diesem Leben der furchtbarsten Entbehrun¬ gen und Strapazen, mitten unter diesen rastlosen, schwer arbeitenden Menschen bleibt Charlie der Vaga¬ bund; er verliebt sich in eines der Mädchen, die als professionelle Tänzerin und Animiermädchen in den großen Tanzhallen ihr zweifel¬ haftes Gewerbe treiben, und läßt sich von ihr an der Nase herumfüh¬ ren. Er dient einem Goldsucher, der durch einen Schlag auf den Kopf das Erinnerungsvermögen ver¬ loren hat, als Wegweiser nach sei¬ ner verlorenen Goldmine, wird, von dem dankbaren Manne zum Mit¬ besitzer der Mine gemacht. Multi¬ millionär und heiratet das Tanz¬ mädchen. Dem Chaplin-Film fehlt im ein¬ zelnen wie im ganzen die Überzeu¬ gungskraft; man glaubt dem Vaga¬ bunden nicht seinen Humor, nicht seine Widerstandskraft in dieser brutalen Wirklichkeit; man glaubt dem Goldsucher nicht seine Frei¬ gebigkeit; man glaubt weder dem Vagabunden noch dem Tanzmädel die Liebe. Man glaubt der Natur auch nicht ihre Echtheit ... Es sind zu viele Atelieraufnahmen und gemalte Dekorationen verwendet, die unschwn als solche zu erkennen sind: man glaubt diesen Klondykern nicht ihre Bodenständigkeit . . Schauspieler, die als Goldsucher maskiert sind — man glaubt die ganze Klondykegeschichte nicht, und Chaplin hatte gerade die Echtheit seines Films gerühmt. Dazu kommt, daß der Film übermäßig in die Länge ge¬ zogen ist und langweilig wird, da die Handlung schnecken¬ gleich dahinkriecht und Chaplin in seinen Späßen nichts Neues bringt. Gelegentlich (und das ist allerdings neu bei ihm) wartet er mit L T nappetitlichkeiten auf. die nicht ko¬ misch, sondern abstoßend wirken. Das Publikum strömte in Scharen zu dem Film; es kam in der Überzeugung und mit der festen Absicht, von Herzen lachen zu können ... es hatte dazu, trotz eifrigen Be¬ mühens und fortgesetzter Versuche, keine Gelegenheit Charlie Chaplin hat im „Gold Rush“ weder als Darsteller noch als Spielleiter seine MeisUrleistung im „Kid“ erreicht, und na^h der jahrelangen R.ihtpauv durfte man erw > daß er sein Meisterwerk übertreffen wurde • Für ihren Kolossalfilm 1925-26 hat d e Paramount ein biblisches Thema gewählt: „Der W'anderer ist die Geschichte vom verlorenen Sohn, wie sie der Evangelist Lukas im fünfzehnten Kapitel in zwanzig Versen erzählt; was man da in zehn Minuten lesen kann, streckt die Pa¬ ramount über zwei Stunden aus Wilheim Schmidtbonn hat diese Gesch chte zu einem Drama ver¬ arbeitet, der Engländer Maurice V. Samuels hat dieses Drama für die englische Bühne bearbeitet und Morris Gest (Max Reinhardts ame rikanischer Kompagnon) hat das Stück vor acht Jahren gespielt. Nun glaubt die Paramount mit der Ver¬ filmung einen Erfolg erzielen zu können sie hat sich diesen Glauben ein Vermögen kosten lassen und der „Verbirene Sohn“ ist — eine verlorene Spekulation. Die Paramount hat sich den Er¬ folg selbst verdorben, und zwar durch ihre „Zehn Gebote“; es war ein Mißgr ff, nach diesem zur Hälfte biblischer Großfilm abermals mit einem biblischen Stoffe zu kommen Das Verlangen des Publikums nach Unterhaltung biblischen Ursprungs ist vorläufig reichlich befriedigt, es sei denn daß man diese ßibel- geschichten in einer neuen, eigen¬ artigen Form vorsetzen würde. Im „Wanderer“ ist nichts neu, nichts eigenartig. Straßenleben in der vor¬ geschichtlichen Zeit, intime Verfüh¬ rungskünste, die offenbar zeitlos sind, Orgien, Sündenfall. Palast- einsturz, Massenszenen, pomphafte Aufzüge — es ist, um mit dem Alt- testamentaner Akiba zu reden, alles schon dagewesen. Es ist alles Florcncc V.dor in »Der Mann, die Frau, der Freund*