Der Kinematograph (February 1928)

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Nummer 1096 Seite I Von unserem ständigen B. C F. -K orrespondenten. ie aufsehenerregendsten Ereignisse jagten einander während der beiden letzten Wochen in Großbritan¬ nien. Die Erstaufführung von Anthony Asquiths ..Fallende Sterne", die neueste Fassung von „Onkel Toms Hütte", der Ankauf einer deutschen Kinotheaterkette durch die International Pictures, der Plan der Verfilmung von f.awrences „Revolte in der Wüste" und schließlich die Intervention des deutschen Botschafters und der Brief von Chamberlain über den .Schwester-Caveir'-Film. Der Film „Shooting Stars" (Fallende Sterne), der seine Erstaufführung am „Plaza Theater" er¬ lebte, ist die bisher beste britische Produktion. Die Handlung ist gut. die Sa¬ tire fein und kultiviert, die Photographie strebt den besten deutschen Vorbildern nach. Der Film hat Eigenart und echt britische vornehme Reserve. Wir haben über die Produktion seinerzeit schon berichtet und kön¬ nen nur nachhoien. daß die Aufnahme seitens des Publikums glänzend war. Am Pavillion Theater, das C. B. Cochran. dem sogenannten englischen Reinhardt, gehört, wurde ein Versuch gemacht, der iie vollste Anwendung des Wechselprinzips darstellt. Der gute und den Roman in vielen Beziehungen iibertreffende Film „On¬ kel Toms Hütte” wurde nämlich im Rahmen so vieler Bühnennummern zur Aufführung gebracht, daß der ganze Ver¬ such als die erste „Kinorevue" bezeichnet werden muß. Ein Ensemble der fähigsten Ncgerkünstler. -tänzer und -sänger war von dem Londoner Stab Lacmmies zu¬ sammengestellt worden, und die Aufführung hatte ein politisch-festliches Gepräge. Zu der Art. in der der Film mit den Bühnendarbietungen verbunden wurde, diene ein Beispiel: Vor dem Bilde, das das amerikanische Kongre߬ gebäude und den Beginn des Bürgerkrieges in den Staa- >en zeigt, dunkelt der Film ab und die licht werdende Bühne zeigt eine großartig ausgestattete Szene auf einer Raumwollplantage. Ein starker Chor von Negersängern und -Sängerinnen, begleitet vom Orchester, singt die tner sehr beliebten religiösen und nationalen Negerliedcr. Bann erscheint im Hintergrund der Bühne Abraham Lin- '“ln, dargestellt von einem der besten britischen Rezita- loren. und spricht die historische Kongreßrede: „Ein Par¬ lament, das gegen sich selbst uneinig steht . . Dann 'erschwindet diese Vision des Befreiungspräsidenten, und fahrend die baumwollpflückenden Neger ihr Lied been- den, dunkelt die Bühne ab. und der Film erscheint wieder Ul >d bringt die natürliche Fortsetzung der Bühnenszene. Die Aufnahme seitens des englischen Publikums war en¬ thusiastisch und die Wirkung nachhaltiger, als man es sonst bisher bei irgendeinem Film erfahren hat. Das Buch „Revolt in the Desert" von Oberst Lawrence, das vor zwei Jahren Aufsehen erregte und in 14 euro¬ päische Sprachen übersetzt wurde, ist von Collingwood Hughes zur Verfilmung erworben worden und M. A. We- therell, einer der begabtesten britischen Regisseure, der „Robinson Crusoe", die „Somme" und ..Livingstone' ge¬ dreht hat, mit der Pro¬ duktion betraut worden. „Die Revolte in der Wüste" wird nicht nur auf Grundlage des Buches, sondern auch mit Hilfe der Informationen eines Privatdruckes „Die sieben Säulen der Wc ; sheit". von dem eine Kopie unlängst um X' 600 versteigert wur¬ de. gefilmt wc-den. Man sieht diesem neuen briti¬ schen Versuch mit grö߬ tem Interesse entgegen, da das Material — die großartigen Erlebnisse und Entdeckungen des britischen Oberst Law rence. det zum König von Arabien gekrönt w urde die raffiniertesten Mög¬ lichkeiten bietet. Doch den Gipfelpunkt aller gegenwärtigen Dis¬ kussionen in der Filmwelt bildet der Brief des Außenministers an Her¬ bert Wilcox, den Regis¬ seur von „Nurse Cavell". Nach dem Proteste der deutschen Botschaft gegen die öffentliche Aufführung des Filmes war zwar offi¬ ziell geantwortet worden, daß die Regierung nicht den geringsten Einfluß auf den Ccnsurre Board habe. In GroEbi itannien wird nämlich, wie wir seinerzeit ausführ¬ lich auseinandergesetzt haben, die Zensur aller Filme von einem Komitee (unter T. P. O’Connor, dem berühmten Schriftsteller und ältesten Abgeordneten), das von der Industrie bezahlt wird, ausgeübt: und die Gesetze küm¬ mern sich um Filme überhaupt nicht. Doch Sir Austen Chamberlain sandte einen Brief an Herbert Wilcox, der ihn zu einer privaten Aufführung eingeladen hatte, in dem er die Verfilmung in den schärf¬ sten Ausdrücken verurteilt und erklärt, er würde sich niemals einen derartigen Film ansehen wollen, selbst wenn er noch so künstlerisch inszeniert wäre. Wilcox bat übrigens auch die Dreistigkeit gehabt, dem höchsten Rat des Völkerbundes vorzuschlagen, den Film bei der nächsten Session in Genf aufführen zu lassen. Da Cham¬ berlain heute, wie wir soeben erfahren, eine private Un¬ terredung mit O'Connor wegen des Filmes haber wird, ist anzunehmen, daß Wilcox eine sehr ungemütliche Warleperiode bis zum Verkünden der Entscheidung des Ccnsurre Board durchmachen wird. Das Verbot würde der¬ artigen Spekulanten den Mut zu ähnlichen Geschäften nehmen.