Der Kinematograph (January 1929)

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Nummer 10 K intmotogrnpf) Seite TONFILM RUNDSCHAU Der Sprechiilm eine Schicksalsfrage des Kinotheaters Wir «•rhall**n narb»i«*ti<*ti'irn Aubali von d*m bekanuten der b. K. G. Herrn Gehcinirat I»r. Carl Fo-rh. worin er als K t. lerliniker «um S|»i erhfilut StHliinir nimmt. Be» der auUerordentlicben Aktualität tlifsr» l*ri Mrms M'licinrn uns alle An^dnaiult-r-* -■ I r*»miiieiiter IVrooulirhkrit' n mit den in Kraxe kommenden Fragen de* Interesses der Branrhekrcisc sicher. 1>ic srhriftleitung. | äuscht nicht alles, so werden wir in absehbarer Zeit i den Tonfilm haben. Nach langem, langem Kampf, nachdem ungezählte Kapitalien auf gescheiterte Versuche aufgewendet wurden und eine Unsumme von Intelligenz und Arbeitskraft von Technikern aller Länder für die Lösung eingesetzt wurde; die mc isten von ihnen werden grollend zur Seite stehen müssen, wenn die wenigen glück¬ lichen das Rennen machen. Nur wer die geschichtliche Entwicklung der Kinotechnik zu verfolgen Gelegenheit hatte, kann wissen, wie dornenvoll und oft über Umwege führend auch hier der Weg war, der zum Ziele führte. Wenn wir aber den Ton- oder Sprechfiln haben, dann müssen wir alle umlernen. Nicht nur der Verfasser des Drehbuches, der Regisseur und der Aufnahmeleiter, son¬ dern auch der Zuschauer; denn der Sprechfi m wird etwas ganz anderes sein, als es der stumme F lm war und sein mußte. Der Sprechfilm wird sich nicht v >n dem Film abzweigen lassen, den wir heute haben, s indem von dem Film, der vor etwa IS bis 20 Jahren war. Er wird und muß sich der Darstellung der Sprechbühne, d. h. des nor¬ malen Theaters, anschließen. Der heutige Film ist eine in eine Unzahl kleinster Splitter zerhackte Handlung, bei der wir durch lauter kleine Teilchen in atemloser Hast hindurchgejagt werden. Versuchen Sie doch einmal, bitte, mit der Uhr in der Hand festzustellen, wie lange eine Szene im modernen Film dauert, alle wie viel Sekunden ein Szenenwechsel dem andern folgt, und Sie werden erkennen, daß sich diese Filmgattung überhaupt nicht mit dem Sprechfilm vereinbaren läßt. Ob es wirklich notwendig war. den stummen Film in dieser Richtung ausarten zu lassen, ist eine Frage für sich. Eine derart aufgelöste Handlung läßt sich überhaupt nicht mit einem einigermaßen vernünftig gesprochenen Text begleiten. Zur Aufnahme des gesprochenen Wortes haben wir Zeit notwendig und diese läßt uns der heutige Film nicht. Der Sprechfilm wird uns wieder eine langsam dahinfließende Handlung bieten müssen oder er wird zur Farce. Es wird also dem Sprechfilm nichts anderes übrig bleiben als zum kinematographisch aufgenommenen und wedergegebenen richtigen Theater zu werden und all die üblen Gewohnheiten abzulegen, die der stumme Film leider nun einmal angenommen hat. Der Sprechfilm wird auf vieles verzichten müssen, zu dem der stumme Film greifen mußte, um zu wirken. Dazu gehören auch die Großaufnahmen. Da beim stummen Film alles auf das Äußere der Handlung eingestellt sein mußte, war er gezwungen, in vielen Fällen nur durch die Mimik zu wirken; so kam er zur Großaufnahme. Beim stummen Film konnten wir sie hinnehmen, denn solange die Sprache fehlte, waren die Riesenabmessungen erträg¬ lich. Sie hören aber auf, es zu sein, sobald diese Riesen anfangen werden, zu uns zu sprechen. Dann müssen sie wieder zu Menschen von der Größe werden, der wir auf der Straße oder überall sonst im täglichen Leben begegnen. Der Sprechfilm wird deshalb etwas grundsätzlich an¬ deres sein als der stumme Film es heute ist. Er wird sich der Sprechbühne angleichen, wenn ihm ja auch trotzdem Mittel zur Verfügung stehen, die der Sprechbühnc versagt bleiben müssen. Denn den notwendigen Szenenwechsel, dessen ja die Sprechbühne auch nicht entbehren kann wird er nach wie vor wesentlich leichter bewerkstelligen können als jene. Mit dem Angleichen an die Sprechbühne und mit dem notgedrungen einlretenden Verzicht auf die Hast des ewigen Szenenwechsels wird aber kr Sprechfilm zweifellos vieles von der Eigenart des stummen Filmes verlieren. Es wirft sich nun die Frage auf, ob nicht gerade diese Eigenart der Anreiz ist, der heute weite Kreise der modernen Welt dazu veranlaßt, das Filmtheater aufzusuchen und der Sprechbühne fern zu bleiben. Es läßt sich sehr wohl denken, daß das aufpeitschendc Tempo, in dem heute die Handlung auf dem Bildschirm an uns vorbeirast, gerade das ist, was der Großstadtmensch für seine Nerven braucht oder wenigstens zu brauchen glaubt. Sollte es dann nicht etwa so kommen, wenn die Handlung auf dem Bildschirm ebenso verläuft und die Sprache von dort her ebenso klingt, wie wir es auf der Sprechbühne sehen und hören können, daß dann viele dem Kinotheater fern bleiben und wieder zur Sprechbühne zu¬ rückkehren? Mögen auch für viele die Preise, die das Sprechtheater fordern muß. dazu beitragen, in das Kino¬ theater zu gehen, weil ihre Kasse es ihnen nicht anders erlaubt. Bei einem großen Teil der Zuschauer trifft dies aber zweifellos nicht zu. Sie gehen vielmehr zum Film, weil dieser eben etwas anderes ist als die Sprechbühnc und sie gerade dieses andere suchen. So drängt sich denn die ernste Frage auf. ob nicht der große Fortschritt, den wir als Techniker gerade im Sprech¬ film anerkennen und freudig zu begrüßen geneigt sind, die Filmindustrie in wirtschaftlicher Hinsicht vor große Schwierigkeiten stellen wird. Nicht als ob wir etwa pre¬ digen wollten, den Fortschritt aus banger Furcht um unsere Industrie zurückzudämmen. Das hieße sich auf den Stand jener Bauern zu stellen, die vor 100 Jahren befürchteten, auf ihrer Haferernte sitzen zu bleiben, weil man damals anfing, Eisenbahnen zu bauen. Zunächst wird sich ja selbst in dem für den Sprechfilm günstigsten Fall dessen Auswirkung in den Kinotheatern nur ganz allmäh¬ lich zeigen, und der stumme Film wird noch auf lange Jahre die Regel sein. Trotzdem könnte es sehr wohl mög¬ lich sein, daß gerade die großen Kinotheater, in denen der Sprechfilm ja wohl zuerst seinen Einzug halten wird, wenn der erste Reiz der Neuheit abgeebbt sein wird, den Wettbewerb der Sprechbühne stärker verspüren werden, als dies heute der Fall ist. So paradox es vielleicht manchem klingen mag. es ist keineswegs ausgeschlossen, daß der große Fortschritt, den der Sprechfilm gegenüber dem stummen Film bedeutet, die Lage der beiden Theatergattungen eher zugunsten der Sprechbühne als zugunsten des jüngeren Bruders \er- schieben wird. Man wird wohl klug tun. diesen Gedanken nicht ganz beiseite zu schieben, wenn man das Bild der zukünftigen Entwicklung unserer Industrie vor sici. „uf- baut. Wir ersparen uns dann vielleicht einige Enttäu¬ schungen! Dr. Carl Forch.